# taz.de -- Film von US-Kino-Ikone Clint Eastwood: Wo Stereotype fatal sein kö… | |
> Clint Eastwood erzählt in „Der Fall Richard Jewell“ von einem realen | |
> US-„Medienprozess“ – mit einem großartig zwiespältigen Helden. | |
Bild: Richard Jewell im Einsatz | |
Wie alt [1][Clint Eastwood] ist, lässt sich nicht nur an der stolzen 90 | |
ablesen, die er am 31. Mai dieses Jahres erreicht hat. Mehr noch zeigt es | |
sich in der Haltung, die man ihm entgegenbringt. Er ist eine der wenigen | |
US-Kino-Ikonen mit konservativen Ansichten, der rundum noch Respekt, ja | |
Verehrung entgegengebracht wird. Dass sein „Dirty Harry“ nicht gerade ein | |
Vorbild für fortschrittliche Polizeimethoden ist, hat genauso wenig zu | |
„Cancel“-Aufforderungen geführt wie Eastwoods Unterstützung für Mitt Rom… | |
und Mike Bloomberg. | |
Schwer zu sagen, woran es liegt, aber etwas an Eastwood inspiriert | |
besonders Linke, ihn trotz alledem auf der „richtigen“ Seite zu wähnen, da, | |
wo die Schwächeren verteidigt werden, ein Mann noch Mann ist, ohne gleich | |
toxisch sein zu müssen, und der Eigenbrötler still in den Sonnenuntergang | |
davonreitet, nachdem er mal wieder der Gemeinschaft geholfen hat. | |
In „Richard Jewell“ wendet sich Eastwood wie oft in den letzten Jahren | |
(siehe „Scully“, [2][„American Sniper“], „15:17 to Paris“) einem re… | |
wenn auch eher „problematischen“ Helden zu. Jewell rettete Hunderte von | |
Menschen das Leben, als er 1996 während der Olympischen Spiele in Atlanta | |
auf dem Gelände eine Bombe ausfindig machte und Alarm schlug, kurz bevor | |
sie explodierte. Das Glück, als nationaler Held gefeiert zu werden, dauerte | |
nicht lang. | |
Wenige Tage nach dem Attentat, bei dem zwei Menschen starben und über | |
hundert verletzt wurden, geriet Jewell selbst unter Verdacht. Ein | |
übergewichtiger Security-Angestellter, der noch bei seiner Mutter wohnte, | |
ein großes Waffenarsenal besaß und bei früheren Security-Jobs dadurch | |
aufgefallen war, dass er mit Übereifer kleinste Übertretungen verfolgte, | |
wurde Jewell zum idealen Verdächtigen, weil er genau in das Profiler-Bild | |
des „einsamen Bombers“ zu passen schien. | |
Zuerst sah das nur das FBI so, dann aber, nach einem „Leak“, auch die | |
Presse. Und so begann einer jener „Medienskandale“, deren Perfidie darin | |
besteht, dass die Anklägerseite ihre in Schlagzeilen geäußerten | |
Verdächtigungen kaum richtig beweisen muss. | |
## Großspurig und fürsorglich | |
Paul Walter Hauser verkörpert diesen Jewell in einem der großen übersehenen | |
Auftritte des letzten Kinojahrs. Von den ersten Szenen an, wo er sich als | |
eine Art Büro-Hausmeister einem dort tätigen Rechtsanwalt (Sam Rockwell) | |
mit Großspurigkeit und Großzügigkeit aufdrängt, sieht man sich als | |
Zuschauer in den Zwiespalt versetzt: Man durchschaut sein Angebertum, wenn | |
er sich als „Mann des Gesetzes“ vorstellt, man ist aber auch eingenommen | |
von der fürsorglichen Aufmerksamkeit, mit der er die Snickers-Vorräte des | |
Anwalts auffüllt. Man ist ein bisschen abgestoßen von der | |
Selbstverständlichkeit seiner Law-&-Order-Einstellungen, aber genauso rührt | |
einen die Unbedingtheit der Liebe zur ältlichen Mutter (Kathy Bates). | |
Als sozialer Außenseiter erscheint er allzu bedürftig und autoritätshörig, | |
eine Figur, die man geringschätzt und ihr genau deshalb alles zutraut: | |
Eastwood und sein Drehbuchautor Billy Ray müssten ihren Film nur ein klein | |
wenig anders anlegen, und schon wäre man von seiner Schuld von Anfang an | |
überzeugt. Aber so kann man genau verfolgen, wie Jewell, trotz bester | |
Absichten, in Verdacht gerät. Die Vorurteile, die dabei zur Wirkung kommen, | |
sieht man auf der Leinwand, während man sie quasi selbst erlebt. | |
Es ist ein ziemlich faszinierender Vorgang. Der Kinozuschauer kann | |
nachvollziehen, was etwa Jon Hamm als FBI-Ermittler über Jewells beständige | |
Anbiederungsversuche denkt, aber er sieht auch, wie vorschnell die Schlüsse | |
sind, die er daraus zieht. Changierend zwischen den Stereotypen des | |
„leutseligen Dicken“ und des soziopathischen „Creep“, verleiht Hauser | |
seiner Figur eine Komplexität und Vieldeutigkeit, wie es selten vorkommt | |
bei einer Rolle, die sonst meist in die zweite Reihe abgeschoben wird. | |
## Reich an Klischees | |
Das ist der lohnende Teil von „Richard Jewell“. Und dann gibt es aber auch | |
einen ärgerlichen, der leider fast die Gesamtheit der Nebenrollen | |
einschließt. Kathy Bates als „einfache“ Frau, der die Pressehetze schwer an | |
die Nieren geht, ist zwar meisterhaft in ihrem Minimalismus, aber Sam | |
Rockwell als abgebrühter Anwalt, der seinen Freund und Klienten mit „tough | |
love“ zur Vernunft bringt, und Jon Hamm als skrupelloser FBI-Agent – sie | |
alle zusammen kommen wie Klischees aus Filmen der 50er Jahre daher. | |
Richtig schlimm wird es mit Olivia Wilde, die eine Journalistin verkörpert, | |
die sich den Tipp des FBI „erschläft“ und dann mit ihrem Artikel die Jagd | |
auf Jewell lostritt. Die Zeitung Atlanta Journal-Constitution, wo Wildes | |
reales Vorbild, die jung verstorbene Kathy Scruggs, arbeitete, versuchte | |
zum Kinostart von „Richard Jewell“ in den USA einen Disclaimer von Eastwood | |
zu erwirken und schürte eine Kontroverse gegen die auf keinen Tatsachen | |
beruhende Darstellung, dass Reporterinnen Informationen mit Sex erkauften. | |
Fast hätte die Debatte darüber dann doch an Eastwoods Ansehen gekratzt, | |
aber im Wesentlichen traf sie den Film, der lediglich ein enttäuschendes | |
Ergebnis an der Kasse einfuhr. | |
25 Jun 2020 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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