# taz.de -- Journalistenmorde in Mexiko: Kriegsreporter im eigenen Land | |
> In diesem Jahr wurden in Mexiko bereits 17 Journalisten ermordet. Wer | |
> dort zu Kriminalität und Korruption recherchiert, riskiert sein Leben. | |
Bild: Fotos ermordeter Journalisten auf dem Platz vor der Kathedrale von San Cr… | |
OAXACA taz | Zuletzt traf es Pedro Pablo Kumul. Der Moderator des | |
mexikanischen Onlineportals AX Noticias fuhr vergangene Woche gerade in | |
seinem Auto, als ihn Unbekannte mit Schüssen töteten. Der junge Mann aus | |
dem Bundesstaat Veracruz ist der 17. Medienschaffende, der dieses Jahr in | |
Mexiko gewaltsam ums Leben kam. Das ist selbst [1][für das ohnehin für | |
Journalist*innen gefährliche Land] trauriger Rekord. | |
Warum Kumul ermordet wurde, wird wohl nie ans Licht kommen. Nicht zufällig | |
forderten seine Kolleg*innen von AX Noticias die Regierung auf, die | |
Hintergründe zu ermitteln, damit das Verbrechen „nicht wie so viele | |
straflos bleibt“. Die Aufklärungsrate von Morden an Journalist*innen | |
liegt bei 2 Prozent. Selten werden Täter zur Verantwortung gezogen wie etwa | |
im Fall von Miroslava Breach. Mafiakiller töteten die Journalistin 2017, | |
weil sie kriminellen Geschäften in die Quere kam. Später wurden der Chef | |
eines Drogenkartells und ein korrupter Bürgermeister zu langjährigen | |
Haftstrafen verurteilt. | |
[2][Solche Urteile sind die Ausnahme]. Sie zeigen aber die Gründe auf, die | |
hinter vielen Taten stecken. Wer im kriminellen und korrupten Milieu von | |
Politik, Wirtschaft und Mafia recherchiert oder die Macht lokaler | |
Unternehmer*innen, Bürgermeister*innen und anderer Interessengruppen | |
angreift, riskiert sein Leben. Dabei kann es um den Mohnanbau für die | |
Opiumproduktion, um Zwangsprostitution oder um Machtkämpfe um politische | |
Ämter gehen. Betroffen sind meist Journalist*innen, die vor Ort | |
aufgewachsen sind und die regionalen korrupten Strukturen gut kennen. | |
## Prekäre Bedingungen für Medienschaffende | |
Viele dieser Medienschaffenden arbeiten unter prekären Bedingungen: | |
schlechte Honorare, fehlende soziale Absicherung. Pedro Pablo Kulum musste | |
deshalb sein Geld zusätzlich als Taxifahrer verdienen. Die meisten | |
Kolleg*innen hätten ein solches Profil, erklärt die Journalistin Vania | |
Pigeonutt: „Die schlechte Bezahlung macht ihre Arbeit noch gefährlicher.“ | |
Die 34-Jährige aus dem Bundesstaat Guerrero hat die Plattform Amapola | |
Periodismo Transgresor gegründet, die sich unter anderem mit dem | |
umfangreichen Drogenanbau in der Region befasst. Wie so viele | |
Journalist*innen musste sie ihre Heimat verlassen. „Ich konnte über | |
Themen wie die Kriminalität nicht mehr berichten und wollte mich nicht | |
selbst zensieren“, sagt sie. In Guerrero, so betont Pigeonutt, arbeiteten | |
Polizist*innen, organisiertes Verbrechen und autonome bewaffnete Gruppen | |
eng zusammen. Im August wurde dort ihr Kollege Fredid Román ermordet. | |
„Wir wurden plötzlich zu Kriegsreportern im eigenen Land“, beschreibt | |
Marcela Turati, wie sich das Leben vieler Journalist*innen geändert | |
hat, seit der damalige Präsident Felipe Calderón 2008 der Mafia den Krieg | |
erklärte. Seitdem hat das Morden massiv zugenommen, rund 100 Menschen | |
werden derzeit täglich getötet, über 10.000 sind verschwunden. Auch die | |
Konsequenzen für Medienschaffende sind gravierend: Alle 14 Stunden findet | |
nach Angaben der Organisation Artículo 19 ein Angriff auf die Presse statt, | |
häufig durch staatliche Kräfte. Seit dem Jahr 2000 kamen 156 | |
Medienschaffende ums Leben. | |
Ein staatliches Programm soll Journalist*innen und | |
Menschenrechtsverteidiger*innen schützen. Es bietet Alarmanlagen, | |
Nottelefone, Schutzzäune, schusssichere Westen und Bodyguards. Doch der | |
Erfolg hält sich in Grenzen. Auch Personen, die sich in dem Programm | |
befanden, wurden ermordet. Turati, Pigeonutt und ihre Kolleg*innen | |
organisieren sich deshalb in Netzwerken. In Workshops beschäftigen sie sich | |
mit Sicherheitsmaßnahmen. „Wo gehe ich hin, was tun in Notfällen, all das | |
muss immer zeitnah vermittelt werden“, erklärt Turati. | |
Wenig hilfreich sind die [3][Signale des Präsidenten Andrés Manuel López | |
Obrador]. In seinen täglichen Pressekonferenzen hetzt er gegen kritische | |
Journalist*innen und bezichtigt Medienschaffende der Verbreitung von | |
Lügen, wenn sie seinen Angaben widersprechen. Die Sprecherin von Artículo | |
19, Paula Saucedo: „Wenn der Präsident in einem Land, das zu den | |
gefährlichsten für Journalisten zählt, die Presse und jegliche Kritik | |
stigmatisiert, erhöht er das Risiko von Angriffen und Gewalt.“ Die Angriffe | |
auf Journalist*innen hätten in der Amtszeit López Obradors um 85 | |
Prozent zugenommen. | |
4 Dec 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Journalistinnenmorde-in-Mexiko/!5829439 | |
[2] /Morde-an-mexikanischen-Journalisten/!5411394 | |
[3] /Ermordete-Journalistinnen-in-Mexiko/!5817038 | |
## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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