| # taz.de -- Grünenpolitiker über Berateraffäre: „Ich erwarte mehr Selbstkr… | |
| > Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen muss im | |
| > Untersuchungsausschuss aussagen. Der Grüne Tobias Lindner nimmt sie in | |
| > die Pflicht. | |
| Bild: Gut beraten? Von der Leyen im Jahr 2017 auf Truppenbesuch in Hammelburg | |
| taz: Herr Lindner, am Donnerstag tritt Ursula von der Leyen im Bundestag | |
| auf – wahrscheinlich als letzte [1][Zeugin im Untersuchungsausschuss], der | |
| genau ein Jahr lang getagt hat. Wie viele Stunden haben Sie in den zwölf | |
| Monaten mit der Berateraffäre verbracht? | |
| Tobias Lindner: Auf jeden Fall mehr als hundert. Der Ausschuss hat immer | |
| donnerstags getagt und im Schnitt waren es zehn Stunden pro Sitzung. Hinzu | |
| kommt die Vorbereitung, wir hatten ja mehr als 4.000 Aktenordner | |
| Beweismaterial. Es war also ein ziemlich anstrengendes Jahr. | |
| Sie haben in diesem Jahr wahrscheinlich viel Haribo gegessen? Im | |
| Sitzungsaal waren jede Woche große Kübel mit Gummibären zu sehen. | |
| Richtig, beim Ausschuss-Sekretariat gab es immer eine Notversorgung für | |
| uns: Haribo und Gemüse-Sticks. Man gewöhnt sich auch gewisse Tricks an. Ich | |
| trinke Abends zum Beispiel keinen Kaffee mehr, sondern schlage mich mit | |
| Club Mate durch. Wenn man sich den ganzen Tag lang nur von Kaffee ernährt, | |
| wird man irgendwann hibbelig. So ein Ausschuss ist aber manchmal ein Kampf | |
| ums beste Sitzfleisch: Spannende Zeugenaussagen ergeben sich oft erst, wenn | |
| die Sitzung ein paar Stunden alt ist. | |
| Weil bei den Zeug*innen die Konzentration nachlässt? | |
| Damit hat es sicherlich auch zu tun. Vor allem aber entwickelt sich so eine | |
| Sitzung. Bis Sie zu einer Frage kommen, bei der ein Zeuge nervös wird und | |
| bei der Sie weiterbohren können, braucht es eine gewisse Zeit. | |
| Haben Sie ein konkretes Beispiel im Kopf? | |
| Gegen Ende hin bei Frau Suder … | |
| … Katrin Suder, [2][ehemalige McKinsey-Managerin] und unter Ursula von der | |
| Leyen Staatssekretärin im Verteidigungsministerium. | |
| Sie hat in ihrer Befragung vor zwei Wochen auf viele Fragen geantwortet, | |
| dass sie sich nicht erinnern kann. Ich weiß nicht, ob das reell so ist oder | |
| nur eine Schutzbehauptung. Aber ich kann objektiv feststellen, dass andere | |
| Zeugen eine bessere Erinnerung hatten. Was ich auch enttäuschend fand: Von | |
| ihr war kein My der Selbstkritik zu hören. Zu keinem Zeitpunkt hat sie | |
| gesagt, dass Fehler gemacht wurden und sie einen Anteil daran haben könnte. | |
| Zum Ende hin wurden ihre Antworten aber doch einen Tick ergiebiger. Man | |
| merkte: Die Zeugin hat sich auf die Vernehmung vorbereitet, versucht sich | |
| extrem gut zu kontrollieren, kann das am Ende aber nicht komplett | |
| durchhalten. | |
| Die hohen Erwartungen an die Vernehmung wurden trotzdem nicht erfüllt. | |
| Suder gilt in der Affäre als entscheidende Figur. Seit über einem Jahr | |
| stand der Verdacht im Raum, dass Unternehmensberater Aufträge in der | |
| Bundeswehr bekommen haben, weil sie Suder und andere im Ministerium gut | |
| kannten. Konkrete Beweise dafür haben Sie jetzt aber noch immer nicht. | |
| Es hat niemand zu uns gesagt: Sie haben recht, da hat jemand einen Auftrag | |
| bekommen, weil er ein guter Freund von mir ist. Die Hinweise darauf sind in | |
| dem einen Jahr aber nicht weniger geworden. Wir wissen heute, dass es ein | |
| dichtes Netzwerk zwischen den beiden Seiten gab. Nehmen Sie nur mal als | |
| Beispiel, wer alles auf der legendären Taufe war … | |
| Sie spielen auf den [3][Unternehmensberater Timo Noetzel] an. Die | |
| Bundeswehr war unter von der Leyen guter Kunde bei ihm. Taufpate seines | |
| Kindes war ein Abteilungsleiter des Ministeriums, Katrin Suder war | |
| ebenfalls zur Feier eingeladen. Dass Noetzel deswegen Aufträge bekommen | |
| hat, ist aber noch immer nicht bewiesen. | |
| Ein Untersuchungsausschuss ist kein Gericht. Wir werden am Ende niemanden | |
| verurteilen oder freisprechen. Wir können aber Personen oder Strukturen | |
| benennen, die politisch verantwortlich sind. Ich glaube, man kann schon | |
| jetzt festhalten: Ursula von der Leyen und Katrin Suder wollten schnell | |
| Veränderungen herbeischaffen und haben deswegen Mitarbeiterinnen und | |
| Mitarbeiter ermutigt, externe Unterstützung einzubinden. Für diese | |
| Einbindung setzten sie aber überhaupt keine Leitplanken. | |
| Wie meinen Sie das? | |
| Eine Woche vor Suder hatten wir die Zeugin Petrick da, eine ehemalige | |
| Mitarbeiterin des Ministeriums. Sie hat sich massiv daran gestört, wie viel | |
| Einfluss die Firma Accenture bei einem bestimmten Projekt hatte. Sie hatte | |
| den Eindruck, dass im Ministerium kaum jemand versteht, worum es bei dem | |
| Projekt geht. Die Rolle von Accenture wurde dadurch so stark, dass die sich | |
| selbst einen Folgeantrag nach dem anderen generieren könnten. Auch das | |
| meine ich mit Leitplanken: Wenn man schon sagt, wir brauchen mehr Externe, | |
| dann muss man wenigstens für vernünftige Regeln sorgen. | |
| Wie müssten solche Regeln aussehen? | |
| Erstens geht es um den Umfang von Beratungen. Wir reden über hoheitliche | |
| Aufgaben und dabei darf Beratung nur ein Ausnahmefall sein. Unter von der | |
| Leyen wurden Beratungsunternehmen wie Zeitarbeitsfirmen reingeholt, um | |
| Personallücken zu schließen. Das ist nicht nur rechtlich bedenklich, | |
| sondern auch schweineteuer. Da sind Berater auf Dienstposten A 12 unterwegs | |
| gewesen, die aber ein Jahresgehalt kassiert haben, das höher ist als das | |
| der Ministerin. | |
| Mehr als 180.000 Euro also. Und was wäre die zweite Regel? | |
| Wenn man schon auf Beratung zurückgreift, muss man immer die Frage stellen: | |
| Wie bauen wir eigene Kompetenzen auf, wie kriegen wir das Wissen ins Haus | |
| rein? Wenn man das nicht macht, können sich die Berater sofort | |
| Folgeaufträge generieren. Drittens: Es muss vor Beginn der Beratung klar | |
| sein, was man eigentlich von denen will. Mir haben Beratungsunternehmen | |
| erzählt, dass sie ins Beschaffungsamt der Bundeswehr geholt wurden, aber | |
| gar nicht so richtig wussten, was sie dort tun sollen. Dann haben sie | |
| gearbeitet und Stunden aufgeschrieben und als sie ihre Zwischenergebnisse | |
| präsentierten, hieß es: Macht es doch lieber andersherum. Und Viertens: Wir | |
| brauchen ein ganz anderes Compliance-System. In einem Privatunternehmen | |
| wäre er selbstverständlich gewesen, dass Suder ihr Freundschaftsverhältnis | |
| zu Noetzel zu den Akten bringt. Da hinkt der Staat meilenweit hinterher. | |
| War für diese Erkenntnisse tatsächlich der Untersuchungsausschuss nötig? | |
| Den Anstoß für die Affäre lieferten 2018 Berichte des Rechnungshofs. Schon | |
| darin deuteten sich die Missstände zumindest an. | |
| Die Frage stellt man sich natürlich vor dem Hintergrund von hundert Stunden | |
| Sitzungszeit. Aber diese Rechnungshofberichte beleuchteten im Wesentlichen | |
| nur zwei Projekte des Ministeriums. Im Untersuchungsausschuss konnten wir | |
| herausfinden, dass das Problem genereller ist. Auch in anderen Projekten | |
| gab es einen massiven Kontrollverlust, was wiederum zu Geldverschwendung | |
| und Rechtsverstößen geführt hat. Es laufen jetzt auch | |
| Disziplinarermittlungen gegen mehrere Mitarbeiter des Ministeriums. Der | |
| Ausschuss hat da einiges ans Tageslicht gefördert. | |
| Die Disziplinarverfahren laufen gegen kleine Beamte. Müsste es weiter oben | |
| nicht auch jemanden treffen? | |
| Eine bestimmte Strategie war im Ausschuss tatsächlich zu bemerken: Je | |
| weiter oben in der Hierarchie eine Zeugin oder ein Zeuge sitzt, desto | |
| stärker ist der Drang, die Verantwortung unten abzuladen. Von daher ist die | |
| Frage berechtigt. Aber von der Leyen, Suder und viele andere aus der | |
| Führung sind ohnehin schon weg. Da wird es schwierig, Konsequenzen zu | |
| fordern, wenn die eigentlich schon eingetreten sind – wenn auch aus anderen | |
| Gründen. | |
| Erwarten Sie auch strafrechtliche Folgen? Dem Staat sind immerhin | |
| finanzielle Schäden in Millionenhöhe entstanden. | |
| Es war mehrfach Thema in internen Sitzungen, ob wir Akten an die | |
| Staatsanwaltschaft abgeben. Wir widmen uns der Frage noch mal, wenn der | |
| Ausschuss seine Arbeit abgeschlossen hat. Aber wenn ich jetzt ins Detail | |
| gehe, könnten sich die entsprechenden Leute vorbereiten. | |
| Welche Erkenntnisse kommen am Donnerstag hinzu, wenn Ursula von der Leyen | |
| aussagt? | |
| Ich erwarte mir von Frau von der Leyen mehr Selbstkritik als von Katrin | |
| Suder. Ich wäre nicht überrascht, wenn sie wie in der Vergangenheit sagt, | |
| dass sie die politische Gesamtverantwortung trägt. Es darf aber nicht sein, | |
| dass sie unter diesem Deckmantel die Fragen nach der konkreten | |
| Verantwortung für konkrete Probleme verwischt. | |
| Erwarten Sie, dass sie selbst konkrete Verantwortung übernimmt? | |
| Sie wird an vielen Stellen sagen: Das habe ich meinen Staatssekretären | |
| überlassen, davon wusste ich nicht. Das wird sie aber natürlich nicht von | |
| der Frage entbinden, wie viel Beinfreiheit sie denen ließ. | |
| Unterm Strich: Ein unangenehmer Termin für von der Leyen – großer | |
| politischer Schaden wird aber nicht an ihr hängenbleiben. | |
| Sie ist uns zwar mittlerweile nach Brüssel abhandengekommen, aber uns als | |
| Fraktion geht es auch um die Frage, wie man auf ihre Ära als | |
| Verteidigungsministerin zurückblickt. Sie ist angetreten als die große | |
| Reformerin, die im Verteidigungsbereich aufräumt. Sie wollte bei der | |
| Beschaffung alles anders machen, sie wollte Transparenz, Compliance und | |
| eine neue Fehlerkultur. All das ist im Verlauf des Untersuchungsausschusses | |
| zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Von den selbstgesteckten Ansprüchen | |
| bleibt nicht viel übrig. | |
| In Brüssel wird das [4][von der Leyen aber kaum schaden]. Höchstens steht | |
| im Wikipedia-Eintrag der EU-Kommissionspräsidentin künftig ein Unterkapitel | |
| zu ihrer Berateraffäre in Berlin. | |
| Ganz ehrlich: Nicht nur da. Eine konkrete Auswirkung unserer Arbeit habe | |
| ich letzten Montag bei der Bundeswehrtagung in Berlin gesehen, wo Annegret | |
| Kramp-Karrenbauer schonungslos gesagt hat: Leute, wir haben über Jahre | |
| hinweg über Trendwenden gesprochen, mehr Geld ausgegeben, massiv auf | |
| Externe gesetzt, aber das hat nichts gebracht. Sie will jetzt wieder mehr | |
| Verantwortung in die Truppe selbst verlagern. Das ist erst mal nur eine | |
| Ankündigung, aber die geht in die richtige Richtung. | |
| NaN NaN | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
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