| # taz.de -- Gipfel zur Rettung der Biodiversität: Kein Leben ohne Frösche | |
| > Der UN-Gipfel bringt hoffentlich wenigstens dies: Das Verständnis dafür, | |
| > dass der Schutz der Biodiversität nicht Nashörner retten will, sondern | |
| > uns. | |
| Bild: Sein Lebensraum soll besser geschützt werden: Ein Netzglasfrosch aus Mit… | |
| Fast zwei Wochen verhandeln die 196 Mitgliedstaaten der UN-Konvention über | |
| die biologische Vielfalt ab Mittwoch über das Überleben der Menschheit. | |
| Denn darum geht es auf der Conference of the Parties, COP. Biodiversität | |
| retten meint mehr als Bienen und Gänsegeier. Biodiversität umfasst das | |
| Netzwerk der Natur, das Zusammenspiel von Bakterien, Pilzen, Tieren und | |
| Pflanzen. Wie diese Lebewesen und Organismen zusammen wirken, sich | |
| gegenseitig benötigen, begrenzen, befördern, haben wir nur in Ansätzen | |
| verstanden. Aber wir wissen, dass es Böden fruchtbar hält, Süßwasser | |
| verfügbar und die Luft sauber. Es sichert unsere Ernährung und hilft, das | |
| Klima zu stabilisieren. | |
| Man kann diesen Blick auf das Thema für utilitaristisch halten [1][und es | |
| ablehnen, an der Natur nur das zu schätzen, was sie für Menschen leistet] | |
| und was sich in Euro, Yuan und Dollar umrechnen lässt. Natürlich sind die | |
| Existenz der Feldlerche oder des Nördlichen Breitmaulnashorns ein Wert an | |
| sich. Eine intakte Natur kann Erholung bieten und spirituelle Kraft | |
| schenken, und auch einfach Freude bereiten. Paddeln macht mehr Spaß, wenn | |
| am Flussufer Fischadler brüten. | |
| Es geht beim Schutz der Biodiversität also nicht nur ums Geld. Aber sie | |
| zieht weltweit den Kürzeren, wenn es ums Geld geht. Frösche sind gut und | |
| schön; wenn wir in ihrem Lebensraum aber Bergbaugebiete, Siedlungen oder | |
| Maisäcker anlegen wollen, sollen sie bitte keinen Stress machen. Und | |
| Ackerböden widmen wir solange den Weltbodentag (der ist übrigens am 5.12.), | |
| bis wir in Deutschland vier Millionen Wohnungen bauen wollen. Die sind dann | |
| wichtiger und der Schutz des Bodens eine Variable zu viel. | |
| Der [2][Klimawandel] hat uns da weitergebracht. Das liegt an Aktivisten | |
| etwa von Fridays for Future, aber vor allem an der Tatsache, dass auch | |
| Försterinnen und Waldspaziergänger, Chefs von Chemieparks und Arbeiterinnen | |
| in Stahlfabriken inzwischen am eigenen Leib erfahren haben, dass und wie | |
| sehr ihnen die Erderwärmung, kahle Wälder, austrocknende Flüsse und | |
| instabiles Wetter, schaden. Nur wenn Menschen betroffen sind, sind Menschen | |
| auch bereit, über Verhaltensänderungen wenigstens nachzudenken. | |
| Um Verhaltensänderungen geht es beim UN-Gipfel: Um wirksame Regeln, der | |
| Natur Raum zu geben, 30 Prozent streng geschützte Naturschutzgebiete bis | |
| 2030, in denen Menschen, die schon immer in und mit der Natur gelebt haben, | |
| weiter wirtschaften können. Indigene Gemeinschaften im globalen Süden etwa | |
| dürfen durch Naturschutz nicht beeinträchtigt werden – das haben die die UN | |
| inzwischen überwiegend verstanden. | |
| Für Industriestaaten [3][wie Deutschland] würde ernsthafter Schutz der | |
| Biodiversität bedeuten: Kommunen weisen keine Baugebiete für | |
| Einfamilienhäuser, Gewerbegebiete oder Straßen mehr auf der grünen Wiese | |
| aus. Wir essen überwiegend pflanzlich und kaum noch Kühe und Schweine. Wir | |
| nutzen deutlich weniger Ressourcen aus dem artenreichen Süden, und | |
| berücksichtigen das in unserer eigenen Transformation – etwa bei der | |
| Produktion von Elektroautos. | |
| Dass aus Montreal ein Vertragstext folgt, der all das sicherstellt, ist | |
| wohl Wunschdenken. Zu angespannt ist die geopolitische Lage, zu groß sind | |
| die Widerstände in den satten Industriegesellschaften und den hungrigen | |
| Schwellenländern. Wichtig ist der Gipfel trotzdem, weil es das Thema auf | |
| die Agenda bringt. Im Augenblick lässt sich wohl nicht viel mehr erreichen | |
| als dies: dass möglichst viele Menschen begreifen, dass der Schutz der | |
| Biodiversität nicht Nashörner retten will, sondern uns. | |
| 6 Dec 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Bericht-des-Biodiversitaetsrats/!5864109 | |
| [2] /Nabu-Praesident-zur-Klimakonferenz/!5811636 | |
| [3] /Bundesregierung-beschliesst-Moorstrategie/!5890710 | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Holdinghausen | |
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