# taz.de -- Galoppsport in Leipzig: Tod auf der Rennbahn | |
> Seit 1867 wettet man auf der Galopprennbahn Scheibenholz auf das | |
> schnellste Pferd. Die Tiere riskieren für das Spektakel ihr Leben. | |
Bild: Gefährlicher Galopp: Pferderennen vor historischer Tribüne im Scheibenh… | |
Leipzig taz | Wenn die Galopprennbahn Scheibenholz an diesem Sonnabend ihr | |
150-jähriges Bestehen feiert, wird es hinterher wieder viele schicke Bilder | |
geben: von kunstvoll gestalteten Hüten, von der historischen Tribüne, den | |
edel schimmernden Pferden. Bis zu 60 Vollblüter treten im Leipziger Süden | |
gegeneinander an. | |
Befeuert von Tausenden Zuschauern werden sie in sieben Rennen über die rund | |
zwei Kilometer lange Grasbahn donnern, auf ihrem Rücken die auf und ab | |
hüpfenden Jockeys. Und wenn die Pferde Glück haben, wird keines von ihnen | |
am Ende des Tages sein Leben auf der Rennbahn lassen. | |
Jedes Jahr sterben Rennpferde in Deutschland direkt auf dem Turf. Allein im | |
Jahr 2016 waren es zwölf. Wenn sie stürzen und sich dabei Knochen brechen, | |
werden sie oft noch an Ort und Stelle getötet. In Leipzig geschah dies | |
zuletzt im August 2016, als Hengst Lenno sich vor der letzten Kurve das | |
Bein brach. Auf YouTube ist das Rennvideo zu sehen: Nach dem Sturz springt | |
das Tier vor Schmerzen auf, sein rechtes Vorderbein schlackert hilflos hin | |
und her. | |
Das sind die hässlichen Bilder eines Sports, der hierzulande mit jährlich | |
einer Million Zuschauern eine der meistbesuchten Sportarten ist. Für die | |
Hauptdarsteller, die Pferde, ist es ein Hochleistungssport. Mit bis zu 65 | |
Stundenkilometern preschen die Tiere über die Bahnen und erwirtschaften | |
ihren Besitzern, wenn es gut läuft, stattliche Gewinne. 10.000 Euro beträgt | |
das Preisgeld beim höchstdotierten Rennen am Samstag. | |
## Galoppsport als Geschäft | |
Je höher die Preisgelder sind, desto attraktiver ist es für Pferdebesitzer, | |
ihre besten Tiere anzumelden. Die Veranstalter wiederum profitieren von | |
einem attraktiven Startfeld, das viele Zuschauer und Wettfreunde anzieht. | |
Für die Rennbahnbetreiber ist das Gelingen eines Renntags immens wichtig: | |
Allein der Unterhalt der 30 Hektar großen Anlage im Leipziger Scheibenholz | |
kostet 100.000 Euro im Jahr. Auch die Preisgelder werden von den | |
Rennveranstaltern finanziert, meist mit Hilfe von Sponsoren. Einnahmen | |
generieren die Veranstalter durch Eintrittsgelder und Wettumsätze, dazu | |
kommen Startgelder für die Pferde und Erlöse aus der Gastronomie. | |
Tierschützer kritisieren den Galoppsport schon lange. „Es geht um Geld und | |
Prestige. Tod und Verletzungen der Pferde werden in Kauf genommen“, sagt | |
Peter Höffken von der Tierschutzorganisation Peta. Er spricht von einer | |
systematischen Überforderung der Tiere. | |
Damit die Pferde die entscheidende Sekunde vor ihrer Konkurrenz ins Ziel | |
kommen, würden sie mit Peitschenhieben, Zungenbändern und scharfen Gebissen | |
zu unnatürlichen Höchstleistungen getrieben. „Die Tiere geraten dabei | |
leicht in Panik, rennen um ihr Leben. Es kann passieren, dass eines von | |
ihnen stolpert und stürzt.“ | |
## Tod eines Rennpferds | |
So wie Lenno im vorigen Jahr. Für Jana Kirsten war es das sechste Pferd, | |
dass sie einschläfern musste. Seit 1998 betreut die Tierärztin die Pferde | |
im Leipziger Scheibenholz. Sie begutachtet die Tiere vor und nach den | |
Rennen, bewertet ihre Renntauglichkeit. Da bei einem Pferd ein Beinbruch | |
zumeist nicht ausheilen könne, müssten sie nach einem Sturz getötet werden, | |
erklärt sie. | |
Das Video von Lennos Sturz habe sie sich gefühlt tausend Mal angeschaut. | |
„Es gab keine Rempelei, kein Loch im Boden. Lennos Bein ist quasi | |
auseinandergefallen. Das hätte ihm auch auf der Koppel passieren können.“ | |
Natürlich hätten ihre Hände gezittert, als sie sein Herz mit einer Spritze | |
zum Stillstand gebracht habe. | |
Trotzdem: Die 48-Jährige bezeichnet sich als Liebhaberin des Pferdesports. | |
Früher ist sie selbst als Amateurin auf dem Scheibenholz-Gelände geritten, | |
heute besitzt sie ein ehemaliges Rennpferd für die Zucht von | |
Dressurpferden. | |
Sie ist überzeugt, dass die Rennpferde von ihren Trainern und deren Team | |
die beste Pflege erhielten. Sie würden ordentlich gefüttert, jeden Tag | |
bewegt. „Die Besitzer investieren viel Zeit und Geld in die Ausbildung der | |
Tiere. Es sind Sportpferde, die im Training sorgfältig auf ihre Aufgabe | |
vorbereitet werden.“ | |
## Tierschützer kritisieren den Sport | |
Peta-Aktivist Höffken bezweifelt die artgerechte Haltung der Rennpferde. Da | |
die Tiere für ihre Besitzer einen immensen Wert hätten, sei ihre Pflege vor | |
allem darauf ausgerichtet, dass sich die Tiere nicht verletzten. Sie | |
stünden die meiste Zeit allein in ihren Boxen und kämen oft nicht auf die | |
Koppel. | |
Und was mit verletzten oder lahmen Tieren geschehe, sei empörend: „Wenn sie | |
nicht mehr schnell genug rennen können, werden sie aussortiert, viele | |
geschlachtet. Kaum ein Rennpferd erreicht sein natürliches Lebensalter.“ | |
Tierärztin Kirsten hält dagegen, dass sich die meisten Trainer und Besitzer | |
um einen Platz im Freizeitbereich für das Pferd bemühten, wenn die Karriere | |
des Tieres zu Ende gehe. | |
Beim Thema Tierschutz stehen sich Galoppbefürworter und -gegner | |
unversöhnlich gegenüber. Besonders umstritten ist der Einsatz der Peitsche. | |
Für Tierschützer verstößt der Gebrauch der bis zu 75 Zentimeter langen | |
Gerte gegen das Tierschutzgesetz. Befürworter des Sports sprechen von einem | |
Hilfsmittel, um das Tier zu motivieren. Bis zu fünf Hiebe erlaubt die | |
Rennordnung, bei Überschreitung drohen Strafgelder. | |
Eingehalten wird die Regel deshalb nicht. Beim Deutschen Derby in Hamburg | |
wurde der Außenseiter Isfahan im vergangenen Jahr mit neun Schlägen zum | |
Sieg gepeitscht. Angesichts eines Preisgelds von 390.000 Euro nahmen Reiter | |
und Besitzer eine Strafe von 16.000 Euro in Kauf. Kurz vor dem Ziel schlug | |
der Jockey mehrfach auf den Hengst ein. Selbst der Geschäftsführer des | |
Galoppverbands spricht von einem „hässlichen Derby“, Besucher wollten | |
solche Bilder zu Recht nicht sehen. | |
Imageschäden wie beim Rennen in Hamburg sind für die Branche | |
existenzgefährdend. Mittlerweile kämpfen viele Rennbahnen in Deutschland | |
ums Überleben. Neben den Besucherzahlen gehen die Wetteinnahmen zurück. | |
Verbuchten die Rennbahnen vor Einführung von Onlinewetten noch rund 100 | |
Millionen Euro Umsatz, waren es im letzten Jahr nur noch 26 Millionen Euro. | |
## Ein Buchmacher als Investor | |
Auch das Leipziger Scheibenholz stand schon einmal vor dem Aus. 2005 musste | |
der Leipziger Galoppverein Insolvenz anmelden. Das Interesse an der einst | |
umsatzstärksten Galopprennbahn in Ostdeutschland war jahrelang | |
zurückgegangen. | |
Nur durch den Einstieg von Alexander Leip, eines privaten Investors, konnte | |
der Rennbetrieb aufrechterhalten werden. 2012 wurde auch mit seinem Geld | |
die denkmalgeschützte Tribüne saniert. Heute kommen zu etwa fünf Renntagen | |
im Jahr 35.000 Zuschauer, zu DDR-Zeiten waren es noch bis zu 30 | |
Veranstaltungen mit Hunderttausenden Zuschauern. | |
Leip, ein Millionär aus dem Wettgeschäft, verfolgt ein neues | |
Rennbahnkonzept: Auf dem Scheibenholz-Gelände finden jetzt auch Flohmärkte, | |
Filmabende und Konzerte statt. Mit Pferdesport allein lässt sich die | |
Anlage nicht bewirtschaften. Damit das Scheibenholz eine Zukunft hat, | |
müssen neue Zielgruppen gewonnen werden. | |
Ganz auf den Galoppsport zu verzichten, wie es Peta-Aktivist Höffken | |
fordert, käme für Leip aber nicht infrage. Der gelernte Buchmacher hat | |
nicht nur viel Geld investiert, er hängt auch an der Tradition und am | |
Prestige der Rennbahn. | |
35 Jahre gilt der Erbpachtvertrag für das Scheibenholz-Gelände noch. Wenn | |
die Zuschauerzahlen stabil bleiben, werden auch in den nächsten Jahren | |
Pferde über das Gras donnern, wird es schöne Bilder von elegant gekleideten | |
Besuchern auf der historischen Tribüne geben. Und es wird weiterhin Pferde | |
wie Lenno geben, die vor dieser Kulisse ihr Leben lassen. | |
15 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Maximilian König | |
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