| # taz.de -- Geflüchtete auf den Kanarischen Inseln: Ein zweites Lesbos | |
| > Die Überfahrten von Westafrika nach Teneriffa und anderen Inseln im | |
| > Atlantik nehmen zu. Dort sitzen die Menschen in überfüllten Lagern fest. | |
| Bild: Lebensmittelspende mit Corona-Abstand: Außerhalb des Lagers Las Raices a… | |
| Madrid taz | „Ich bin mitten in der Covid-19-Pandemie mit weiteren 23 | |
| Männern in einem Zelt untergebracht“, beschwert sich Saliou am Telefon. | |
| „Sozialer Abstand? Völlig unmöglich“, fügt er hinzu. Der 27-jährige | |
| Schuster aus dem westafrikanischen Guinea ist seit einem halben Jahr auf | |
| der Kanareninsel Teneriffa. Seit zwei Monaten ist er im Lager Las Raices | |
| nahe der Stadt La Laguna untergebracht. | |
| Las Raices ist mit 1.800 Flüchtlingen die größte [1][Unterkunft auf den | |
| Kanaren]. Auf Teneriffa gibt es noch zwei weitere kleinere Camps. Insgesamt | |
| hat die spanische Regierung auf den Inseln sieben Massenunterkünfte | |
| eingerichtet. „Nachts ist es richtig kalt, für Gesundheitsversorgung musst | |
| du ewig anstehen, das Essen ist eine Katastrophe“, beschreibt Saliou seinen | |
| Alltag. Er möchte nur eines: „Auf das spanische Festland oder gar nach | |
| Frankreich …“ Dort würde er zumindest die Sprache beherrschen. Familie hat | |
| er, wie viele seiner Leidensgenossen, in Europa keine. | |
| Saliou ist einer der über 23.000 Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr die | |
| [2][Überfahrt in prekären Booten von Afrika auf die spanischen Inseln] im | |
| Atlantik geschafft haben. Das sind so viele, wie seit dem Rekordjahr 2006 | |
| nicht mehr. Schuld an der Flüchtlingswelle sind bewaffnete Konflikte in | |
| Teilen Westafrikas und die Coronapandemie, die eine schwere wirtschaftliche | |
| Krise zur Folge hatte. So liegt etwa die [3][Tourismusbranche in Marokko] | |
| darnieder. Auswandern ist oft die einziger Möglichkeit. | |
| Saliou ist die Reise nach Europa „wegen schwerer Probleme“ angetreten. | |
| Wegen welcher genau, möchte er nicht sagen, ebenso wenig wie seinen | |
| Nachnamen. „Nur so viel: Ich kann nicht zurück, ohne Gefahr für mein | |
| Leben“, sagt er dann noch. Drei Monate war er unterwegs, bevor er im | |
| Senegal eine Möglichkeit für die Überfahrt fand. Dass dies hier so etwas | |
| wie eine Endstation sein könnte, hatte er nicht erwartet. | |
| ## Sánchez reagiert mit aller Härte | |
| „Alle wollen weg von den Inseln“, erklärt Roberto Mesa, Sprecher der | |
| Versammlung zur Unterstützung der Migranten, eine Gruppe von mehreren | |
| Dutzend freiwilligen Helfern, die unter anderem Rechtsbeistand organisieren | |
| und Sprachunterricht geben. „Viele haben sogar einen Brief von Angehörigen | |
| irgendwo in Europa dabei, die sich bereit erklären, für sie aufzukommen“, | |
| fügt Mesa hinzu. Doch es nützt nichts. | |
| Die spanische Koalitionsregierung aus Sozialisten und Linksalternativen | |
| unter Pedro Sánchez zeigt sich hart. Überfahrten gibt es nur in ganz | |
| wenigen Ausnahmefällen. Sánchez, der zu Amtsbeginn durch die [4][Aufnahme | |
| von Flüchtlingen] auf Schiffen für Aufsehen in Europa sorgte, reagiert | |
| jetzt mit aller Härte. Er befürchtet, dass massenhafte Aufnahmen von | |
| Menschen der wachsenden extremen Rechten rund um die drittstärkste Partei | |
| VOX in die Hände spielen könnte. | |
| Las Raices sorgt, seit es Anfang des Winters eingerichtet wurde, für | |
| Negativschlagzeilen. Die Flüchtlingslager werden von | |
| Nichtregierungsorganisationen verwaltet, die von der Regierung dafür | |
| bezahlt werden. Im Falle von Las Raices ist es Accem. | |
| „Accem spart, wo es nur geht“, beschwert sich Mesa. „Nur zwei | |
| Krankenpfleger für das gesamte Camp, viel zu wenige Anwälte und Psychologen | |
| …“, zählt er auf. Bilder von undefinierbarer Pampe auf kleinen | |
| Plastiktabletts machen die Runde in den sozialen Medien. Die Pressestelle | |
| von Accem bittet freundlich um eine E-Mail mit Fragen – Antworten kommen | |
| nicht. Abgeordnete und Journalisten bekommen keinen Zugang zum Lager. | |
| Die Menschen dürfen tagsüber das Lager verlassen. „Doch wer mehr als drei | |
| Nächte wegbleibt, bekommt den Zugangsausweis entzogen“, sagt Mesa. Das | |
| wiederum heißt, dass die Polizei die Betreffenden aufgreifen und abschieben | |
| kann. 30 Flüchtlinge haben dennoch beschlossen, aus Protest gegen die | |
| schlechten Bedingungen direkt außerhalb des Lagers zu campieren. Die | |
| Versammlung zur Unterstützung der Migranten versorgt sie dreimal am Tag mit | |
| Essen. | |
| ## Anspannung im Camp | |
| „Die Camps sind keine vorübergehenden Phänomene“, ist sich Mesa sicher. | |
| Accem habe einen Vertrag über sechs Jahre. Die Enge, die schlechten | |
| Bedingungen und die Ungewissheit, wie es weitergeht, machen aus dem Lager | |
| einen Dampfkessel, der jederzeit explodieren kann. Zuletzt kam es Anfang | |
| April zu einer Massenschlägerei. Die Polizei setzte Knüppel und | |
| Gummigeschosse ein. Die Folgen: 20 Verletzte und acht Festnahmen. | |
| „Der Polizeieinsatz ist ungeheuerlich und trägt nur dazu bei, ein negatives | |
| Bild des Konflikts zu zeichnen“, erklärt Estrella Galán, die | |
| Generaldirektorin der Spanischen Flüchtlingshilfskomission (CEAR), | |
| anlässlich der Präsentation einer Untersuchung über die Lager auf den | |
| Kanaren. | |
| CEAR, die direkt mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen | |
| zusammenarbeitet, beklagt die „unmenschliche Behandlung“. „Die Kanarischen | |
| Inseln dürfen nicht für diese Inseln mit abschreckenden Maßnahmen stehen | |
| (…) Das ist kein Migrationsmanagement, das ist Grenzmanagement“, sagt | |
| Galán. Spanien würde sich zur Schutzmauer für den Rest Europas machen. Die | |
| Kanaren liefen Gefahr, wie [5][Lampedusa] oder [6][Lesbos], „zu | |
| Gefängnisinseln“ zu werden. | |
| 16 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Reiner Wandler | |
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