| # taz.de -- Gesine Schwan über Ampel-Koalition: „Ein gemeinsames Projekt“ | |
| > SPD, Grüne und FDP sind bei vielen Themen näher, als gemeinhin angenommen | |
| > sagt SPD-Größe Gesine Schwan. Und so neoliberal sei die FDP auch nicht. | |
| Bild: „Die FDP besteht nicht nur aus Christian Lindner“: SPD-Politikerin Ge… | |
| taz: Frau Schwan, wird [1][die Ampel] eine Notkoalition – oder eine | |
| Fortschrittsregierung, wie es Scholz und die SPD Spitze sagen? | |
| Gesine Schwan: Das hängt davon ab,ob sich die drei Parteien wirklich auf | |
| ein gemeinsames Projekt einlassen. Olaf Scholz hat recht, wenn er sagt, es | |
| reiche nicht, wenn jeder sein Stückchen vom Kuchen bekommt. Die Ampel muss | |
| ein Projekt werden. Dafür muss es einen gemeinsamen Grundimpetus geben. | |
| Und? | |
| Diese Frage richtet sich [2][besonders an die FDP]. Es gibt aber | |
| Anknüpfungspunkte. Ich leite seit zehn Jahren das Kuratorium der | |
| Theodor-Heuss-Stiftung. Die gehört nicht der FDP, ist aber von Liberalen | |
| geprägt. Und von meinen Erfahrungen dort kann ich sagen: Die FDP besteht | |
| nicht nur aus Christian Lindner. Sie ist nicht so homogen. | |
| Die Ampel geht nicht gegen Lindner. | |
| Natürlich nicht. Viel hängt davon ab, wie schnell er sich an die Idee des | |
| Projekts gewöhnt. Aber noch mal: Es ist eine Chance, dass die drei Parteien | |
| diskursiv offen und nicht verhärtet sind. Das ist die Voraussetzung für das | |
| Gelingen. | |
| Können sich die SPD, die nach langem Anlauf das Agenda-Trauma bewältigt | |
| hat, und die schnittige neoliberale FDP auf eine Steuerpolitik einigen? | |
| Das wird man sehen. Aber das politisch und wirtschaftswissenschaftlich | |
| kräftige neoliberale Umfeld, das es vor ein paar Jahren noch gab, hat die | |
| FDP nicht mehr. Der Glaube, dass man durch massive Steuersenkungen Wachstum | |
| erzielt, ist ja ein uraltes Modell. Mir scheint, dass die FDP die | |
| Steuerfrage so stark in das Zentrum gerückt hat, weil sie sonst nicht so | |
| viel Alleinstellungsmerkmale hat. Bei Menschenrechten, Rechtsstaat, | |
| Freiheit gibt es ja keinen grundsätzlichen Unterschied zu SPD und Grünen. | |
| In Dreierkoalitionen ist Macht nicht so klar verteilt wie in Regierungen | |
| mit einem großen und einem kleinen Partner. Ist das eine Schwierigkeit? | |
| Nein, es ist doch gut, wenn keiner die Macht hat. Dann muss mehr | |
| argumentiert werden. Das ist ein Vorteil, eine List der Vernunft. Der | |
| Politikwissenschaftler Karl Deutsch, aus Böhmen vor den Nazis in die USA | |
| geflohen, hat in den 50er Jahren den Satz geprägt: Macht ist die | |
| Möglichkeit, nicht lernen zu müssen. Die SPD hat die Macht nicht. Grüne und | |
| FDP haben ja zusammen mehr Stimmen bekommen als sie. | |
| Insofern bieten sich Chancen. Wenn die FDP vor zu viel Staat warnt und die | |
| Initiative der Bürger betont, kann das eine produktive Funktion haben. Die | |
| SPD ist zwar keine etatistische Partei, aber sie setzt viel auf den Staat. | |
| Aber die Aussicht auf einen Finanzminister Lindner sorgt in Südeuropa schon | |
| jetzt für Besorgnis. Berlin könnte dann den Block der geizigen vier in der | |
| EU verstärken und einen Rückfall in die Austeritätspolitik forcieren. | |
| Ist denn völlig klar, dass Lindner Finanzminister einer Ampel werden wird? | |
| Es kann ja sein, dass er das will. Aber ein neoliberaler deutscher | |
| Finanzminister würde viel von dem, was SPD und Grüne in der EU wollen, | |
| konterkarieren. Das wäre bei einem Wirtschaftsminister Lindner nicht der | |
| Fall. Also abwarten. | |
| Ist der sozialdemokratische Erfolg eine Momentaufnahme? Oder das | |
| Wetterleuchten eines sozialdemokratischen Jahrzehnts, das manche sehen? | |
| Na ja, so weit würde ich nicht gehen. Aber wir sehen, dass es eine knappe | |
| Mehrheit für die SPD und die Möglichkeit einer Ampel gibt. Dabei hat die | |
| Schwäche des Unionskandidaten eine Rolle gespielt. Aber Scholz hat jetzt | |
| die Chance, daraus etwas zu machen. Und er ist lernfähig. | |
| Im Spiegel-Interview hat er Sie als Freundin bezeichnet. | |
| Ja, das hat mich verblüfft. Wir sind nicht direkt befreundet. Aber es hat | |
| mich gefreut. Ich habe mal in einem Gespräch mit ihm vor Geschlossenheit | |
| von oben gewarnt. Die müsse von innen kommen, sie braucht Vertrauen, | |
| Spielraum für Debatten und Flexibilität. | |
| Sie haben in der taz davor gewarnt, dass Scholz bei einem Sieg von der SPD | |
| verlangen könnte: Ich hatte recht, ihr folgt mir jetzt. | |
| Wir sind freundlich zueinander, haben aber immer Kontroversen. Es freut | |
| mich, dass er mir das offenbar nicht übel nimmt. | |
| Gibt es denn die Gefahr, dass die SPD in alte Rollenmuster zurückfällt – à | |
| la „Wir sind der Koch, ihr, Grüne und FDP, seid die Kellner“? | |
| Ich sehe das nicht. Unter Schröder ist es mit den Grünen psychologisch | |
| nicht gut gelaufen. Das ist richtig. Aber Scholz wäre dumm, wenn er nun so | |
| auftreten würde wie Schröder vor 20 Jahren. Um konstruktive, weiter | |
| führende Kompromisse zu finden, muss man sich ja ein wenig mögen. Wenn man | |
| sich nicht leiden kann oder nur kühl-funktional ist, kommt man nicht auf | |
| kreative Kompromisse. | |
| Der Habitus ist momentan noch entscheidender als programmatische Fragen. | |
| Tritt die SPD arrogant oder bescheiden auf? Scholz hat das verstanden. Er | |
| hat sich eisern verordnet, ruhig, moderat und um Vertrauen werbend | |
| aufzutreten. Das ist richtig. | |
| Also ist die alte Arroganz der Volkspartei SPD den Milieuparteien | |
| gegenüber im Museum entsorgt? | |
| So schnell verschwinden psychisch-habituelle Muster nicht. Aber man muss | |
| auch die Häme sehen, die jahrelang auf die SPD niederprasselte. Mich freut | |
| es schon, dass manche, die sich sehr rotzig über die SPD geäußert haben, | |
| jetzt merken: Sie ist noch da. | |
| 7 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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