# taz.de -- Geologe über das Baumsterben: „Der Wald passt sich an“ | |
> Auf den ersten Blick ist der Wald im Harz nicht mehr zu retten. Friedhart | |
> Knolle erklärt, warum das Baumsterben auch Chancen bietet. | |
Bild: Leben, wohin man schaut: Aus toten Bäumen können immer noch Pilze wachs… | |
taz: Herr Knolle, müssen wir uns von der Harzfichte verabschieden? | |
Friedhart Knolle: Langfristig ja. Vielleicht die jetzige Generation noch | |
nicht, aber eines steht schon fest: Die Fichte ist der große Verlierer | |
dieser Klimakrise. | |
Wie steht es um die Fichte? | |
Schlecht. Nicht nur im Harz ist der Zustand der Fichte sehr schlecht, | |
sondern in ganz Deutschland. Sie leidet stark unter der Klimaerwärmung und | |
der Dürre. Hinzu kommen die sinkenden Grundwasserspiegel, den Bäumen fehlt | |
Wasser. | |
Und der Borkenkäfer frisst sich durch. | |
Der Fichtenborkenkäfer befällt die von der Trockenheit geschwächten | |
Fichten. Diese können kein Harz produzieren, aber Harz ist deren | |
natürliches Abwehrmittel gegen den Käfer. Deshalb sind sie anfälliger. Die | |
alten Fichten, die älter als 60 Jahre sind, trifft es zuerst. Für den | |
Nationalpark ist der Borkenkäfer aber an sich kein Problem. | |
Warum nicht? | |
Der Käfer gehört zum Wald wie die Ameise. Auch die Massenvermehrung ist für | |
natürliche Bergfichtenwälder, wie sie im Harz ab 800 Meter vorkommen, unter | |
normalen Umständen kein großes Problem. Unter natürlichen Bedingungen würde | |
diese Vermehrung auch recht schnell wieder zusammenbrechen. Aber der | |
Borkenkäfer hat im Harz mit den vom Menschen gepflanzten | |
Fichtenmonokulturen unterhalb der natürlichen Grenze, wo sie eigentlich gar | |
nicht hin gehören, optimale Bedingungen. Er kann sich dort rasend schnell | |
vermehren. | |
Der Borkenkäfer hat im ganzen Nationalpark gewütet. Die abgestorbenen Bäume | |
sind überall sichtbar. | |
Der Nationalpark Harz ist sozusagen das ehrliche Schaufenster. So geht es | |
der Natur gerade, ob das den Leuten gefällt oder nicht. 2018 wurden wir | |
noch aufs Übelste beschimpft. „Ihr seid doch Verbrecher, ihr lasst euren | |
Wald sterben“, hieß es da zum Beispiel. Mittlerweile ist die Diskussion | |
sachlicher geworden. Nach vielen Medienberichten und Aufklärungskampagnen | |
vonseiten des Nationalparks haben viele Menschen verstanden, warum wir die | |
Natur sich selbst überlassen. Und sie sehen, dass der Wald nicht tot ist, | |
sondern es einen neuen Wald gibt. | |
Der Abschied vom Bild des alten, heilen Waldes fällt schwer? | |
Von dem romantischen Bild des bekannten Waldes müssen wir uns | |
verabschieden. Der Wald, wie wir ihn kennen, ist bereits gestorben. | |
Speziell die Harzer hängen ja an ihren großen, dunklen Fichten, aber dieser | |
Wald hat keine Zukunft. Der Wald wird künftig ganz anders aussehen. Wie, | |
wissen wir nicht ganz genau. Aber wir können ja davon ausgehen, dass es | |
wärmer wird, also werden im Wald mehr Pflanzen und Tiere leben, die mit der | |
Wärme besser zurecht kommen. | |
Also ist das Fichtensterben gar nicht so schlimm? | |
Für die Wirtschaftsforstämter, die darauf angewiesen sind, mit dem | |
Holzverkauf Geld zu verdienen, ist die jetzige Situation eine absolute | |
Katastrophe. Aber das Baumsterben birgt ja auch eine Chance, um naturnähere | |
Wälder aufzubauen. Weg von den Monokulturen. Der Nationalpark Harz hat den | |
Vorteil, dass er ein Schutzgebiet ist, wir leben nicht vom Holzverkauf. | |
Aber die Nationalparks nehmen nur einen Bruchteil der Flächen in | |
Deutschland ein. Wir sind nicht der Maßstab, der Maßstab ist die | |
Forstwirtschaft, für die ich als Nationalparksprecher aber nicht sprechen | |
kann. | |
Welche Chancen sehen Sie denn? | |
Das Absterben der alten Fichten ist zwar auf der einen Seite ökologisch | |
bedenklich, denn diese sind natürlich auch sehr wertvoll für den | |
Naturschutz. Ich möchte die Situation gar nicht schön reden. Aber die | |
abgestorbenen Bäume bieten auf der anderen Seite eine Chance. In allen | |
Nationalparkflächen, die durch den Menschen verändert wurden, beschleunigt | |
die Klimakrise jetzt den Prozess der Wildnisentwicklung, das heißt, es | |
kommen neue, vielfältigere und artenreichere jüngere Wälder, die viel | |
lichter sind und mehr Baumarten enthalten. | |
Also können wir optimistisch sein und sagen: Der Wald schafft das schon? | |
Ja und nein. Wenn ich so optimistisch rede, gilt das ausschließlich für die | |
kleine Wildnisentwicklungsfläche des Nationalparks Harz. Da bin ich | |
tatsächlich optimistisch. Dort ist das Ende des Waldes nicht zu sehen. | |
Damit will ich aber nicht die ökologische und ökonomische Katastrophe | |
kleinreden, die dieser Prozess des Waldsterbens 2.0, wie er genannt wird, | |
auslöst. Wobei Waldsterben nicht der richtige Begriff ist. | |
Nicht? | |
Der Wald stirbt nicht. Er passt sich nur an die neue Situation an, die wir | |
Menschen geschaffen haben. Wälder sind Überlebenskünstler. Aber sie | |
brauchen Zeit. Wir müssen im Zeitraum von mehreren hundert Jahren denken. | |
Und wir müssten eine Politik für diesen Zeitraum machen. Dazu ist der | |
Mensch aber nicht in der Lage. Und genau das ist der Punkt, der einen trübe | |
stimmen kann. Wir wollen ja eine lebenswerte Natur für die nachfolgenden | |
Generationen erhalten, das wird ein Problem. | |
Sollte man dann nicht die Nationalparkflächen vergrößern? | |
Das ist schwer zu beantworten. Das ist auch eine gesellschaftliche | |
Entscheidung. Grundsätzlich ist es wünschenswert, größere Schutzflächen zu | |
haben, das sagen auch Forstexperten. Eine Studie hat ergeben, dass | |
naturnahe Wälder wie in den Nationalparks einen höheren Mehrwert für die | |
Gesellschaft kreieren. Auf der anderen Seite brauchen wir natürlich | |
Nutzholz. Die Abwägung ist schwierig, wie viele Schutzgebiete will man | |
haben, wie viel Nutzung muss sein. | |
Was kommt auf den Nationalpark Harz jetzt zu? | |
Ich kann nur eingeschränkt in die Zukunft schauen, aber es ist davon | |
auszugehen, dass auch die kommenden Sommer trocken werden. Das ist | |
problematisch für alle Baumarten, auch für die Buchen und Eichen. Wir | |
müssen uns intensiver mit dem Thema Wasser auseinandersetzen, Wasser und | |
Wald – das gehört unmittelbar zusammen. | |
12 Apr 2021 | |
## AUTOREN | |
Juliane Preiß | |
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