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# taz.de -- Impfmüdigkeit in Deutschland: Erst Spritze, dann Disco
> Obwohl es immer mehr Impfstoff gibt, scheint die Nachfrage abzuflauen.
> Jetzt schmiedet die Politik Pläne, um mehr Menschen zu erreichen.
Bild: Wichtiger Pieks: Wie lassen sich mehr Menschen zur Corona-Impfung bewegen?
Berlin taz | Während die Deltavariante mittlerweile auch in Deutschland auf
dem Vormarsch ist und die Impfstoffmengen steigen, [1][sinkt die Zahl der
verabreichten Impfungen]. So wurden in der vergangenen Woche im Schnitt
rund 700.000 Menschen täglich geimpft. Drei Wochen zuvor waren es noch
856.000.
Die Nachfrage nach Terminen in Impfzentren sinkt vielerorts. Und die
Hausarztpraxen haben für diese Woche erstmals weniger Impfstoff bestellt
als zur Verfügung steht.
Fragt man die Gesundheitsministerien der Bundesländer, gibt es jedoch
offenbar große Unterschiede in der Bewertung der Lage. In
Schleswig-Holstein wird von einem stabilen Impftempo gesprochen. Auch das
von Laschet geführte Nordrhein-Westfalen kann „zumindest grundsätzlich“
keine Impfmüdigkeit feststellen.
Selbst in Berlin, wo in den letzten Wochen [2][bis zu 20 Prozent der
Termine in Impfzentren abgesagt] oder verschoben wurden, seien die
Impfzentren „weitestgehend ausgelastet“. Vermutet wird, dass viele ihre
Erst- oder Zweitimpfung in einer Arztpraxis schneller bekommen und deshalb
ihre Termine in Impfzentren nicht wahrgenommen haben.
Aus Sachsen-Anhalt heißt es jedoch, dass die Termine in Impfzentren zwar
noch immer, aber langsamer gebucht würden. Im Saarland sei in dieser Woche
zum ersten Mal der Fall eingetreten, dass nicht alle Impftermine in
Anspruch genommen worden seien.
In Bayern sieht das ähnlich aus: „Die Impfzentren melden uns zunehmend,
dass die Impfungen der Menschen auf den Wartelisten weit fortgeschritten
sind, oder dass gar keine Menschen mehr auf der Warteliste stehen“, sagt
Klaus Holetschek, bayerischer Gesundheitsminister. Das Sozialministerium in
Sachsen vermeldet sogar 20.000 freie Impftermine.
Die Gründe für die sinkende Nachfrage sind unklar. Es könnte sich bemerkbar
machen, dass zumindest in einigen Ländern bereits viele, die wollen,
geimpft sind. Stellenweise könnte das Angebot also schon die Nachfrage
übersteigen. Ob damit die Herdenimmunität in Frage steht, ist ebenfalls
völlig offen.
Das [3][Robert-Koch-Institut hat allerdings verkündet], dass angesichts der
Deltavariante eine Impfquote von 90 Prozent bei über 60-Jährigen sowie 85
Prozent bei 12- bis 59-Jährigen nötig ist. Bisherige Berechnungen gingen
noch von einer Quote von 70 bis 80 Prozent der Gesamtbevölkerung aus.
Urlaub statt Impfung?
Der Rückgang der täglichen Impfungen könnte aber auch andere Gründe haben.
Denkbar ist, dass einige angesichts der niedrigen Inzidenz ihre Impfung
aufschieben. Es ist außerdem nicht unwahrscheinlich, dass sich in den
Zahlen ein Impf-Sommerloch äußert.
„Viele Patienten, aber auch Ärzte, sind im Urlaub“, meint Andreas Gassen,
Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Obwohl der
Andrang in den meisten Arztpraxen ungebrochen groß sei, machten sich doch
die Schulferien bemerkbar. Außerdem werde deutlich, dass bereits immer mehr
Menschen geimpft seien.
Einen Rückgang der Bestellungen nimmt auch Wolfgang Panter, Präsident des
Verbands Deutscher Betriebs- und Werkärzte, wahr. „Die Nachfrage ist weiter
da, aber natürlich geringer. Das hängt damit zusammen, dass schon sehr
viele Menschen geimpft sind.“ Wenn die Zweitimpfungen durch Betriebsärzte
allerdings Fahrt aufnähmen, könnten die Bestellungen wieder steigen.
Eine Debatte darum, wie sich mehr Menschen für eine Impfung erreichen
lassen, kommt langsam in Gang. Nachdem in den vergangen Tagen [4][Strafen
für „Impfschwänzer“] diskutiert wurden, forderte Gesundheitsminister Jens
Spahn am Mittwoch im ARD-„Morgenmagazin“, es müsse „ein Impfruck durch
Deutschland gehen“.
„Hürden zur Impfung müssen abgesenkt werden“
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schlug vor, „nicht nur in Arztpraxen
und Impfzentren, sondern in Ausgehmeilen“ zu impfen – an belebten Plätzen
oder auch vor Bars und Clubs. „Die Hürden zur Impfung müssen so weit wie
möglich abgesenkt werden“, sagte der SPD-Mann dem Portal Business Insider
am Montag. Man müsse mit den Impfungen dorthin, wo die Menschen sind.
Die pflege- und altenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion,
Kordula Schulz-Asche, forderte vergangene Woche mehr Aufklärung, um den
Zögerlichen entgegenzukommen.
„Diejenigen, die verunsichert sind, müssen durch gezielte Information und
Aufklärung über die Wirkung und Sicherheit der Impfstoffe informiert
werden“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
FDP-Gesundheitspolitikerin Christine Aschenberg-Dugnus halte laut RND gar
Anreize wie Freizeitpark- oder Museumsbesuche für sinnvoll.
Während einige Bundesländer ihre Impfangebote schon jetzt für hinreichend
halten, um alle Menschen zu erreichen, gibt es in anderen Ländern Pläne,
wie man das Impftempo weiter oben halten könnte. Die Devise: In Zukunft
soll vor allem noch stärker auf Öffentlichkeitsarbeit, aber auch auf ein
niedrigschwelligeres Impfangebot gesetzt werden.
Mehr mobile Impfteams
„Klar ist: Wir kommen demnächst in eine Phase, in der wir die Impfungen
stärker bewerben müssen als vorher“, sagt der bayerische
Gesundheitsminister Holetschek. Dafür habe man bereits eine neue
Informationskampagne gestartet.
„Zudem ist es wichtig, dass wir die Menschen dezentral erreichen – dort, wo
sie leben.“ Mobile Impfteams seien in Zukunft das zentrale Element, die
Impfung gezielter zu den Menschen zu bringen.
Aus dem Sozialministerium Sachsen heißt es: „Wir bereiten gezielte
Informationen von impfskeptischen Milieus vor, bei denen wir die
Informationen anbieten, die für eine Impfentscheidung eventuell noch
fehlen.“
Man wolle auch eine neue Motivationskampagne starten, in denen Menschen
erzählen, warum sie sich haben impfen lassen, um die „Euphorie für eine
Impfung zu wecken“. Außerdem seien schon jetzt Impfungen ohne Termine
möglich, was in der nächsten Zeit noch verstärkt der Fall sein solle.
Um mehr Menschen zu erreichen, sind ebenfalls in Rheinland-Pfalz Schritte
geplant. „Aktuell arbeiten wir daran, die [5][Impfungen noch leichter
zugänglich zu machen] und weiter in die Fläche zu tragen.“
Stadtteilimpfungen, Sonderimpfungen mit den Kommunen und für junge
Erwachsene seien nur erste Maßnahmen.
„Zusätzlich sollen die Öffentlichkeitskampagne zum Impfen nochmals gestärkt
und regionale und zielgruppenspezifische Sonderimpfaktionen mit mobilen
Impfteams gestartet werden“, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.
7 Jul 2021
## LINKS
[1] /Corona-in-Deutschland/!5783763
[2] /Schleppende-Impfkampagne-in-Berlin/!5779181
[3] /Robert-Koch-Institut/!5784279
[4] /Strafen-fuer-Impfschwaenzerinnen/!5780295
[5] /Aktuelle-Nachrichten-in-der-Coronakrise/!5784372
## AUTOREN
Julian Jestadt
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