# taz.de -- Joseph Beuys im Hamburger Bahnhof: Die Utopie im Schauunterricht | |
> Ein kulturhistorischer Parcours mit Beuys: Im Hamburger Bahnhof ist seine | |
> „Kapital“-Installation erstmals in Berlin zu sehen. | |
Bild: Die weiterhin rätselhafte Installation „Das Kapital Raum 1970-1977“ … | |
Längst gilt Joseph Beuys als einer der bedeutendsten Künstler des 20. | |
Jahrhunderts. Der Streit über seine künstlerische Arbeit, ob er ein | |
„Scharlatan“ oder doch „der Größte“ sei, ist vorbei. Die nach ihm kom… | |
Provokateure von Martin Kippenberger über Christoph Schlingensief bis zu | |
Jonathan Meese rieben sich allesamt an seinem Begriff des Gesamtkunstwerks | |
oder seiner Bildungsutopie „Jeder Mensch ist ein Künstler“. | |
Nun feiert die Nationalgalerie Beuys im Hamburger Bahnhof mit einer | |
Ausstellung, die sich an einem Werk aus dem Jahrzehnt seines Aufstiegs zum | |
international anerkannten Starkünstler orientiert: die Installation „Das | |
Kapital Raum 1970–1977“, entstanden 1980 für die Biennale von Venedig. Sie | |
besteht aus einem Konzertflügel, fünfzig Wandtafeln mit Kreideaufschriften, | |
Filmprojektoren, Alltagsobjekten. Seit 2014 gehört sie zur Sammlung Erich | |
Marx – und ist der Nationalgalerie als Dauerleihgabe zur Verfügung | |
gestellt. | |
Das Ausstellungskonzept mit den der Beuys-Installation zugeordneten | |
weiteren künstlerischen Arbeiten und Objekten zielt auf ein imaginäres | |
Museum (André Malraux) aus Exponaten unterschiedlicher Kulturen, Epochen | |
und Medien, in dem wesentliche Aspekte der menschlichen Zivilisation | |
versammelt sind. Die drei Teile des angestrebten performativen Denkraums | |
sind mit den Begriffen „Schuld“, „Territorium“ und „Utopie“ übersc… | |
In diesem Universum erscheinen Schuld und Tausch älter als das Geld. Schuld | |
beginnt mit der Erbschuld. Auf zwei Tafeln verweisen Adam und Eva, in Form | |
von Kopien nach dem Genter Altar, auf mythische Urbilder der menschlichen | |
Geschlechter und deren Ausweisung aus dem Paradies. Dagegen belegt ein | |
altbabylonischer Kaufvertrag über eine Sklavin aus dem vorchristlichen | |
zweiten Jahrtausend das grausame, ökonomisch bestimmte Gewaltverhältnis von | |
Menschen über Menschen. | |
## Die Ungleichzeitigkeit der Entwicklung | |
Ein handbreiter Geldstein von den Yap-Inseln im Pazifik bindet die deutsche | |
Kolonialgeschichte ein und bringt die Ungleichzeitigkeit der | |
zivilisatorischen Entwicklung der Ethnien in den Blick. Nicht weit entfernt | |
hängt Andreas Gurskys Großfoto „Singapore Stock Exchange I“ von 1997, das | |
die Börse als vernetzten Ort des zeitgenössischen Kapitalismus | |
veranschaulicht. | |
Im Kapitel „Territorium“ soll die Verflechtung zwischen der Eroberung des | |
Raums und der Vermehrung von Kapital fassbar werden, aus der sich die | |
Inbesitznahme fremder Territorien und deren Umgestaltung ergab. Hier findet | |
man Caspar David Friedrichs romantisch-lyrisches Gemälde „Riesengebirge“ | |
(1830/35), eine Spielzeug-Dampfmaschine aus Blech und das berühmte | |
Fernsehgespräch von Günter Gaus mit Hannah Arendt im Jahr 1964 neben | |
Polaroids aus dem Ostberlin des Wendejahres 1989/90. Paul Klees „Abfahrt | |
der Schiffe“ von 1927 verbindet modernistische Abstraktion mit den | |
dinglichen Zeichen der Schiffskörper, Symbol des Verkehrs in die Ferne. | |
Der dritte Teil lotet die Utopie in den Dingen aus. Hier findet sich | |
beispielsweise ein Stickbild mit einem religiösen Haussegen, das naiven | |
Volksglauben repräsentiert. Nam June Paiks auf technischen Geräten der | |
sechziger Jahre basierende Fluxuskunst, in „Zen for TV“ von 1963/90, | |
beinhaltet die Erweiterung des Kunstbegriffs. | |
## Eigensinn der Dinge | |
Jedes der 130 Exponate hat seinen Reiz. Andy Warhol, Bruce Nauman, Gerhard | |
Richter oder Jeff Koons dürfen nicht fehlen in der Schau. | |
In diesem Experiment stehen Epochen, Kulturen und mediale Formen | |
nebeneinander. Das von den Kuratoren postulierte dialogische Prinzip | |
erfordert allerdings viel Zeit zur Annäherung an die Exponate. Der | |
Ausstellungsbesucher erlebt daher einen anthropologisch-universellen | |
Parcours, der ein breites bildungsbürgerliches Wissen voraussetzt. Beim | |
Gang durch diese Versammlung der Exponate verlieren das Ausstellungskonzept | |
und der Eigensinn der Dinge nicht an Distanz zueinander. | |
Erst im hintersten Raum findet sich die Installation „Das Kapital“ von | |
Beuys, rätselhaft wie immer. In diesem Werk schwingt seine Utopie der | |
Umwertung des Kapitals vom Ökonomischen des Kapitalismus, wie es von Karl | |
Marx analysiert wurde, hin zu einem Vermögen der humanen Kreativität, | |
richtunggebend mit. Seine Formel „Kunst = Kapital“ zielte auf die Utopie | |
einer neuen Gesellschaft. | |
## Das Marketing um den Mythos Beuys | |
Die Ausstellungskuratoren Eugen Blume und Catherine Nichols sehen die | |
Aktualität von Beuys darin, ein Potenzial zur Transformation der | |
Zivilisation sichtbar zu machen, um den zerstörerischen Umgang des Menschen | |
mit der Natur im Konsumkapitalismus überwinden zu können. | |
Beuys ist tot. Es lebe der Kunstbetrieb und das Marketing um den Mythos | |
Beuys. Das ökonomische Prinzip des Kapitals erweist sich in der | |
Wertsteigerung der Kunstwerke durch deren Präsentation im Kunstmuseum als | |
keineswegs gebändigte Kraft. | |
12 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Wolfgang Ruppert | |
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