# taz.de -- Geflüchtete Auszubildende: Baggern um Azubis | |
> In Berlin dürfen Sprachschüler*innen für einen Tag bei einem Berliner | |
> Tiefbauunternehmen Hand anlegen. Das hofft, so Nachwuchs anwerben zu | |
> können. | |
Bild: Bau statt Büro? Elaheh Dehbozorgi probiert es aus | |
BERLIN taz | Im Führerhäuschen des Baggers bedient Elaheh Dehbozorgi einen | |
Hebel. Die Baggerschaufel öffnet sich, ein Haufen Erde rumpelt mitten auf | |
den Hof des Tiefbauunternehmens Frisch und Faust in Berlin. Die Gruppe um | |
den Bagger herum klatscht. „Wenn sie jetzt noch rechnen kann, hat sie den | |
Job“, ruft der kaufmännische Leiter und Prokurist Dieter Mießen fröhlich. | |
Dehbozorgi ist eine von mehreren Teilnehmenden eines Berufssprachkurses, | |
die an diesem Tag mit ihrer Lehre das Berliner Unternehmen besuchen. „Taste | |
the Job – Azubi für einen Tag“ heißt die Veranstaltung, die junge | |
Geflüchtete und Zugewanderte für eine Ausbildung erwärmen soll. | |
Das soll den jungen Menschen eine Perspektive geben, genauso aber den | |
Unternehmen: „[1][Der Fachkräftemangel] beschäftigt uns schon seit einigen | |
Jahren“, erklärt Mießen. Mit der Coronapandemie sei es noch deutlich | |
schlimmer geworden. Davor habe das Unternehmen mit seinen rund 200 | |
Mitarbeitenden immer alle [2][Ausbildungsplätze besetzen] können. Für das | |
kommende Ausbildungsjahr aber seien zwölf Plätze noch unbesetzt. | |
Frisch und Faust wirbt schon lange gezielt um Azubis mit Migrations- und | |
auch mit Fluchtgeschichte. Das Unternehmen organisiert Baustellentage, | |
bietet Praktika an, geht auf Messen und in Schulen. Und es ist Mitglied im | |
[3][Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge], das den Besuch der | |
Sprachschüler*innen an diesem Tag organisiert hat. Gerade für | |
Zugewanderte seien solche Einblicke wichtig, sagt Mießen. Viele könnten | |
sich unter dem dualen Ausbildungssystem in Deutschland und den vielen | |
möglichen Ausbildungsberufen wenig vorstellen. | |
## Um die Wette schrauben | |
Und so dürfen Elaheh Dehbozorgi und ihre Mitschüler*innen einen | |
Erdhaufen wegbaggern, einem Kanalroboter zuschauen, wie er ein Rohr reinigt | |
und um die Wette Rohrverbindungen zusammenschrauben. Alles unter den | |
wohlwollenden Blicken von Achim Dercks, stellvertretender | |
Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), und | |
von Michael Kellner, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und | |
Mittelstandsbeauftragter der Bundesregierung. | |
Der Grünen-Politiker ist denn auch der Grund, warum Dehbozorgi beim | |
Rohrschraubwettbewerb nicht punkten kann: Während sie zusammen mit dem | |
Azubi Buba Jammeh versucht, Muttern festzuziehen, fragt Kellner sie aus: Wo | |
sie herkomme, was sie mache, was ihre Pläne seien. Sie sei | |
Softwareentwicklerin, antwortet die junge Iranerin. Seit einem Jahr ist sie | |
in Deutschland, hat hier Asyl beantragt. | |
Das Baggerfahren habe Spaß gemacht, erzählt die zierliche junge Frau mit | |
der weißen Bluse und dem Goldkettchen. So ganz sei es aber nicht ihr Ding. | |
Am liebsten wolle sie in ihrem Bereich arbeiten, doch die Anerkennung ihres | |
Abschlusses sei langwierig und kompliziert. Eine Ausbildung könne sie sich | |
schon vorstellen – vielleicht im Bereich der Altenpflege. Aber sicher sei | |
sie noch nicht. | |
Was Dehbozorgi beschreibt, sehe sie in den Sprachkursen derzeit häufig, | |
sagt Sprachlehrerin Anna Eckold. Viele Teilnehmende hätten eine | |
Hochschulbildung, könnten in ihren Berufen aber vielfach nicht arbeiten, | |
weil die [4][Anerkennung ihrer Qualifikation so langwierig oder geradezu | |
unmöglich sei]. „Wir haben im Kurs auch einen palästinensischen Mediziner | |
aus Syrien, der kann überhaupt nicht absehen, ob und wenn ja, wann er | |
jemals in Deutschland in seinem Beruf arbeiten kann“, sagt Eckold. | |
## Worte des Lobs | |
Bei den Ukrainer*innen, derzeit die größte Gruppe im Kurs, käme noch dazu, | |
dass viele immer noch hofften, bald wieder nach Hause zurückkehren zu | |
können. „Das hilft natürlich nicht dabei, alle nötige Energie in diese doch | |
sehr schwierige deutsche Sprache zu stecken.“ | |
Vielen ihrer Sprachschüler*innen falle es schwer, sich umzuorientieren, | |
erzählt die Lehrerin. „Zum einen, weil handwerkliche Berufe oft eher als | |
Abstieg gesehen werden. Zum anderen haben viele Teilnehmende aber gar kein | |
Bild davon, was es mit einer Ausbildung alles für Berufsbilder in | |
Deutschland gibt.“ Dafür seien Besuche wie der heutige sehr hilfreich. „Ich | |
könnte mir einige meiner Teilnehmenden als Azubi hier vorstellen“, sagt | |
Eckold. „Sie selber können das aber glaube ich noch nicht.“ | |
Später lobt der Mittelstandsbeauftragte das Engagement von Frisch und Faust | |
in höchsten Tönen. Die Gruppe steht nun in einer Werkhalle des | |
Unternehmens. Hinter dem Politiker stapeln sich in einem Regal die | |
Autoreifen, die Sprachschüler*innen bedienen sich an der aufgebauten | |
Tafel mit Kaffee und Kuchen. Flaschenöffner in Form eines Bauhelms werden | |
verteilt. Auszubildende mit Flucht- und Zuwanderungshintergrund seien in | |
den letzten Jahren „zu einer wichtigen Zielgruppe für die Unternehmen | |
geworden“, erklärt Kellner. | |
Dieter Mießen kann das nur bekräftigen: Von den aktuell 35 Azubis von | |
Frisch und Faust seien fünf geflüchtet oder zugewandert. Einer von ihnen, | |
Buba Jammeh, hat an diesem Nachmittag Dehbozorgi und ihren | |
Mitschüler*innen beim Verschrauben der Rohrverbindungen geholfen. Er | |
komme aus Gambia, erzählt er. 2019 sei er nach Deutschland geflüchtet, seit | |
2022 mache er die Ausbildung zum Tiefbaufacharbeiter mit Schwerpunkt | |
Straßenbau. | |
## Mit Anlauf in die Ausbildung | |
Die Ausbildung ist für ihn in mehrerlei Hinsicht existenziell: Jammeh hat | |
eine [5][Ausbildungsduldung, die ihn vor der Abschiebung schützt]. „Ich | |
kann, wenn ich fertig bin, hier übernommen werden“, sagt er. Das sichert | |
ihm für weitere zwei Jahre einen Aufenthaltstitel. „Wir sind froh, diese | |
helfenden Hände gefunden zu haben“, sagt Mießen. | |
Zu Frisch und Faust ist Jammeh über eine Maßnahme der Bundesagentur für | |
Arbeit (BA) gekommen. Nach einem ersten Praktikum konnte er bleiben – | |
zunächst über die sogenannte Einstiegsqualifizierung. Dieses | |
sozialversicherungspflichtige Praktikum von bis zu einem Jahr wird von der | |
BA finanziell gefördert. „Der große Vorteil der EQ ist, dass sie den Zugang | |
zur Berufsschule ermöglicht“, sagt Achim Dercks von der DIHK. „Die Leute | |
können dann mit Anlauf in die Ausbildung starten.“ | |
Gerade die Sprachbarriere sei ein großes Problem, ergänzt Mießen. „In der | |
Berufsschule müssen die Azubis ab dem ersten Tag mit der Sprache | |
klarkommen.“ Schon nach wenigen Wochen stünden dann die ersten | |
Klassenarbeiten an. „Eigentlich bräuchte es für Nicht-Muttersprachler einen | |
Zeitzuschlag in den Prüfungen, wie es ihn auch für Menschen mit ADHS gibt“, | |
fordert Mießen. „Denn wenn die erste Sechs geschrieben ist, dann startet | |
eine Spirale des Misserfolgs. Da wieder herauszukommen, ist extrem schwer.“ | |
31 May 2024 | |
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## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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