| # taz.de -- Interview mit Anwältin für Diskriminierung: „Ich wünsche mir m… | |
| > Anwältin Leonie Thum über Geschlechterdiskriminierung und die | |
| > Notwendigkeit von mehr Gerichtsurteilen. Thum vertritt auch die | |
| > Plansche-Klägerin. | |
| Bild: Frisch saniert: der Wasserspielplatz Plansche im Berliner Plänterwald | |
| taz: Frau Thum, der Wasserspielplatz Plansche eröffnet jetzt mit neuer | |
| Nutzungsordnung. Nun dürfen sich auch Frauen mit nackter Brust dort | |
| aufhalten. Was bedeutet das? | |
| Leonie Thum: Aus meiner Sicht ist das nur eine Klarstellung, denn seit es | |
| das Landesantidiskriminierungsgesetz gibt, muss es schlicht und ergreifend | |
| so sein. Alle Nutzungsordnungen, auch die, die es vorher schon gab und auch | |
| die der Plansche, müssten so ausgelegt werden, weil alles andere | |
| diskriminierend ist und damit nach dem LADG verboten. | |
| Warum ist es so klar, dass es diskriminierend ist, wenn Frauen ihre Brust | |
| dort bedecken müssen, wo Männern oben ohne erlaubt ist? | |
| Diskriminierung bedeutet erst einmal nichts anderes als Ungleichbehandlung, | |
| und das Geschlecht gehört unstreitig zu den Gründen, aus denen eine | |
| Ungleichbehandlung verboten ist. Es ist verfassungsrechtlich sogar eines | |
| der Merkmale, bei dem die Diskriminierung am schwersten wiegt. Das hängt | |
| damit zusammen, dass man auf die Geschlechtsidentität keinerlei Einfluss | |
| hat und eine Diskriminierung hier am meisten belastet. Dass einzelne | |
| Personen eventuell Anstoß daran nehmen könnten, kann aus meiner Sicht nicht | |
| reichen, um eine so schwerwiegende Diskriminierung zu rechtfertigen. | |
| Es kommt ja oft das Argument, das sei bei Männern und Frauen eben nicht das | |
| Gleiche. | |
| Die Entscheidung, dass die – sexualisierte – weibliche Brust das Problem | |
| ist und deshalb versteckt werden muss, muss behoben werden, weil sie | |
| diskriminiert. Zwar ist bei Männern das Brustwachstum in der Pubertät | |
| selbst kein sekundäres Geschlechtsmerkmal, sehr wohl aber das vermehrte | |
| Muskel- und Haarwachstum auf der Brust. Wobei das natürlich ein | |
| biologischer Begriff ist und kein sozialwissenschaftlicher. Und es ist ja | |
| durchaus sinnvoll, darauf Bezug zu nehmen. Tut man das, haben Männer aber | |
| viel mehr sekundäre Geschlechtsmerkmale als Frauen: etwa die | |
| Brustbehaarung, den Bartwuchs, die Körperbehaarung, das vermehrte | |
| Muskelwachstum. Wenn es danach ginge, müssten Männer im Burkini baden | |
| gehen. | |
| Das wird wohl nicht so bald kommen. | |
| Wohl kaum – dabei können sich Frauen genauso von den sekundären | |
| Geschlechtsmerkmalen von Männern belästigt fühlen. Das führt aber nicht | |
| dazu, dass irgendwer auf die Idee kommt, dass sie bedeckt werden müssten. | |
| Wie haben Sie die Reaktionen in Berlin generell wahrgenommen? | |
| Der größte Teil der Kommentare und Reaktionen, die ich erlebt habe, war: | |
| Warum regt sich irgendwer darüber auf? Seit den Achtzigern waren in Berlin | |
| alle oben ohne und es gibt überall FKK. Wo kommt das Problem jetzt her? | |
| Und woher kommt es? | |
| Ich verstehe das teils auch nicht. Wenn man dieses Jahr am See war, sieht | |
| man doch: Da macht sich überhaupt keiner einen Kopf drum. Ich habe auch im | |
| Freibad schon weiblich gelesene Personen oben ohne baden oder sonnenbaden | |
| gesehen und noch nie erlebt, dass das problematisiert wurde. Es gibt eine | |
| Übersicht von gemeldeten Fällen und es gab einfach jahrelang keine | |
| Beschwerden. Während der Pandemie haben diese plötzlich stark zugenommen. | |
| Ich glaube, das hat wenig damit zu tun, dass mehr weiblich gelesene | |
| Personen oberkörperfrei sind als damit, dass die meisten Menschen deutlich | |
| gereizter sind als sonst. Und die gesellschaftlichen Fronten haben sich | |
| insgesamt enorm verhärtet. | |
| Auch schon vor der Pandemie, oder? | |
| Meine Theorie ist, dass es gerade eine stark konservative Gegenbewegung | |
| gibt zu allen positiven Entwicklungen im Bereich Anti-Diskriminierung. Seit | |
| den Neunzigern und noch bis vor ein paar Jahren war die allgemeine Haltung: | |
| Es gibt Diskriminierung, aber eigentlich wollen wir alle, dass das aufhört. | |
| Wir wollen eine integrative Gesellschaft, die nicht einzelne Gruppen | |
| ausgrenzt, weil uns das allen nicht gut tut. Mittlerweile scheinen viele | |
| Menschen darauf zu bestehen, dass es irgendein persönliches Recht auf | |
| Diskriminierung gibt, das ihnen weggenommen werden soll. | |
| Wie erklären Sie sich diese Gegenbewegung? | |
| Es ist diese Haltung: Wir haben genug Gleichberechtigung gewährt, jetzt | |
| dürfen weiblich gelesene Personen schon so viel, es ist auch mal genug. | |
| Gleichzeitig gibt es innerhalb des weißen liberalen Feminismus leider auch | |
| eine riesige Bewegung, die meint, jetzt könnten alle anderen Gruppen sich | |
| mal zurückhalten, und damit im Prinzip schlicht die patriarchale | |
| Machtposition übernehmen und behalten. Das ist sehr frustrierend, aber es | |
| ist eigentlich auch ein Zeichen dafür, dass wir Schritte in die richtige | |
| Richtung machen. Jetzt geht es nicht mehr darum, marginalisierte Gruppen | |
| als „white savior“ zu retten, sondern jetzt sagen Betroffene aus ihrer | |
| Sicht, was Rassismus und Transphobie ist. Das mag für viele Menschen | |
| anstrengender sein als vorher – aber es werden zurecht die Stimmen laut, | |
| die über eigene Diskriminierungserfahrung verfügen. Wir sollten einfach | |
| zuhören. | |
| Warum ist es wichtig, dass es neben der Änderung der Nutzungsordnung auch | |
| die Klage gegen den Bezirk gibt? | |
| Erstens, weil die Änderung der Nutzungsordnung das Problem nur auf dem | |
| Papier für die Zukunft und bislang auch nur in Treptow-Köpenick behebt, | |
| während die erfolgte Diskriminierung weder kompensiert noch sanktioniert | |
| wird. Der Sanktionscharakter der Entschädigung ist jedoch das effektivste | |
| und einzige Mittel, solche Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern. Zweitens | |
| auch deshalb, weil es bisher nicht viele Klagen nach dem LADG gab. Trotz | |
| der vielen Berichterstattung und der Aufschreie bei Erlass des LADG hat es | |
| doch unter den Bürgern in Berlin und den potenziell Betroffenen gar keinen | |
| hohen Bekanntheitsgrad. Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, | |
| sollten wissen, dass man tatsächlich erfolgreich dagegen klagen kann. Zudem | |
| gab es im konkreten Fall auch im Beschwerdeverfahren bei der Ombudsstelle | |
| keine zufriedenstellende Lösung. | |
| Wir brauchen also mehr Klagen nach dem LADG? | |
| Wir brauchen Urteile, um zu wissen: Wie geht man mit diesen Fällen um? Wie | |
| berät man die Betroffenen dazu? Das dient der Rechtssicherheit. Es ist | |
| insbesondere zu hoffen, dass es eine Verbesserung gegenüber der | |
| Rechtsprechung zum Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz gibt. Nach dem | |
| Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz muss man sich schon gut überlegen, wem | |
| man rät, ein Verfahren durchzumachen. Da braucht man Mandantschaft, die | |
| psychisch stark genug ist, weil der Umgang der Gerichte mit diesen Fällen | |
| retraumatisierend sein kann und daher auch die Erfolgsaussichten stark | |
| schwanken. Das ist ein massives strukturelles Problem, das seit Jahren als | |
| richterliche Freiheit abgetan und ignoriert wird. Ich habe aber den | |
| Eindruck, dass sich auch hier langsam etwas bewegt. Historisch gesehen ist | |
| das LADG ja der Black-Lives-Matter-Bewegung zu verdanken und sollte vor | |
| allem „Racial Profiling“ durch die Polizei verhindern. Auch da wünsche ich | |
| mir, dass es bald mehr Klageverfahren gibt. | |
| 29 Jul 2022 | |
| ## AUTOREN | |
| Uta Schleiermacher | |
| ## TAGS | |
| Diskriminierung | |
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| Geschlechter | |
| Landesantidiskriminierungsgesetz | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Frankfurt am Main | |
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