| # taz.de -- Geschlechtsidentität im Gesetz: Esoterische Vorstellung | |
| > Das Selbstbestimmungsgesetz führt einen Geschlechtsbegriff ein, der dazu | |
| > beiträgt, dass sexistische Stereotype nicht mehr hinterfragt werden. | |
| Bild: Zur Selbstbestimmung gehört auch, dass es geschüzte Räume für Frauen … | |
| Durch den Text des Selbstbestimmungsgesetzes werden die Begriffe | |
| „nichtbinär“ und „Geschlechtsidentität“ aus dem queeren Szenejargon i… | |
| bundesrepublikanischen Common Sense gehoben. Damit wird Geschlecht | |
| offiziell zu einer Sache der Innerlichkeit – eben der Identität – und von | |
| der Körperlichkeit vollständig losgelöst. Geschlecht als | |
| Geschlechtsidentität gibt keine Auskunft darüber, was Geschlecht ist, | |
| sondern lediglich darüber, wie und wo es sich ausdrückt. | |
| Unterstellt wird damit, dass Geschlechtsidentität ein allgemeines, auf alle | |
| Menschen zutreffendes Phänomen ist; jeder Mensch besäße eine | |
| Geschlechtsidentität, die existenzieller Teil seines Lebens und deren | |
| Anerkennung damit ein Menschenrecht ist. Bei den [1][transgeschlechtlichen] | |
| und nichtbinären Menschen stimme der Geschlechtseintrag lediglich nicht mit | |
| der Geschlechtsidentität überein. Implizit wird unterstellt, dass | |
| sogenannte „cis“-Menschen ihre „Identität“ ausdrücken könnten, ohne | |
| diskriminiert zu werden. | |
| Das führt eine Vorstellung von Geschlecht ein, die auf der totalen | |
| Vergeschlechtlichung des Subjekts basiert. Die Geschlechtlichkeit wird ins | |
| tiefste Innere verlagert, aber auch alles Innerliche – jede Regung – kann | |
| Anlass der Geschlechtsidentität sein. Die These von der Verschmelzung des | |
| Subjekts mit seinem Geschlecht ist nun in Gesetz gegossen. | |
| ## Keine körperlichen, sondern geistige Pole? | |
| Das trägt dazu bei, dass die geschlechtliche Konnotierung von | |
| Verhaltensweisen und damit sexistische Stereotype nicht mehr hinterfragt | |
| werden. Das wird am Beispiel der Nichtbinarität deutlich: Um dazwischen zu | |
| sein, braucht es zwei Pole. Diese Pole werden jedoch nicht als körperliche | |
| angesehen, sondern als Pole des Geistes, eben der männlichen und weiblichen | |
| „Identität“. | |
| Die Einordnung im geschlechtlichen Dazwischen basiert auf der Vorstellung | |
| idealer Männlichkeit auf der einen und idealer Weiblichkeit auf der anderen | |
| Seite. Es gäbe tatsächlich konkrete Menschen, die ideal männliche Männer | |
| und ideal weibliche Frauen seien: Die Nichtbinarität basiert auf dem | |
| Glauben an konkret gelebte Binarität. All jenen, die also keine | |
| [2][Änderung ihres Geschlechtseintrags] oder ihres Namens vornehmen, wird | |
| damit zwangsläufig unterstellt, sich mit den sexistischen Stereotypen | |
| harmonisiert zu haben. In der Welt der Geschlechtsidentität gibt es keinen | |
| Sexismus und seine Kritiker, sondern nur unvereinbare Identitäten. | |
| Das SBGG betrifft damit, anders als behauptet, tatsächlich jeden Menschen: | |
| Es tätigt implizit eine Aussage darüber, wie sich Geschlecht allgemein | |
| ausgestaltet, nämlich als Identität, und erweist sich damit als in | |
| Übereinstimmung mit esoterisch-sexistischen Geschlechtervorstellungen. | |
| Esoterisch sind jene Lehren, die behaupten, nur von „innen“ her verstehbar | |
| zu sein. Anders als die Exoterik, mit der man allgemein zugängliches Wissen | |
| beschreibt. Zugang zu einer von der Körperlichkeit völlig abgelösten | |
| Geschlechtlichkeit zu behaupten, die man nur selbst so erfahren könne, | |
| entspricht der esoterischen Denkweise. So ist die Forderung, alle müssten | |
| der Selbstaussage Glauben schenken und dies müsse sich auch gesetzlich | |
| manifestieren, die Manifestierung der „Geschlechtserkenntnis von innen“. | |
| ## Sexualität schwebt nicht als Entität über den Menschen | |
| Bisher drückte Geschlechtlichkeit ein Verhältnis zwischen einem Individuum | |
| und der Gesellschaft aus – als Frau bezeichnet man jene Menschen, die im | |
| Verhältnis der Produktion des Lebens zum Austragen eines Kindes potenziell | |
| in der Lage sind. Das nun eingeführte Geschlechtsverständnis impliziert, | |
| dass die Geschlechtlichkeit eines Menschen bar jeden Verhältnisses zwischen | |
| diesem, dessen Körperlichkeit und der Gesellschaft ist: Geschlechtlichkeit | |
| ist also nicht ein Verhältnis zwischen ihm und seiner Umwelt, sondern in | |
| ihm. | |
| So wenig wie Sexualität eine Identität ist, ist es Geschlecht, was nicht | |
| bedeutet, dass beides bei einzelnen Individuen nicht identitär aufgeladen | |
| werden kann. Lesbisch ist man, weil man als Frau in ein sexuelles | |
| Verhältnis mit anderen Frauen tritt. Die esoterisch-identitäre Variante | |
| besagt jedoch: Die Sexualität wie die Geschlechtlichkeit schwebt als | |
| Entität über den Menschen, und jeder kann Zugang dazu erhalten, jeder kann | |
| sich dem Lesbischen oder Weiblichen verbunden fühlen und dementsprechend | |
| lesbisch als auch weiblich sein, egal wie er selbst anatomisch ausgestattet | |
| ist. Das Entscheidende ist die weibliche bzw. lesbische Gefühlswelt. Der | |
| Zugang, den ein Mensch zu der weiblichen/lesbischen Entität hat, könne | |
| klassisch esoterisch von anderen nicht nachvollzogen werden, weswegen diese | |
| darüber zu schweigen hätten. | |
| ## Ausschluss und Feindlichkeit sind nicht bedeutungsgleich | |
| Die Behauptung von „Geschlechtsidentität“ ist hier das trotzige Beharren | |
| auf Teilhabe und das Nichtanerkennen der Begrenztheit eigener | |
| Möglichkeiten: Auch als Mann möchte man Teil lesbischer Zusammenschlüsse | |
| sein. Es ist zum Common Sense geworden, es als [3][Transfeindlichkeit] zu | |
| bezeichnen, wollen andere diesem Beharren nicht nachkommen. Hier muss man | |
| auf ein weiteres Verhältnis eingehen. Das zwischen Ausschluss und | |
| Feindlichkeit. Beide Phänomene sind nämlich nicht bedeutungsgleich. | |
| Transmenschen auszuschließen bedeutet nicht, der Existenz dieser Individuen | |
| feindlich gegenüberzustehen, sondern schlicht, gewisse Räume nicht mit | |
| ihnen teilen zu wollen. | |
| Das Hausrecht soll zwar formell Handlungsfähigkeit gewährleisten, doch das | |
| kann faktisch durch Klagen und hohe Entschädigungszahlungen zermürbt | |
| werden. Die Umsetzung des Gesetzes in Australien könnte hier Präzedenzfälle | |
| geschaffen haben. Eine Transfrau durfte hier nicht abgewiesen werden, weil | |
| sie vor dem Gesetz als Frau gilt, ihr Ausschluss sei eine Diskriminierung. | |
| Sollte sich diese Einschätzung in Deutschland durchsetzen, leben wir in | |
| einer Welt, in der der Staat darüber entscheidet, ob und wie sich Frauen | |
| miteinander treffen. Das ist unzulässig und Widerstand daher geboten. | |
| 4 Nov 2024 | |
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| Chantalle El Helou | |
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