| # taz.de -- Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch: Besser in Kanada, Nepal oder I… | |
| > Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland eine Straftat. Eine Kommission | |
| > der Regierung soll nun alternative Regelungen prüfen. Vorbilder gäbe es. | |
| Bild: Der Tod Savita Halappanavars 2012 führte zur Kehrtwende bei den Abtreibu… | |
| Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland verboten. Nur unter bestimmten | |
| Bedingungen wird auf die Bestrafung verzichtet. An sich betrachtet das | |
| deutsche Recht Abbrüche jedoch als [1][„Straftat gegen das Leben“]. SPD und | |
| Grüne wollen das ändern, konnten aber die FDP bisher nicht überzeugen. | |
| Immerhin: Im Koalitionsvertrag hat man sich auf eine Kommission geeinigt. | |
| Die soll im November zusammentreten und „Regulierungen für den | |
| Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches“ prüfen. Wir haben | |
| mal vorgearbeitet: drei reale Beispiele, wie man Schwangerschaftsabbrüche | |
| regeln könnte. | |
| ## Kanada | |
| Kanada ist das einzige Land weltweit, in dem es überhaupt kein nationales | |
| Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch gibt. Seitdem der oberste Gerichtshof | |
| 1988 das damalige Gesetz für verfassungswidrig befand, ist es ersatzlos | |
| verschwunden. | |
| Zuvor mussten Abbrüche in Krankenhäusern stattfinden. Ein Komitee aus | |
| Ärzt*innen musste befinden, dass die Fortsetzung einer Schwangerschaft | |
| die Gesundheit oder das Leben der Schwangeren gefährde. Dazu erklärte der | |
| Vorsitzende Richter: „Eine Frau durch Androhung strafrechtlicher Sanktionen | |
| zu zwingen, einen Fötus auszutragen, außer sie erfüllt bestimmte | |
| Kriterien“, sei ein „schwerwiegender Eingriff in den Körper der Frau“. Es | |
| verletze ihr Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit – also ihre | |
| Menschenrechte. Das Urteil hätte sich das deutsche Bundesverfassungsgericht | |
| damals genauer ansehen sollen. Dieses entschied nämlich noch 1993, also | |
| fünf Jahre später: Eine Frau sei grundsätzlich verpflichtet, eine | |
| Schwangerschaft auszutragen. | |
| Zu verdanken ist das bahnbrechende kanadische Urteil dem Arzt Henry | |
| Morgenthaler, der 1969 die erste Abtreibungsklinik Kanadas eröffnete. Weil | |
| er damit Personen mit ungewollter Schwangerschaft am Gesetz vorbei half, | |
| wurde er mehrfach festgenommen, verurteilt und saß im Gefängnis – bis sein | |
| Fall schließlich die bestehenden Regelungen im Strafrecht zu Fall brachte. | |
| Mehrmals gab es in den Folgejahren Versuche, ein neues nationales Gesetz zu | |
| erlassen, ohne Erfolg. Das heißt aber keineswegs, dass totale Anarchie | |
| herrscht. Die Provinzen regeln ihren Umgang mit Abbrüchen selbst. Das | |
| passiert aber – wie bei anderen medizinischen Prozeduren auch – nicht etwa | |
| im Strafrecht. Überall sind Abbrüche als Gesundheitsleistung anerkannt. | |
| Das Beispiel widerlegt die Behauptung, eine liberale Gesetzgebung beim | |
| Thema Schwangerschaftsabbruch führe zu steigenden Abbruchzahlen oder gar | |
| dazu, dass Frauen quasi bis kurz vor der Geburt abtreiben – eine Sorge, die | |
| Konservative und Rechte auch in Deutschland gerne in den Raum werfen. Die | |
| Zahl der Schwangerschaftsabbrüche liegt in Kanada seit der | |
| Entkriminalisierung konstant bei etwa 100.000 im Jahr, 90 Prozent davon | |
| werden im ersten Trimester der Schwangerschaft durchgeführt. Nahezu alle | |
| Abbrüche nach der 20. Woche finden im Zusammenhang mit fötalen Anomalien | |
| statt. Auch diese Zahl ist seit der Entkriminalisierung stabil. Kanada | |
| macht vor, wie Abbrüche geregelt werden können, wenn Politik und | |
| Gesellschaft Frauen nicht stigmatisieren, sondern ihnen vertrauen. | |
| ## Nepal | |
| Auch in Nepal war es das oberste Gericht, das das Verbot von | |
| Schwangerschaftsabbrüchen kippte. Bis zu ersten, kleineren Lockerungen im | |
| Jahr 2002 hatte Nepal eins der restriktivsten Abtreibungsverbote weltweit. | |
| Ein Fünftel der Frauen in nepalesischen Gefängnissen saß dort wegen | |
| illegalen Schwangerschaftsabbruchs – viele davon wurden wegen Mordes | |
| verurteilt. Unsichere Schwangerschaftsabbrüche kosteten zahlreiche Frauen | |
| das Leben. Rund die Hälfte der Fälle von Müttersterblichkeit stand im | |
| Zusammenhang mit entsprechenden Komplikationen – und Nepal war zu dieser | |
| Zeit eines der Länder mit der höchsten Müttersterblichkeitsrate weltweit. | |
| Angesichts dieser dramatischen Lage wurden die Gesetze ab 2002 nach und | |
| nach gelockert. | |
| 2009 dann urteilte das Verfassungsgericht im Fall einer armen Frau vom | |
| Land, die gezwungen war, ein sechstes Kind zu bekommen, weil sie kein Geld | |
| für einen Schwangerschaftsabbruch hatte: Schwangerschaft unter Zwang sei | |
| Gewalt gegen Frauen und könne zu Ungleichheit zwischen Frauen und Männern | |
| führen. Abbrüche dürfen diesem Urteil zufolge nicht länger ein | |
| Straftatbestand sein. Im Gegenteil: Sie müssen als Frage der Menschenrechte | |
| von Frauen durch ein eigenes Gesetz geschützt werden. | |
| Heute ist ein Abbruch im Einvernehmen mit der Schwangeren in den ersten 12 | |
| Wochen legal. Ebenso verhält es sich bei Abbrüchen nach Vergewaltigung oder | |
| Inzest, aus medizinischen Gründen oder wenn beim Fötus eine Behinderung | |
| festgestellt wird. Geregelt allerdings sind Abbrüche nach wie vor im | |
| Strafgesetz. 2021 hat die Regierung angekündigt, Abbrüche völlig | |
| entkriminalisieren zu wollen. Damit würde es sein Recht dann auch in | |
| Einklang mit dem Verfassungsgerichtsurteil von 2009 bringen – sowie mit der | |
| nepalesischen Verfassung, in der das Recht von Frauen auf reproduktive | |
| Gesundheit längst verankert ist. | |
| Inzwischen gibt es im Land mehr als 2.000 ausgebildete medizinische | |
| Fachkräfte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Das ist deutlich mehr | |
| als im um einiges bevölkerungsstärkeren Deutschland, wo die Zahl bei | |
| inzwischen rund 1.100 liegt – Tendenz seit Jahren stark sinkend. In den | |
| letzten 20 Jahren ist die Müttersterblichkeitsrate in Nepal um zwei Drittel | |
| gesunken. | |
| Das Beispiel Nepal zeigt aber auch, dass ein progressives Gesetz alleine | |
| nicht reicht. Zwar hat das Gesundheitsministerium Anstrengungen | |
| unternommen, um den Zugang zu sicheren und legalen | |
| Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen. Trotzdem findet noch immer ein | |
| relevanter Anteil von ihnen illegal und unter unsicheren Bedingungen statt. | |
| Gerade in ländlichen Regionen ist die Versorgung immer noch schlecht. Dazu | |
| kommt eine nach wie vor massive Stigmatisierung des Themas. Wenn ungewollt | |
| Schwangere ihre Abtreibung unter allen Umständen geheim halten müssen, sind | |
| offizielle Stellen für sie oft keine Option. | |
| ## Irland | |
| Es ist genau zehn Jahre her, im Oktober 2012, dass in Irland die 31-jährige | |
| Savita Halappanavar im Krankenhaus an einem septischen Schock und multiplem | |
| Organversagen starb. Ein Tod, der hätte vermieden werden können: | |
| Ärzt*innen hatten sich aufgrund des strikten Abtreibungsverbots in der | |
| irischen Verfassung geweigert, den nicht lebensfähigen Fötus aus dem Körper | |
| Halappanavars zu entfernen, die in der 17. Woche schwanger war. | |
| Der Tod Halappanavars führte zu einer radikalen Kehrtwende. Im September | |
| 2018 stimmte die Mehrheit der Ir*innen per Referendum für die Änderung der | |
| Verfassung und die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Was bis | |
| dahin eins der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas war, ist heute an | |
| einigen Stellen sogar progressiver als die deutsche Rechtslage. | |
| Zwar sind in Irland Abbrüche auf Verlangen der Schwangeren nur in den | |
| ersten zwölf Wochen nach der letzten Regel erlaubt, das sind sogar zwei | |
| Wochen weniger als in Deutschland, wo ab der Befruchtung der Eizelle | |
| gerechnet wird. Die meisten Länder mit liberalen Gesetzen geben ungewollt | |
| Schwangeren mehr Zeit. Umso schwerer wiegt, dass Irland zudem eine | |
| dreitägige Wartefrist hat, die vergehen muss zwischen der Feststellung des | |
| Schwangerschaftsalters und dem Abbruch. Auch hier gibt es also noch | |
| deutlichen Verbesserungsbedarf. | |
| Doch diese Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen sind nicht | |
| mehr Teil des Strafrechts, sondern klar ein Gesundheitsthema – geregelt im | |
| „[2][Health (Regulation of Termination of Pregnancy) Act 2018“]. Die Kosten | |
| für Abbrüche werden übernommen – jedenfalls für Frauen, die in der Republ… | |
| Irland ihren Wohnsitz haben. In Deutschland zahlen ungewollt Schwangere den | |
| Eingriff grundsätzlich selbst, je nach Methode mehrere Hundert Euro. | |
| In Deutschland musste die [3][Ärzt*in Kristina Hänel] jahrelang vor | |
| Gericht darum kämpfen, dass Mediziner*innen öffentlich darüber | |
| berichten dürfen, dass sie Abbrüche durchführen. In Irland informiert seit | |
| der Legalisierung die staatlich finanzierte Gesundheitsorganisation HSE | |
| niedrigschwellig über Schwangerschaftsabbrüche – inklusive kostenfreier | |
| Hotline und Informationen darüber, wo Abbrüche zu bekommen sind. Frühe | |
| Abbrüche bis zum Ende der 9. Woche finden vor allem bei niedergelassenen | |
| Ärzt*innen statt und vor allem medikamentös – die schonendste Methode, | |
| während in Deutschland immer noch vor allem der chirurgische Eingriff | |
| dominiert. | |
| 4 Nov 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Schwerpunkt-Abtreibung/!t5008434 | |
| [2] https://www.irishstatutebook.ie/eli/2018/act/31/enacted/en/print | |
| [3] /Kristina-Haenel/!t5465353 | |
| ## AUTOREN | |
| Dinah Riese | |
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