| # taz.de -- Isabel Bogdan über ihren Roman „Laufen“: „Es wird immer eine… | |
| > In Isabel Bogdans Roman „Laufen“ joggt eine Frau, deren Partner sich das | |
| > Leben nahm, zurück ins Leben. Dem spürt der Schreibrhythmus sensibel | |
| > nach. | |
| Bild: Will in keine Schublade: Isabel Bogdan | |
| taz: Frau Bogdan, bezieht sich Ihr Roman „Laufen“ auf einen Suizid in Ihrem | |
| Umfeld? | |
| Isabel Bogdan: Es ist nicht meine Geschichte. Aber ein Bekannter hat sich | |
| das Leben genommen und eine Frau und zwei kleine Kinder hinterlassen. Ich | |
| kannte seine Frau nicht, aber es hat mich beschäftigt: Wie kann man als | |
| Partnerin damit umgehen – und dann auch noch so kleinen Kindern vermitteln, | |
| was in ihrem Vater vorgegangen sein muss? Das war der Auslöser für das | |
| Thema. Die Schwierigkeit mit den Kindern habe ich meiner Protagonistin dann | |
| allerdings nicht auch noch zugemutet. | |
| Duktus und Atmosphäre von „Laufen“ passen so gar nicht zu Ihrer | |
| vorangegangenen Komödie „Der Pfau“. | |
| Nein, das muss es ja auch nicht. Ich denke, wenn ich noch eine fluffige | |
| Komödie nachgelegt hätte, wäre ich aus der Schublade nur schwer wieder | |
| rausgekommen. Vielleicht schreibe ich irgendwann mal wieder eine Komödie, | |
| aber ich möchte da nicht festgelegt sein. | |
| Wie kam es zum „Laufen“-Roman? | |
| Die Grundidee ist älter als „Der Pfau“. Ich habe vor Jahren eine | |
| Kurzgeschichte geschrieben, die ebenfalls „Laufen“ hieß. Schon damals | |
| dachte ich, dass ich diesen Sound gern auf einer längeren Strecke | |
| ausprobieren wollte, dieses Schnelle, Rhythmische, mit vielen Kommata und | |
| wenig Punkten. | |
| Aber? | |
| Ich habe mich zunächst nicht rangetraut. Dann kam der „Pfau“ dazwischen, | |
| und danach dachte ich: Jetzt. In der ursprünglichen Kurzgeschichte war der | |
| Mann einfach nur weg, weil die Liebe zu Ende war. Für einen Roman reichte | |
| mir das nicht, ich wollte meiner Protagonistin etwas richtig Existenzielles | |
| mitgeben. Natürlich war mir klar, dass ich damit einige Erwartungen nicht | |
| erfülle. Ich hatte großen Respekt vor dem Thema, habe aber keinen Moment | |
| daran gezweifelt, dass es gut und richtig ist, etwas ganz anderes zu | |
| machen. | |
| Wie haben Sie den Sound gefunden? Hat er mit Ihrem eigenen Joggen zu tun? | |
| Ja. Auch beim „Pfau“ war zuerst der Sound da, das britische Understatement, | |
| die leichte Distanziertheit, die leise Ironie. Bei „Laufen“ war es genauso, | |
| am Anfang war der Sound. Wir sind im Kopf der Läuferin und bleiben da auch, | |
| sodass der Text ganz automatisch in diesem Laufrhythmus schwingt. Mit der | |
| Zeit wird der Rhythmus ruhiger, weil sie ein ganzes Jahr lang läuft, immer | |
| fitter wird und es ihr langsam besser geht. | |
| Abgesehen davon hat „Laufen“ keinen Plot. | |
| Ja, das war ein bisschen Frickel-Arbeit, weil es keine durchgängige | |
| Handlung gibt. Die einzelnen Themen müssen nicht immer zwingend an einer | |
| bestimmten Stelle verhandelt werden. Ich habe immer wieder umgebaut und | |
| musste manche Passagen dann rhythmisch wieder anpassen. | |
| Wie haben Sie es geschafft, die Spannung über so lange Zeit zu halten – und | |
| das Tempo systematisch zu verlangsamen? | |
| Die ursprüngliche Idee war, dass es wie ein einziger langer Lauf wirken | |
| sollte, in dem sich aber die Jahreszeiten verändern. Dann habe ich | |
| irgendwann vor lauter Text den Überblick verloren. Also habe ich das Jahr | |
| in zwölf Monate aufgeteilt, um für mich selbst kleinere Texthäppchen zu | |
| haben. Die Monate stehen jetzt nicht im Buch, aber ich habe die | |
| Seitenumbrüche dringelassen, damit die Leser*innen auch mal Luft holen | |
| können. | |
| Haben Sie auch die Stimmungskurve der Läuferin so planvoll gestaltet? | |
| Nein, das war eher intuitiv. Ich habe schon geschaut, dass der Text am | |
| Anfang mehr Schwere hat und ihre Stimmung im Lauf der Zeit langsam besser | |
| wird; sie gewinnt ja zunehmend ihren Humor zurück. Und wenn Wut und | |
| Traurigkeit abnehmen, wird auch der Text- und Laufrhythmus geschmeidiger, | |
| leichter. | |
| Hätte der Roman auch mit einer Depression der Läuferin enden können? | |
| Ja. Sie sitzt anfangs schon ziemlich tief im Loch, und Trauer kann einen | |
| durchaus nah an eine [1][Depression] bringen. Auch von dieser Hilflosigkeit | |
| bei banalen Alltagstätigkeiten – Brot in der einen Hand und Messer in der | |
| anderen und nicht wissen, was zu tun ist – haben mir viele Trauernde | |
| erzählt. Ich glaube aber, dass die psychische Beschaffenheit meiner | |
| Protagonistin verhindert, dass sie in eine Depression rutscht. Außerdem | |
| hat sie eine wunderbare Freundin, eine kluge [2][Therapeutin,] ein | |
| funktionierendes soziales Umfeld. Sie hat Humor und eine ganz gute | |
| Selbstreflexion. Das alles zusammen hilft ihr da nach und nach raus. | |
| Hatten Sie immer Macht darüber, dass der Roman gut ausgehen würde? | |
| Ein Happy End kann es nach einem [3][Suizid] ja nicht geben. Ich wollte | |
| aber, dass es ihr am Ende besser geht als am Anfang. Die Grundfrage war: | |
| Wie kann man da rauskommen? Oder wie kann man einen Umgang damit finden? | |
| Meine Antwort sollte nicht sein, dass das gar nicht geht, sondern dass man | |
| Möglichkeiten finden kann, mit einer solchen Wunde zu leben. Meine | |
| Protagonistin habe ich von vornherein so angelegt und ihr ein solches | |
| Umfeld gegeben, dass sie es „schaffen“ kann. | |
| Trotz ihrer Schuldgefühle, weil sie den Suizid ihres depressiven Partners | |
| nicht verhindern konnte. | |
| Ja. Diese Empfindung haben wohl alle [4][Angehörigen] und Freund*innen nach | |
| einem Suizid. Man fühlt sich schuldig, weil man es nicht gemerkt hat, weil | |
| man es nicht verhindern konnte. Was mir beim Schreiben am meisten geholfen | |
| hat, war ein Gespräch mit der Hamburger Psychotherapeutin und Autorin | |
| Angélique Mundt. Sie hat mir erklärt, wie man Depressionen behandelt – mal | |
| mit Medikamenten, mal mit Psychotherapie, mal funktioniert es, mal nicht. | |
| Und vor allem hat sie mir erzählt, was sie Angehörigen nach einem Suizid zu | |
| vermitteln versucht. All das erklärt im Roman jetzt ebenfalls die | |
| Therapeutin meiner Läuferin. Zum Beispiel, dass die sogenannten | |
| „Schuldgefühle“ gar keine Gefühle sind, sondern Gedanken – und die sind | |
| falsch. | |
| Inwiefern? | |
| Man kann einen Suizid nicht verhindern. Wenn jemand diese Entscheidung | |
| getroffen hat, wird er sie umsetzen. Und diese Entscheidung muss man | |
| akzeptieren. Jetzt kann man natürlich sagen: Es war keine freie | |
| Entscheidung, sondern die Krankheit. Aber das lässt sich nicht trennen, | |
| denn die Krankheit ist Teil der Persönlichkeit. Diese Entscheidung wirklich | |
| zu akzeptieren, ist hammerhart, und ich weiß nicht, ob man das bis ins | |
| Letzte schaffen kann. Man muss es versuchen. Es wird immer eine Wunde | |
| bleiben, aber ich glaube, meine Läuferin ist auf einem guten Weg, diese | |
| Narbe in ihr Leben zu integrieren. Das Laufen hilft ihr dabei. | |
| Aber ist ein Suizidaler, der Freund*innen und Familie zurücklässt, nicht | |
| auch egozentrisch? | |
| Nein, der Begriff passt nicht. Natürlich hat es etwas Egozentrisches, wenn | |
| man nur noch mit sich selbst und der eigenen Finsternis beschäftigt ist, | |
| aber man hat in dieser Situation keine Wahl, man kann sich nicht gegen die | |
| Depression entscheiden. Eine Depression ist eine brutale, potenziell | |
| tödliche Krankheit. Und wer sich das Leben nimmt, ist oft genug überzeugt, | |
| dass es auch für sein Umfeld das Beste ist. | |
| Können Sie das verstehen? | |
| Intellektuell ja. Emotional nachvollziehbar ist es vermutlich nicht, wenn | |
| man es nicht selbst erlebt hat. Aber ich kann akzeptieren, dass ich keine | |
| Vorstellung davon habe, wie finster es in einem Menschen aussehen kann. So | |
| finster, dass er nicht mehr leben möchte. | |
| Wie haben Sie dann die Arbeit an diesem Thema ertragen? | |
| Ich selbst bin glücklicherweise eher der vergnügte Typ und konnte es auch | |
| wieder ablegen. Aber natürlich habe ich auch mal am Schreibtisch gesessen | |
| und geweint. Wenn es meine eigene Geschichte wäre, wäre es sicher | |
| schwieriger gewesen. | |
| 31 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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