# taz.de -- Fehlerkultur beim RKI: Vertrauen verspielt | |
> Mit der Unfähigkeit, einen Fehler einzugestehen, beschädigt das Robert | |
> Koch-Institut seine Glaubwürdigkeit bei denen, die es bisher verteidigt | |
> haben. | |
Bild: Stets unter kritischer Beobachtung: Lothar Wieler (2. v. l.) in einer Kon… | |
Das Robert Koch-Institut (RKI) hat es in den letzten anderthalb Jahren | |
wahrlich nicht leicht gehabt. Hat Deutschlands oberste Gesundheitsbehörde | |
bisher eher unauffällig vor sich hin gearbeitet, sind die Institution und | |
ihr Präsident Lothar Wieler mit Beginn der Coronapandemie im Frühjahr 2020 | |
schlagartig ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit gerückt. Und damit | |
auch in die Kritik: Spott über Kommunikation per Faxgerät, Ärger über | |
veraltete, unvollständige oder schlecht aufbereitete Zahlen und | |
Verwunderung über unklare Aussagen gab es reichlich. | |
Manches davon war berechtigt, manches nicht. Einiges war tatsächlich die | |
Schuld der Behörde, anderes lag eher an Gesundheitsämtern, die sich der | |
Digitalisierung verweigerten, oder am Gesundheitsministerium, das neue | |
Stellen nicht bewilligte. | |
Als jemand, der die Zahlen des RKI regelmäßig nutzt und in häufigem | |
Austausch mit der Pressestelle steht, fand ich die Kritik bisher oft | |
übertrieben. Wer lange genug gesucht und hartnäckig genug gefragt hat, | |
bekam durchaus brauchbare Antworten. | |
Doch nun hat mein Vertrauen in die Arbeit des RKI einen Knacks bekommen. | |
Denn die Behörde weigert sich beharrlich, einen Fehler einzugestehen und zu | |
korrigieren. | |
## Systematischer Fehler | |
Ohne dabei zu sehr in die mathematischen Details einsteigen zu wollen: Es | |
geht um eine Berechnung zur angeblichen Wirksamkeit der Corona-Impfungen, | |
die das RKI erstmals vor 10 Tagen [1][in seinem täglichen Coronabericht | |
veröffentlicht hat]. Es kam zu dem Ergebnis, dass die Impfungen eine | |
Wirksamkeit von fast 99 Prozent gegen jede Form einer symptomatischen | |
Erkrankung haben – was ziemlich sensationell wäre. Denn die bisherigen | |
Studien hatten nur eine Wirksamkeit von etwa 95 Prozent ergeben, und das | |
nicht gegen sämtliche Erkrankungen, sondern nur gegen einen schweren | |
Verlauf. | |
Ein bisschen Recherche hat schnell gezeigt, dass das Ergebnis wirklich zu | |
schön war, um wahr zu sein: Das RKI hat einen systematischen Fehler | |
gemacht. Die Formel, die zur Berechnung der Impfwirksamkeit genutzt wurde, | |
verwendet zum einen den Anteil sogenannter Impfdurchbrüche, also die Zahl | |
derjenigen, die trotz vollständiger Impfung erkranken. Und zum anderen den | |
Anteil derjenigen, die vollständigen Impfschutz haben. Dabei hat das RKI | |
jedoch mit zwei Werten gerechnet, die nicht zueinander passen: Bei den | |
Impfdurchbrüchen wurde die Gesamtzahl seit Beginn der deutschen | |
Impfkampagne genutzt, bei der Impfquote dagegen der aktuellste Stand von | |
Mitte Juni. Die Rechnung geht also davon aus, dass im Januar schon genauso | |
viele Menschen geimpft waren wie im Juni. | |
Dass man die Formel so nicht nutzen kann, haben nicht nur mehrere Experten | |
bestätigt, darunter Karl Lauterbach. Das geht auch aus | |
[2][Veröffentlichungen aus anderen Ländern] hervor, die zeigen, wie eine | |
korrekte Berechnung bei sich ändernden Impfquoten durchgeführt wird – | |
nämlich indem die Impfwirksamkeit jeweils nur für eine Woche berechnet und | |
daraus ein Gesamtwert ermittelt wird. [3][Auch die WHO schreibt in einer | |
Publikation, dass die vom RKI genutzte Methode nur angewendet werden | |
sollte, wenn die Impfquote im betrachteten Zeitraum stabil ist.] | |
## Falsche Berechnungen | |
Doch das Robert Koch-Institut will davon bisher nichts wissen. „Die | |
Berechnung ist korrekt“, heißt es in der [4][Antwort auf eine taz-Anfrage]. | |
Im Tagesbericht wird die mit der falschen Methode berechnete | |
Impfeffektivität eine Woche nach der ersten Veröffentlichung lediglich um | |
einen Hinweis ergänzt. Darin wird bestätigt, dass die steigende Impfquote | |
nicht berücksichtigt wurde. Dass das zu einer „leichten Überschätzung der | |
Wirkung der Impfung“ führt, wie es in der Anmerkung im Bericht weiter | |
heißt, ist dabei durchaus eine starke Untertreibung. „Der Fehler ist nicht | |
klein, sondern groß“, sagt Lauterbach. | |
Wenn man die Berechnung korrekt nur für die aktuelle Woche durchführt, | |
ergibt sich eine Impfwirksamkeit von 93 Prozent – was sich doch deutlich | |
von den 99 Prozent unterscheidet, die das RKI berechnet hat. Ein Grund zur | |
Sorge ist der niedrigere Wert dabei aber keineswegs: Die korrekten Zahlen | |
belegen eine hervorragende Wirksamkeit, die gut zu anderen Studien passt – | |
nur eben keinen völlig unrealistischen Wert, der weitaus besser wäre als | |
alle bisherigen Ergebnisse. | |
Nun ist so eine falsche Berechnung für eine Behörde, in der jede Menge | |
Wissenschaftler*innen arbeiten, sicher peinlich. Doch auch hier wären | |
Fehler verzeihlich, wenn sie eingestanden und korrigiert werden. Dass das | |
RKI dazu nicht willens oder in der Lage ist, ist für mich das weitaus | |
größere Problem. | |
## Zweifel genährt | |
Über die Gründe dafür kann nur spekuliert werden. Dass die | |
Wissenschaftler*innen immer noch davon ausgehen, dass die genannten | |
Werte tatsächlich korrekt sind, scheint wenig wahrscheinlich. Eher dürfte | |
es so sein, dass man glaubt, das Eingeständnis eines solchen Fehlers wäre | |
schädlich. Tatsächlich ist abzusehen, dass viele, die die Gefährlichkeit | |
der Coronapandemie bestreiten, eine solche Korrektur als vermeintlichen | |
Beleg dafür nutzen würden, dass man den offiziellen Coronazahlen nicht | |
vertrauen kann. | |
Doch der Preis für eine solche Rücksichtnahme auf böswillige Kritiker ist | |
hoch. Denn damit verliert das Robert Koch-Institut auch das Vertrauen von | |
Menschen wie mir, die die Behörde bisher eher verteidigt haben. Und das ist | |
ein Problem. | |
Journalist*innen können nämlich nicht jede einzelne Zahl überprüfen; | |
sie müssen sich – in der Regel – darauf verlassen, dass Angaben von | |
Behörden korrekt sind, oder dass sie korrigiert werden, wenn sie das einmal | |
nicht sind. Wenn nun in einem Fall deutlich wird, dass genau das nicht | |
passiert, nährt das Zweifel auch an anderen Angaben. | |
Und solche Zweifel sind in einer Zeit, wo die Fallzahlen nicht mehr sinken | |
und [5][gleichzeitig das Impftempo deutlich nachlässt], das Letzte, was wir | |
brauchen. Um die Pandemie zu überwinden, sind verlässliche Informationen | |
der zuständigen Stellen eine unabdingbare Voraussetzung. | |
Update 7.7.21, 18 Uhr: | |
Nach Erscheinen dieses Artikels hat das Robert-Koch-Institut die Berechnung | |
der Impfeffektivität verändert. Im [6][Tagesbericht vom 7. Juli] heißt es: | |
„Im Gegensatz zu früheren Berichten wurde die Impfeffektivität wochenweise | |
berechnet und der Mittelwert aus den wochenweisen Einzelwerten gebildet.“ | |
Die Impfeffektivität liegt damit nicht wie in den bisherigen Berichten bei | |
99 Prozent, sondern bei 92 Prozent für 18- bis 59-Jährige und bei 91 | |
Prozent für Über-60-Jährige. Dass die bisherige Rechenmethode falsch war, | |
schreibt das RKI dabei nicht explizit, sondern erklärt nur, dass die neue | |
„besser“ sei: „Durch diese neue Vorgehensweise wird der dynamischen | |
Entwicklung der Impfquote besser Rechnung getragen.“ | |
6 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberi… | |
[2] https://www.eurosurveillance.org/deliver/fulltext/eurosurveillance/26/24/eu… | |
[3] https://apps.who.int/iris/rest/bitstreams/1337417/retrieve | |
[4] https://twitter.com/MKreutzfeldt/status/1410619903174873097?s=20 | |
[5] /Schleppende-Impfkampagne-in-Berlin/!5779181 | |
[6] https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberi… | |
## AUTOREN | |
Malte Kreutzfeldt | |
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Dilek Kalayci | |
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