| # taz.de -- Herbert Grönemeyer über sein neues Album: „Klar gibt es reichli… | |
| > Herbert Grönemeyers neues Album „Das ist los“ ist politisch, wie immer. | |
| > Ein Gespräch über Krisendeutschland, Zuversicht und Ratgeber-Pop. | |
| Bild: „Deutschland hat auch die Verantwortung, Ruhe zu bewahren“, findet Gr… | |
| wochentaz: Herr Grönemeyer, was glauben Sie, welches Lied von Ihrer neuen | |
| Platte hat sich bei mir als hartnäckiger Ohrwurm eingenistet? | |
| Herbert Grönemeyer: „Behutsam“? | |
| Nein. | |
| „Herzhaft“? | |
| Nein. | |
| „Das ist los“? | |
| Genau. Knaller. „Das ist los“ – der Song zum Albumtitel. Eine schnippische | |
| Antwort auf die oft als unangemessen empfundene Frage „Was ist los?“. | |
| Ja. Das kommt von meinem Produzenten Alex Silva, der Waliser ist. Immer, | |
| wenn ich ihn frage: „Was ist los?“, antwortet er „Das ist, was ist los!�… | |
| übersetzt das direkt aus dem Englischen „That’s what happens“. Alex fragt | |
| mich auch immer: „Was heißt eigentlich Samma?“ Das sage ich angeblich immer | |
| beim Autofahren. | |
| Warum dann nicht „Samma“ oder „Hömma“ als Titel, sondern „Das ist lo… | |
| Weil der Song erklären soll, wie ich jetzt gerade in der Badehose aussehe. | |
| Es soll eine Standortbeschreibung sein. Alex und ich haben nach 25 Jahren | |
| zum ersten Mal gemeinsam eine Nummer geschrieben. Wir sind wie ein altes | |
| Ehepaar, das von der Freude und der Albernheit erzählt. | |
| „Bankenkrise, Emirat / Schuldenbremse, Windradpark / Lifehacks, Burnout, | |
| Horoskop / Cis, binär und transqueerphob / Gucci, Prada, Taliban / Schufa, | |
| Tesla, Taiwanwahn …“ Klingt jetzt nicht gerade nach Ehealltag. | |
| Sondern? | |
| Nach Polittalk. | |
| Sicher, alles ist politisch. Aber für mich ist das Politische immer | |
| selbstverständlicher Bestandteil meines Lebens und meiner Musik und nichts | |
| Besonderes. | |
| Reden wir alle zu viel und zu oberflächlich über Politik? | |
| Wir sind ja hier nicht beim Eisstockschießen. Die Lage, in der wir uns | |
| befinden, ist hochkomplex und nicht ungefährlich. Aber was macht das mit | |
| uns? Wo sind wir mit unseren Ängsten? Was bedeutet das für uns kulturell? | |
| Diese Fragen kommen zu kurz. | |
| „Was ist, Kid? Kriegst du alles mit?“, lautet der Refrain in „Das ist los… | |
| Sind die Kids nicht mehr all right? | |
| Oh doch. Die sind total all right. Es ist nur so, dass ich jetzt 67 werde. | |
| Ich versuche mir auf alles, was so auf mich reinprallt, einen Reim zu | |
| machen. Ich kann mir aber ja aufgrund meines Alters genehmigen, nicht mehr | |
| alles mitzukriegen. Aber wie kommt ein 40 Jahre jüngerer Mensch durch das | |
| Dickicht der Informationen? Was sind die Zwänge, was die Ängste? Die Zeile | |
| ist nicht als Anklage gemeint. | |
| Wie dann? | |
| Im Sinne einer sorgenden Nachfrage: Wie kommt ihr damit klar? Jede | |
| Generation hat ja ihre Themen, mit denen sie organisch verbunden ist. Ich | |
| bin mit Vietnam und Hippies groß geworden. Bei den Jungen heute habe ich | |
| das Gefühl, die Entfremdung von der Gesellschaft ist um ein Vielfaches | |
| größer. | |
| Dazu passt der erste Satz auf dem Album: „Hoffnung ist grade so schwer zu | |
| finden“, [1][aus dem vorab veröffentlichten Song „Deine Hand“]. Ansonsten | |
| geht es auf der Platte aber meistens gut gelaunt zur Sache: mit treibendem | |
| Beat und Synthiesound, mit Witzigkeit und Mutmacherlyrik. Das hat dann so | |
| gar nichts mehr von Verzweiflung. | |
| Für mich ist Kunst immer der Versuch, eine Perspektive zu erarbeiten. Kunst | |
| muss irgendwo hinleiten. Auch in der Trauer oder der Melancholie muss Kunst | |
| motivieren. Die Frage war: Schafft man es in dieser komplexen Zeit mit all | |
| den Ängsten eine Platte zu machen, die nicht larifari und trallalaheißassa | |
| hopsasa ist, aber trotzdem in sich eine Kraft birgt und Zuversicht | |
| erschließt? Worauf kann man sich stützen, was sind die Dinge, die positiv | |
| stimmen in dieser schweren Zeit? Und für mich ist die Hilfsbereitschaft der | |
| Menschen eben eine große Sache. Darüber wird viel zu wenig gesprochen. Wie | |
| haben in diesem Land eine beeindruckend erwachsene Attitüde, mit denen | |
| Geflüchteten begegnet wird. Das ist eben nicht nur heute mit Blick auf die | |
| Ukrainer so. Das war auch 2015 so. Da steckt eine große Form von Humanismus | |
| dahinter. Das ist eine großartige Basis für eine positive, | |
| gemeinschaftliche Entwicklung unserer Gesellschaft. Da hol ich mir meinen | |
| Nährstoff her. | |
| Dafür, dass Sie [2][auf einem Konzert in Wien sehr laut „Keinen Millimeter | |
| nach rechts“ gebrüllt haben], wurden Sie heftig attackiert. | |
| Ich weiß schon seit 40 Jahren, dass ich nicht nur Fans habe. Wir sind eine | |
| diffuse Gesellschaft, ist doch klar, dass es unter 80 Millionen auch | |
| reichlich Bekloppte gibt. Und damit meine ich jetzt nicht die, die meine | |
| Musik nicht mögen. Aber es rennen hier doch nicht nur lauter Egoisten rum, | |
| das muss man einfach auch mal feststellen. | |
| Nicht nur. Aber [3][in Ostdeutschland brennen wieder Flüchtlingsheime]. Und | |
| die [4][CDU hat mit rassistischen Inhalten] die Wahlen in Berlin gewonnen. | |
| Das bekomme ich mit und das ist gemein und feige. Aber deswegen müssen wir | |
| ja nicht immer gleich in eine hochdramatische, pauschalisierende „Oh mein | |
| Gott, wie furchtbar“-Stimmung verfallen. Fakt ist, dass wir in Deutschland | |
| einer Million Menschen Obdach bieten. Die Gesellschaft ist erwachsener, als | |
| man denkt und weiter als die Politik. Natürlich ist es kein | |
| Zuckerschlecken, Geflüchtete bei sich aufzunehmen. Die Lösung kann aber | |
| nicht sein, die Leute abzuschieben oder nachts ins Kopfkissen zu beißen, | |
| weil man nicht mehr weiter weiß. Man muss offen thematisieren, dass es | |
| kompliziert ist. | |
| Deutschland, eine Nation von Nachts-ins-Kopfkissen-Beißern? | |
| Wir müssen nicht gleich durchdrehen, nur [5][weil zwei prominente Frauen | |
| eine Demo machen]. Das können wir schon aushalten. Das neue Deutschland hat | |
| jetzt seinen 30. Geburtstag hinter sich. Wir können doch nicht bei jedem | |
| Windstoß noch um Hilfe schreien wie kleine Kinder. Als eines der größten | |
| Länder Europas haben wir die Verantwortung, auch mal ein bisschen Ruhe zu | |
| bewahren. | |
| „In der Unruhe liegt die Kraft“ heißt es doch [6][in Ihrem neuen Lied | |
| „Angstfrei“]. | |
| Ja. Aber damit meine ich, dass wir uns mehr Gedanken darüber machen müssen, | |
| was wir mal werden wollen, wenn wir groß sind. Was für ein Team wollen wir | |
| eigentlich sein? Wie verwirrt wollen wir sein? Wie verrückt? Dafür braucht | |
| es Unruhe. Es ist total unverschämt, dass es einen Ost-Beauftragten gibt, | |
| wo es doch gar kein Ostdeutschland gibt. Es gibt auch kein Westdeutschland. | |
| [7][Bochum] ist Westdeutschland. Bayern ist es nicht. Wir brauchen keinen | |
| Ost-Beauftragten, sondern einen Beauftragten für die Zukunft dieses Landes, | |
| einen Stab, der sich damit beschäftigt, wo dieses Deutschland in 50 Jahren | |
| sein soll. Der britische Ökonom Paul Collier beschreibt die alte | |
| Sozialdemokratie als eine Kultur des Füreinandereinstehens. Ich komme ausm | |
| Ruhrpott, ich kannte diese Kultur. Die ist aber verloren gegangen. Wir | |
| müssen uns verpflichtet fühlen, uns Gedanken zu machen, wie wir da wieder | |
| hinkommen. | |
| „Glücklich der, der auch mal nichts weiß“, „Danke deinem Leben für die | |
| Zeit“, „Suche in deinem Leben keinen Sinn“, „Versuchs mit Eleganz, nimm… | |
| voll und ganz“ singen Sie in Ihrem neuen Song „Eleganz“. Wären Sie | |
| beleidigt, wenn man sagen würde, Herbert Grönemeyer macht Ratgeber-Pop? | |
| Nein, da wär schon was dran. Ich lauf jetzt aber auch nicht als blauäugiger | |
| Depp rum. Eher so wie ein Fußballtrainer, dessen Team die ganze Zeit | |
| verliert, aber der trotzdem glaubt, dass in seinem Team alles steckt, er | |
| muss es nur rausholen. Aber „Eleganz“ ist jetzt nicht gerade der größte | |
| stilistische Beitrag meinerseits. Ist eher so mein „Don’t worry be happy“. | |
| „Wichtig ist nur, dass man Alltag kann“. Die Zeile macht mich fertig. „Nu… | |
| Alltag? | |
| Ich singe extra „Alltach“, damit man es auch versteht. Alltag ist eine | |
| elementare Herausforderung. Nur auf Glücksmomente warten kann jeder. Alltag | |
| ist harte Arbeit. | |
| So ganz entschieden zwischen Unruhe und chillen ist Ihre Platte nicht. Im | |
| Lied „Genie“ singen Sie: „Du wälzt Probleme von links nach rechts, danach | |
| ist dir schlecht“. | |
| Das ist schon besser. Also stilistisch gesehen. | |
| Ihre Texte sind in Lyrikbänden erschienen und Sie dichten so wunderschöne | |
| Zeilen wie „Du verschaffst meinem Ich Übergewicht“. Kürzlich sprachen Sie | |
| im Münchner Lyrik Kabinett unter dem Titel „Die Worte müssen in die Musik“ | |
| mit dem Literaturwissenschaftler Michael Lentz über Ihre Texte. Er musste | |
| sehr oft lachen. Ich muss auch über Sätze lachen, von denen ich nicht weiß, | |
| ob Sie die lustig gemeint haben. Zum Beispiel: „Wer nicht strampelt, klebt | |
| an der Ampel und wartet auf Grün“. | |
| Lachen Sie nur. Das will das Lied ja. Es geht ja in dem Text darum, nicht | |
| ständig um Erlaubnis zu fragen. | |
| Ich muss lachen, weil ich dachte, das sei ein Appell, nicht darauf zu | |
| warten, bis die Ampelregierung was gegen die Klimakatastrophe tut. | |
| Nee, darum ging es in dem Lied nicht. Dass die Grünen allerdings die | |
| [8][Aktionen der Klima-Aktivisten] als „nicht zielführend“ diskreditieren, | |
| finde ich absurd. Als müsste eine Bewegung bei der Regierung anrufen und | |
| fragen, ob es okay ist, wenn man morgen demonstrieren geht. In Deutschland | |
| sollte endlich was passieren, ohne dass man dafür vorher eine Unterschrift | |
| verlangt. | |
| Es wird häufig die Entpolitisierung der Popmusik beklagt. Bei Ihnen bekommt | |
| man den Eindruck, Sie werden von Platte zu Platte politischer. Haben Sie | |
| das Gefühl, politisch verantwortlich zu sein? | |
| Das sagen mir Leute immer. Natürlich hab ich eine Verantwortung, Stellung | |
| zu beziehen, weil ich eine Öffentlichkeit habe. Aber deswegen habe ich | |
| nicht das Recht, zu allem meinen Senf zu geben. | |
| Der Krieg in der Ukraine ist auf der Platte ja ziemlich abwesend. | |
| Gar nicht. | |
| Wo ist er denn? | |
| In „Schlüssel“: „Solang der Kopf auf den Schultern thront, sich für jed… | |
| Kind jeder Funke Hoffnung lohnt“. Das sind Aussagen von Geflüchteten aus | |
| der Ukraine. | |
| Das könnten aber auch Geflüchtete aus Syrien sagen. In der Zeile „Orbán, Le | |
| Pen, Rasputin – Wer ist die nächste Killerqueen“ vermeiden Sie, den Namen | |
| Putin auszusprechen. Haben Sie Angst davor, Fans zu verschrecken? | |
| Nein. Ich brauchte einfach noch eine Silbe. Ich muss aber auch nicht das | |
| komplette Spektrum meiner politischen Meinung preisgeben. Wenn jemand noch | |
| eine Frage hat, kann er ja fragen. | |
| Sie wurden heftig kritisiert, nachdem Sie in einer Talkshow zur Frage von | |
| Friedensverhandlungen gesagt haben, dass man denjenigen, der die Kinder | |
| entführt und die Eltern ermordet, nicht am nächsten Tag zum Kaffee einlädt. | |
| Die Ukraine sollte alle Waffen kriegen, die sie zur Selbstverteidigung | |
| braucht. Da ich davon keine Ahnung habe, trage ich andere Dinge dazu bei. | |
| Zum Beispiel Generatoren liefern. | |
| Genau. Aber in welcher Form wann über was verhandelt werden sollte, da | |
| halte ich mich raus. | |
| Ab Mai sind Sie auf Tour. Kiew ist bisher nicht vorgesehen? | |
| Nein. | |
| Würden Sie dort spielen, wenn man Sie fragt? | |
| Klar. Es gab auch zwischenzeitlich mal einen Plan, aus dem dann aber nichts | |
| wurde. Ich hab es übrigens vor zehn Jahren abgelehnt, im Kreml zu spielen. | |
| [9][Die slowenische Kunstband Laibach hatte ein inzwischen wieder | |
| abgesagtes Konzert in Kiew angekündigt.] Unter dem Motto „Eurovision“ | |
| wollte die Band symbolisch den ESC nach Kiew holen, der in London | |
| stattfindet, obwohl die Ukraine als Gewinnerin des letzten Jahres | |
| Austragungsort sein sollte. Abgesehen vom ESC gab es nirgends in Europa ein | |
| großes „Stop the War“-Konzert mit Superstars. Fehlt uns der Mut, den wir an | |
| den Ukrainer*innen und Iraner*innen bewundern und den Sie auch auf | |
| Ihrer Platte besingen? | |
| Interessante Beobachtung. Wir bleiben definitiv in der Komfortzone. Was die | |
| eigene Zivilcourage angeht, sind wir noch nicht so richtig weit. Wenn man | |
| sich überlegt, bei welchen Themen wir uns als Musiker schon auf einer Bühne | |
| zusammengetan haben – und ausgerechnet hier hat sich bisher nicht so | |
| richtig was geregt. | |
| 24 Mar 2023 | |
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