# taz.de -- Hamburgs Kunstverein wird 200: Die Kunst des Jubiläums | |
> Hamburgs Kunstverein feiert sein 200-jähriges Bestehen mit einer Schau, | |
> für die er heutige Künstler beauftragt hat, sich mit seiner Geschichte zu | |
> befassen. | |
Bild: Kunst fürs Jubiläum: 3 Hamburger Frauen, Old Fashioned, Wandarbeit, 201… | |
Es ist eine der ältesten Institutionen ihrer Art: Seit 200 Jahren setzt der | |
Kunstverein in Hamburg sich für die Moderne ein. Was mit salonmäßigen | |
Treffen eines kleinen Kreises kunstsinniger Patrizier begann, führte zu | |
Ausstellungen und Ankäufen wie dem „Eismeer“ von Caspar David Friedrich, | |
zur Gründung der Hamburger Kunsthalle und in den 1930er-Jahren zu einem | |
eigenen Haus des Bauhaus-Architekten Karl Schneider. Der Kunstverein zeigte | |
Heimatbilder ebenso wie französische Impressionisten. Immer war man auch | |
politisch engagiert. Bis 1936 wurde versucht, der Kunstpolitik des | |
NS-Staates zu trotzen. Erstmals in der BRD gab es 1975 eine | |
Einzelausstellung eines DDR-Malers und 1985 die erste „Biennale des | |
Friedens“. | |
Wie ist so ein Jubiläum zu feiern? Historische Fakten ausbreiten und sich | |
selbst loben? Oder ein „Best of“ von attraktiven Impressionisten bis zu | |
aktueller Politkunst aufhängen und aus ganz unterschiedlichen Konzepten | |
einen natürlichen Ablauf behaupten? | |
Bettina Steinbrügge und Corinna Koch haben statt Selbstlob und | |
Retrospektive lieber gegenwärtige Künstler beauftragt, sich auf der Basis | |
ausgewählter Archivalien mit der Geschichte des Vereins und der gezeigten | |
Kunst zu befassen. Erst hat das Kunstgeschichtliche Seminar unter Professor | |
Uwe Fleckner zum Kunstverein geforscht, dann entwickelten die Kuratorinnen | |
aus dem Material zehn Schwerpunkte, die sie Künstlern zur Bearbeitung | |
vorlegten. So konnte ermüdende Vollständigkeit vermieden und die | |
Kunstvermittlung selbst zur Kunst werden. | |
Den Rahmen dafür bietet eine Melodie potenzieller Räume: Der Berliner | |
Künstler Olaf Nicolai rhythmisierte den großen Ausstellungsraum und | |
stattete ihn mit ornamentalen Tapeten aus. Sie zeigen Zeichnungen zur | |
revolutionären, multifunktional verstellbaren Wandkonstruktion, die Karl | |
Schneider 1930 für das Kunstvereinsgebäude in der Neuen Rabenstraße | |
entworfen hatte. | |
Schon auf der Treppe beginnt alles mit einer Revue von Kernsätzen zu | |
Bildfindung und Formfindung einst ausgestellter Künstler. Franz Erhard | |
Walter hat sie ausgewählt – hier nicht der Künstler seiner Aktionselemente, | |
sondern ganz Theorie-Professor. | |
Ein weiterer Professor der Hochschule für bildende Künste, Werner Büttner, | |
hat Köpfe der Vereinsleitung samt speziellen Charakterisierungen zu einer | |
Art Hall of Fame zusammenstellt. Ganz ohne Auflistungen geht es eben auch | |
nicht. | |
Und manchmal wird sogar recht seminarhaft mit dem Material umgegangen, etwa | |
wenn Katrin Mayer die erste größere Schau von DDR-Kunst von 1982 | |
rückwirkend korrigiert und in kleinen Referenzbildchen um die zur gleichen | |
Zeit dort arbeitenden Künstlerinnen ergänzt, die damals keinerlei Erwähnung | |
fanden. | |
Als Referenz an das scheinbar unschuldige Thema der Landschaftsmalerei | |
zeigt die Berliner Kunstfotografin Beate Gütschow eine Reihe von Bäumen. | |
Die haben Geschichte gesehen. Vom Bau des damals höchst modernen | |
Zellengefängnisses Moabit 1849 bis zu dessen Nutzung durch die Gestapo. | |
Im hintersten Raum geht es verschärft um die Konstruktion von Erinnerung, | |
hier am besonders problematischen Beispiel des Holocausts. Dort steht ein | |
großes Modell der Eingangssituation des KZ Mauthausen, mit übertrieben | |
burgähnlichem Tor und mit Eisenbahngleisen. „Ja, ich weiß, da waren keine | |
Gleise“, sagt der Modellbauer im dazugehörigen, eindrucksvollen Video des | |
in Berlin lebenden Israeli Dani Gal, „aber die Amerikaner wollen das so.“ | |
Und kleiner und dünner sind die dramatisierenden Gleise leicht schräg mit | |
weiteren Gleisen überlagert, den Schienen für die Kamerafahrt. | |
Primär-Erinnerung verblasst angesichts der Filmrealität. | |
Wenn Hitlers Architekt Albert Speer und der Nazijäger Simon Wiesenthal | |
gemeinsam als Freunde im Wiener Haus von Wittgenstein philosophieren, wird | |
neben kaum glaubhaften Fakten vor allem eins klar: Jede Erinnerung muss zu | |
ihren Inhalten die Art des Erinnerns selbst mitdenken. | |
Oder wie Dani Gal sagt: Wir können nicht über Geschichte reden, ohne über | |
die Geschichtskonstruktion zu reden. Auf die ausdrücklich – und eher | |
ironisch – „The History Show“ genannte Ausstellung zu 200 Jahren | |
Kunstverein angewandt, heißt das, Kunst niemals für abgeschlossen zu | |
halten, auch die zu Klassikern geronnene nicht. | |
Eigentlich fällt die ganze Ausstellung unter das Label | |
„Institutionskritik“. Im engeren Sinne dokumentiert dazu der in Berlin | |
lebende Schweizer Konzeptkünstler Christian Philipp Müller den Verbleib von | |
sieben ovalen Tischen, die 1996 von Rirkrit Tiravanija für den Kunstverein | |
entworfen wurden und organisiert in Anlehnung an früher abgelehnte Konzepte | |
einen Möbeltausch. | |
In der Spannung zwischen maximaler Aufforderung und faktischer | |
Unsichtbarkeit ließ der Slominski-Schüler und Hamburg Stipendiat von 2012, | |
Burk Koller, ein Flugbanner mit kafkaesken, weil ungerichteten Aufrufen | |
über das Gebäude fliegen: „Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns!“ | |
Solche 100 Jahre alten Lockrufe gelten nun für das ganze Jahr: Bis zum | |
offiziellen Jubiläumsfestakt im September gibt es zahlreiche weitere | |
Ausstellungen, Diskussionen und Publikationen – zumeist in Kooperation mit | |
den anderen Hamburger Kulturinstitutionen wie der Kunsthalle und dem | |
Schauspielhaus. | |
Wem dies alles zu kopflastig ist, der kann sich an die schillernden | |
Oberflächen der Kupferzelte des Rumänen Daniel Knorr halten oder das Thema | |
wechseln und im unteren Raum eigenartig organische Skulpturen in | |
ästhetischer Raumorganisation bewundern. Diese zusätzliche Präsentation | |
stammt von der lettischen Künstlerin Daiga Grantina. Sie erhielt als eine | |
von fünf jungen Kunststars 2016 das Reisestipendium des Vereins „Neue Kunst | |
in Hamburg“, eines anderen, jüngeren Bürgerclubs zur Kunstförderung, | |
gegründet 1986. | |
10 Mar 2017 | |
## AUTOREN | |
Hajo Schiff | |
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