# taz.de -- Iraker wegen Mordes vor Gericht: Ali B. und die Schuldfrage | |
> Im Mai 2018 wird ein 14-jähriges Mädchen in Wiesbaden ermordet. Unser | |
> Autor lebt nur ein paar Minuten vom Tatort entfernt. | |
Bild: Prozessauftakt in Wiesbaden: Ali B. will sein Gesicht nicht zeigen | |
WIESBADEN taz | Ali B. ist ein Arschloch. Es ist dies eine gewiss | |
unterkomplexe Einschätzung, die einem der Neutralität verpflichteten | |
Prozessbeobachter nicht zusteht, die sich auch für einen um Äquidistanz | |
bemühten Berichterstatter nicht ziemt. Dennoch verschafft es eine gewisse | |
Befriedigung, das einfach mal in aller grimmigen Ratlosigkeit so | |
hinzuschreiben. Und diese Befriedigung hat etwas mit der Geschichte zu tun, | |
die hier erzählt werden soll. | |
Klammer auf. | |
Meine Geschichte ist es nicht, und doch muss das „Ich“ hier vorkommen. Als | |
Herr über die folgenden Zeilen gebietet es die Redlichkeit, eine gewisse | |
Nähe der erzählenden Instanz zum Erzählten offenzulegen. | |
Eine Sache ist es, aus sicherer Distanz über einen Kriminalfall zu | |
schreiben, mit Vor- und Nachgeschichte und kühlem Blick auf die | |
gesellschaftlichen Bruchlinien, die dieser Fall noch weiter vertieft hat. | |
Eine ganz andere Sache ist es, wenn das zur Rede stehende Verbrechen vor | |
der eigenen Haustür stattgefunden hat. | |
Die große Welle (auch das so ein Wort) kam 2015. Erstmals im Frühjahr 2016 | |
habe ich in verschiedenen Aufnahmelagern der Region alle möglichen Dinge | |
abgegeben, bei den Bewohnern selbst, etwa Kinderfahrräder, Spielzeug, ein | |
Radio. Gelassen habe ich es dann irgendwann, weil das Amt darum bat – und | |
vor Ort namentlich zwei kosovarische Familien recht aggressiv beim | |
Einheimsen der Gaben waren. Anders als die Syrer, die ich für bedürftiger | |
hielt. | |
Später erfuhr ich, dass die Kosovaren meine Spenden im Haus | |
weiterverkauften. Schade, aber kein Problem. Der irakische Staatsangehörige | |
Ali B. war nicht in diesem Heim, ich kann ihn nicht einmal zufällig gesehen | |
haben. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in einem Aufnahmelager in | |
Gießen. | |
## Susannas Leiche lag unter Gestrüpp nahe der A66 | |
Als 2018 die Leiche von Susanna F. unter Gestrüpp unweit der Autobahn A 66 | |
gefunden wurde, musste ich darüber berichten. Ich konnte mit dem Fahrrad | |
hinfahren. Der Fundort liegt knappe 500 Meter Luftlinie von dem Gestüt, auf | |
dem meine Töchter reiten lernen. Meine Töchter, genau, die vielleicht auch | |
bald am Bahnhof von Wiesbaden abhängen, so wie das Opfer, und denen ich | |
beibringe, Menschen nicht nach Herkunft und Hautfarbe zu beurteilen, so wie | |
auch das Opfer nicht geurteilt hat. | |
Die Polizei hatte den Tatort weiträumig abgesperrt. Kerzen, Spielzeug, | |
Fotos waren an einer kleinen Brücke über die Bundesstraße zu einer Art | |
Gedenkaltar aufgeschichtet. Dazu ein Kreuz: „Susanna, 14, Opfer der | |
Toleranz“. Ein Zettel: „Die alleinige Verantwortung für deinen Tod trägt | |
Angela Merkel“. Ich weiß noch, wie mich dieser Drall ins Politische damals | |
störte. Wessen Opfer? Wer trägt die alleinige Verantwortung? | |
Klammer zu. | |
## Susanna F. und Ali B.: Bekannte, keine Freunde | |
Die eigentliche Geschichte beginnt am 22. Mai 2018, als Susanna F. nicht | |
nach Hause kommt. Die Mainzerin war mit ihrer Clique unterwegs in | |
Wiesbaden, das näher an Mainz liegt als Berlin-Wilmersdorf an -Moabit. Zwei | |
Stationen mit der S-Bahn, andere Welt. Bessere Welt, wenn man die Schule | |
schwänzt. Am 23. Mai erhält die besorgte Mutter via WhatsApp eine Nachricht | |
von ihrer Tochter: „Mama, such nicht nach mir. Ich bin mit meinem Freund | |
nach Paris gefahren. Ich komme vielleicht in zwei, drei Wochen“. | |
Die Mutter erkennt ihre Tochter in diesen Worten nicht wieder. Noch am | |
gleichen Tag meldet sie Susanne als vermisst, was von der Polizei mit | |
routinierter Gelassenheit aufgenommen wird. Kommt vor, dass 14-Jährige mal | |
für eine Nacht durchbrennen. Tatsächlich ist Susanna F. zu diesem Zeitpunkt | |
bereits tot. | |
Susanna F. hat Ali B. gekannt. Und womöglich erkannt, dass es sich bei ihm | |
um ein gemeingefährliches Arschloch handelte. Sie mochte ihn nicht. | |
Fürchtete ihn, wenn man den Aussagen vor Gericht glauben kann. Richtig nett | |
fand sie einen seiner kleineren Brüder, war angeblich „verliebt“, wie | |
Zeuginnen es im Prozess aussagen. Aber der mag nicht. Dennoch besuchte sie | |
die Familie in der Flüchtlingsunterkunft, einem Haus im Gewerbegebiet von | |
Erbenheim am östlichen Rand von Wiesbaden. Dort lungerte auch der große | |
Bruder herum. Der war Susanna unheimlich. | |
Ali B. hat vor Gericht gestanden, das Mädchen getötet zu haben. Die ihm zur | |
Last gelegte Vergewaltigung vor dem Mord bestreitet er dagegen. Eine | |
psychiatrische Gutachterin hat mit Ali B. intensive Interviews geführt, | |
insgesamt mehr als 50 Stunden. Sie war noch bei jedem Prozesstag anwesend, | |
um sein Verhalten zu beurteilen. Seine Reaktion auf Zeugen, Mitangeklagte. | |
Hinterbliebene. Am vergangenen Mittwoch trägt sie vor Gericht ihr Gutachten | |
vor. | |
Das Gutachten soll als Entscheidungshilfe dienen, ob eine | |
Sicherungsverwahrung nötig oder eine Therapie sinnvoll sei. Am ersten Tag | |
begründet die Gutachterin ihre Einschätzung, dass Ali B. unter einer | |
„dissozialen Persönlichkeitsstörung mit psychopathischen Zügen“ leide. | |
Wobei „leiden“ vielleicht nicht das richtige Wort für einen Menschen ist, | |
den die Gutachterin als egozentrisch, manipulativ und empathielos | |
beschreibt. Ein Arschloch, würde der Laie sagen. | |
Ali B. leidet darunter, dass er im Gefängnis nicht genug Zigaretten hat. Er | |
leidet darunter, dass er – zumindest am Anfang – keinen Fernseher bekommt. | |
Er hat keinerlei Interessen, die über sein eigenes Wohlergehen | |
hinausreichen. Sein Lebensstil sei „ausbeuterisch-parasitär“. Auch diese | |
Einschätzung wird noch wichtig für diese Geschichte, das Parasitäre. | |
Klammer auf. | |
## AfD beschuldigt die Regierung, Linke das Patriachat | |
Was also wäre die Erzählung? Ein junger Mann (22) hat ein Mädchen (14) | |
ermordet? Ein Araber hat eine Pfälzerin getötet, ein Iraker eine Deutsche, | |
ein Muslim eine Jüdin? Ali B. hat sich als Flüchtling ausgegeben und | |
Susanna F. missbraucht und ermordet? Wie man den Fall bewertet, hängt davon | |
ab, wie man ihn erzählt. | |
Die Erzählung von Susanna F. als Opfer einer allzu migrationsfreundlichen | |
Politik der Regierung begegnete mir ein paar Tage nach dem Mord in Mainz, | |
wo die AfD zu einer Demonstration aufgerufen hatte. Gekommen waren auch die | |
Damen (und Herren) vom „Frauenbündnis Kandel“, die den Eindruck erweckten, | |
besorgte Mütter aus der rheinland-pfälzischen Kleinstadt zu sein – wo 2017 | |
ein Abdul aus Afghanistan eine 15-jährige Mia erstochen hatte. | |
„Beziehungstat“, urteilte damals die „Tagesschau“, sehr zum Verdruss der | |
besorgten Bürgerinnen und Bürger von Kandel und anderswo. | |
Uwe Junge, AfD-Chef in Mainz, hielt eine Rede. Ein Mann mit | |
Kaiser-Wilhelm-Bart, umgeben von den üblichen Schlägertypen. Susanna sei | |
gestorben, weil sie „der Gutgläubigkeit des Mainstreams folgte“. Dieser | |
Mainstream solle sich bei der Familie der Ermordeten „für die Folgen ihrer | |
Politik entschuldigen“. | |
Auf der Gegendemonstration linker Gruppen dagegen lasen junge Menschen | |
barfuß von den Bildschirmen ihrer Smartphones schlaue Vorträge über die | |
„Alltagstauglichkeit sexualisierter Gewalt“ gegen Frauen und Mädchen ab. | |
Die Tat, um die es ging, sei Ausdruck einer „auch in Deutschland“ | |
verankerten „patriarchalischen“ und „autoritären männlichen Gesellschaf… | |
Beide Seiten machten jeweils das „System“ für den Tod von Susanna F. | |
verantwortlich, das – aus ihrer Sicht – ohnehin hinter allem Übel steckt. | |
Der Humanismus. Das Patriarchat. Beide Parteien standen – und stehen – sich | |
mit einer sprachlosen Unversöhnlichkeit gegenüber, die vielleicht das | |
eigentliche Problem ist. | |
Klammer zu. | |
## Ali B., das Arschloch | |
Fünf Jahre hat Ali B. im Irak die Schule besucht, ist zweimal nicht | |
versetzt worden, hat die Schule verlassen und ist nie einer geregelten | |
Arbeit nachgegangen. Seine Vorstellung von Deutschland ist, dass man hier | |
problemlos Sex und Drogen haben kann, sagt die Gutachterin. Und Geld | |
bekommt, ohne dafür zu arbeiten. | |
Auch Ali B.s Frauenbild thematisiert die Gutachterin. Frauen hätten zu | |
Hause zu bleiben, sich zu ducken, zu kochen und zu putzen und ansonsten dem | |
Mann zu gehorchen. Womöglich ist es wirklich Ausdruck einer „auch in | |
Deutschland“ verankerten „patriarchalischen“ und „autoritären männlic… | |
Gesellschaft“. | |
Über soziale Netzwerke hat Ali B. unterschiedliche Frauen gecheckt“ und als | |
„Huren“ beschimpft, wenn sie keine Jungfrauen mehr waren. Als Susanna B. im | |
Flüchtlingsheim aufkreuzte, versuchte er an Nacktfotos des Mädchens zu | |
kommen. Motivierte sie, ihm welche zu senden. Animierte einen gemeinsamen | |
Freund, welche zu machen. | |
Ali B. kommt im Oktober des Jahres 2015 nach Deutschland, als alle kommen. | |
Er flieht nicht vor Krieg und Gewalt, sondern erhofft sich ein besseres | |
Leben. Er kommt als Teil einer zehnköpfigen Familie, im Verbund. Starke | |
Mutter, schwacher Vater. | |
Er ist der älteste Bruder einer Schar tendenziell verwahrloster | |
Geschwister, wer will es den Leuten verdenken. Elf Tage waren sie über | |
Serbien nach Deutschland gereist, 13.000 Euro hatten sie für Schleuser | |
ausgegeben. Die Familie gibt einen falschen Namen an, es werden falsche | |
Geburtsdaten verzeichnet. | |
Klammer auf. | |
## Geparkte Menschen am Rande des Kontinents | |
Letzte Klammer, versprochen. 2018 war ich auf einem privaten Rettungsschiff | |
in der Ägäis. Ich habe dort Nachtwache gehalten, und ich habe an Land, auf | |
Lesbos, das Lager Moria besucht. Aus der Ferne wirkte es wie die Zeltstadt | |
am Rande eines großen Rockfestivals, aus der Nähe wie einer der | |
Höllenkreise aus Dantes Inferno. | |
Hier sind Leute geparkt, die es zwar von der nur acht Seemeilen entfernten | |
Türkei nach Europa geschafft haben, aber noch nicht – nach Europa, nach | |
Italien, Schweden meinetwegen. Nach Deutschland, wohin die meisten wollen. | |
Sie sitzen fest, weil es über Wochen und Monate, manchmal auch ein ganzes | |
Jahr nicht weitergeht. Bisweilen geht es, dem „Deal mit der Türkei“ sei | |
Dank, sogar zurück nach Kleinasien. | |
Die Leute werden irre. Sie werden aggressiv. Sogar kleine Kinder versuchen, | |
sich umzubringen. Ritzen, Waschmittel essen, solche Dinge. | |
Ich habe in Moria mit gebildeten Leuten gesprochen, die vor ihren im Wind | |
flatternden Zelten standen wie vor einem Einfamilienhaus und mit mir – in | |
sauberem Deutsch – über Hölderlin reden wollten. Ein Algerier war das. | |
Einen jungen Mann habe ich getroffen, der seit drei Jahren unterwegs war | |
und mir den Grund für seine Flucht nicht verraten wollte, das sei eine | |
persönliche Sache. Aus Uganda kam der. Er sagte: „Ihr könnt nicht alle | |
aufnehmen, oder? Wir sind zu viele. Aber was wollt ihr machen? Uns | |
ertrinken lassen?“ | |
Nein. Und nein. Es soll gerettet werden, wer auf diesem verdammten Meer | |
treibt, jede einzelne Seele. Es soll in Deutschland Schutz bekommen, wer | |
Schutz braucht, subsidiär oder permanent. Es soll, wer hier sein Glück | |
versuchen will, hier sein Glück versuchen dürfen. Nicht nur als | |
„Fachkräfte“, weil daran in Deutschland angeblich ein Mangel herrscht. | |
Sondern als Menschen. | |
„Wir schaffen das!“, sagte die Frau, die angeblich „die alleinige | |
Verantwortung“ am Tod von Susanna F. trägt. Damit sie recht behält, die | |
Frau, muss auch wirklich Gerechtigkeit herrschen. Recht gesprochen werden. | |
Dann hat sich der Staat in aller Konsequenz auch mit jenen Menschen zu | |
beschäftigen, die ihn „ficken“ wollen. | |
Klammer zu. | |
## Ali B.'s Strafregister ist lang | |
Der Kurpark von Wiesbaden ist eine freundliche Anlage, noch aus der Zeit | |
als kaiserliche Kurstadt. Hier wurde im April 2018 ein 22-Jähriger | |
überfallen, der eigens einen kleinen Umweg durch den Park genommen hatte. | |
Nachdem der Angreifer sein Opfer ausgeraubt hatte, bedrohte er es mit einem | |
Messer und zerrte es in ein Gebüsch: „Ich fick Deutschland“, soll er gesagt | |
haben: „Ich fick die Polizei.“ Als der Angreifer versuchte, dem Opfer die | |
Schuhe und die Hose abzustreifen, gelang ihm die Flucht. Vor Gericht | |
identifizierte der junge Mann nun Ali B. als den Angreifer von damals. | |
Er war an Schlägereien beteiligt, hat eine Polizistin bespuckt und | |
geschlagen, wurde festgenommen und wieder freigelassen. Ein Einhandmesser | |
wurde bei ihm gefunden und ein Verfahren wegen unerlaubten Waffenbesitzes | |
eingeleitet. | |
Den Asylantrag stellt die Familie 2016, weil ihr in Kurdistan „Verfolgung“ | |
drohe. Wer sie in der Unterkunft besuchte, bewunderte sie für ihre | |
Gastfreundschaft und ihren Zusammenhalt. So erzählt es die damalige | |
Freundin von Ali B., die sich auch geschmeichelt zeigte, dass der | |
Angeklagte sie beschützen wollte. Mit einem Klappmesser. | |
Mit Ausnahme zweier Schwestern, denen subsidiärer Schutz zusteht, wird der | |
Antrag abgelehnt. Es liege kein erkennbarer Asylgrund vor. Ali B. und seine | |
Familie klagen dagegen 2017, ohne nähere Begründung, ohne die Möglichkeit | |
einer Anhörung wahrzunehmen. Familie ist wichtig. Sie ist der Anker, sie | |
ist der Ruhepol in jener Zeit. | |
Die Klage liegt anderthalb Jahre beim Amt – unbearbeitet. | |
## Nicht der einzige Prozess gegen den Angeklagten | |
Unterdessen, im März 2018, wird im Asylbewerberheim vom Wiesbaden-Erbenheim | |
ein elfjähriges Mädchen vergewaltigt. Die Polizei findet damals „keine | |
belastbaren Hinweise“. Offenbar, weil es zu viele Männer mit dem Namen | |
„Ali“ gibt. Inzwischen ist Ali B. auch dieser Tat angeklagt, das | |
entsprechende Verfahren läuft unter Ausschluss der Öffentlichkeit parallel. | |
Die Sicherheitsvorkehrungen in Saal 0.020 des Wiesbadener Landgerichts | |
werden noch einmal verstärkt, nachdem im März die Mutter einer Zeugin den | |
Angeklagten mit einem Regenschirm attackiert. Wenn Zeugen aus der Clique | |
von damals aussagen, muss Ali B. das aus einem Nebenraum verfolgen – er | |
könnte sie sonst einschüchtern. Seine eigenen Schwestern machen Gebrauch | |
von ihrem Recht, die Aussage zu verweigern. Sie tun dies unter Tränen. Aber | |
die Familie ist wichtig. | |
Seit sie mahlen, die Mühlen der Justiz, ist der Fall jedweder | |
Instrumentalisierung entzogen worden. Vor Gericht steht nicht die | |
Migrationspolitik, nicht die „Willkommenskultur“. Vor Gericht steht nicht | |
die toxische Männlichkeit, nicht das Patriarchat. Nicht die Polizei. Und | |
nicht die Behörden. | |
Vor Gericht steht Ali B., der Susanna F. in der Nacht vom 22. auf den 23. | |
Mai mutmaßlich vergewaltigt, stranguliert und zwischen Bahngleisen und | |
Autobahn verscharrt hat. Falls die Tat eine antisemitische Dimension haben | |
sollte, dann erst im Nachgang – und nur in den „sozialen“ Netzwerken, wo | |
auf einer (inzwischen abgeschalteten) Fanseite Ali B. dazu gratuliert | |
wurde, die „jüdische Schlampe“ ermordet zu haben. Er sei, erklärte die | |
Gutachterin, seinen „dissozialen“ und „pathologischen“ Zügen zum Trotz | |
durchaus in der Lage gewesen, die Folge seiner Handlungen einzuschätzen. | |
Also schuldfähig. | |
Laut Aussagen von Zeugen spielte es für den Täter keine Rolle, dass das | |
Mädchen der jüdischen Gemeinde angehörte. Sie selbst hatte ihren | |
Instagram-Account abstammungsbedingt mit den Flaggen von Russland und der | |
Türkei geschmückt. Laut Aussagen von Zeugen spielte es für den Täter eine | |
Rolle, dass das Mädchen einen „geilen Körper“ habe und er sie umbringen | |
werde, falls sie nicht mit ihm schlafen wolle. | |
Jede Tat dieser Größenordnung ist eine offene Wunde, ein Schmerz, der durch | |
gesprochenes Recht eine wenigstens symbolische Schließung, eine Linderung | |
erlangt. | |
## Ein 14-Jähriger wird vom Held zum Angeklagten | |
Dazu gehört womöglich auch, reguläre Prozessberichterstattung zu betreiben. | |
So sieht der Angeklagte aus, so grinst er, so verbirgt er sein Gesicht | |
hinter Akten. So argumentiert die Verteidigung, so sprechen die Zeugen. So | |
seufzt der Richter, so scharrt das Publikum mit den Füßen. Es wäre noch | |
einmal die geschlossene Flucht der Familie über Düsseldorf in den Irak zu | |
kolportieren, dahin, woher sie angeblich fliehen musste, ihr Aufbruch | |
mitten in der Nacht und ihre unbehelligte Ausreise, ihre tollkühne oder | |
auch rechtswidrige Rückholung aus Kurdistan | |
Es wäre auch zu berichten über die Verrohung einer Clique junger Männer und | |
Frauen, die schon von dem Mord wussten, als die Polizei noch nach einem | |
ausgerissenen Mädchen suchte. Es wäre, kurzum, der ganze Krimi noch einmal | |
zu erzählen mit allen abstoßenden oder erregenden Details, die da ans | |
Tageslicht gekommen sind. | |
Wie etwa der entscheidende Tippgeber, ein 14-Jähriger aus der Unterkunft in | |
Wiesbaden-Erbenheim, zunächst als Held gefeiert wurde und dann selbst in | |
Untersuchungshaft landete, als Komplize der Vergewaltigung der Elfjährigen. | |
Könnte man machen, würde in seinem Voyeurismus nur niemandem dienen als | |
Voyeuren, die dergleichen gerne lesen, und schlimmstenfalls weitere | |
Ressentiments der einen oder anderen Seite schüren. | |
Der Prozess selbst ist in einem funktionierenden Rechtsstaat ein Vorgang | |
der Zivilisierung wenn nicht des Täters, so doch der Debatte. Pünktlich zu | |
seinem Beginn verschwanden nicht nur die – ohnehin schwach besuchten – | |
Kundgebungen von den Straßen. Es verstummte auch weitgehend das giftige | |
Geblubber in den digitalen Kloaken. | |
Was bleibt und auch vom Gericht nicht aus der Welt geschafft werden kann, | |
ist die Einsicht in das Versagen, in die Überforderung der Behörden. Zu der | |
im Nachgang aber auch die Einsicht gehört, dass selbst die rigideste und | |
unmenschlichste Asylpolitik manche Fälle niemals wird verhindern können. | |
Und dass lügt, wer dergleichen in Aussicht stellt. | |
In einem Gemeinwesen dürfen Gerechtigkeit und „Gefahrenabwehr“ nicht | |
gegeneinander ausgespielt werden. Sie müssen sich die Waage halten. Es | |
gilt, hier das richtige Gleichgewicht zu finden – und nicht zu einer | |
Gesellschaft von Arschlöchern zu werden. Dieser Prozess wird, anders als | |
der Prozess vor dem Landgericht Wiesbaden, niemals zu einem Ende kommen. | |
Für seine Tat trägt Ali B. die alleinige Verantwortung. Er ist es, über den | |
der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk am 10. Juli sein Urteil sprechen wird. | |
1 Jul 2019 | |
## AUTOREN | |
Arno Frank | |
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