| # taz.de -- Fashion-Ausstellung in Triest: Ode an die Mode | |
| > Menschen inszinierten sich immer schon mit Kleidung. In die ITS Triest | |
| > das Phänomen in der Ausstellung „The Many Lives of a Garment“. | |
| Bild: Outfits berühmter Personen wie Reliquien inszeniert: links Tilda Swinton… | |
| Am Anfang steht der Schrank. So der international renommierte Modekurator | |
| und -historiker Olivier Saillard und Emanuele Coccia, Philosophieprofessor | |
| von der Pariser École des Hautes Études en Sciences Sociales. Und dabei | |
| meinen sie das Museum. | |
| Öffnen wir ihn am Morgen, um unsere Garderobe für den kommenden Tag | |
| auszuwählen, verwandeln wir uns in diesem Moment in Betrachter unserer | |
| eigenen Modeausstellung. Im Schrank steckt die Sammlung, die uns, ob wir es | |
| wollen oder nicht, zum Kurator unseres Auftritts in der Welt draußen macht. | |
| Das Schaufenster mit den Kleiderpuppen ist der nächste Ausstellungsraum, | |
| dem wir begegnen; ein Straßenmuseum, das hin und wieder eine Kunstgalerie | |
| ist. Andy Warhol veranstaltete seine erste Ausstellung 1961 mangels anderer | |
| Möglichkeiten im Schaufenster der New Yorker Nobelboutique Bonwit Teller. | |
| Fünf Gemälde bildeten den Hintergrund für sommerlich gekleidete | |
| Schaufensterpuppen. | |
| Dass Mode und Museum letztlich ein unzertrennliches Paar sind, ist die | |
| Grundannahme von Olivier Saillard und Emanuele Coccia für ihre gemeinsame | |
| Ausstellung „The Many Lives of a Garment“ im ITS Academy Museum of Art in | |
| Fashion in Triest. In zwölf Kapiteln beleuchten sie [1][die Inszenierungen | |
| des Körpers] und damit des Selbst durch Kleidung an den unterschiedlichsten | |
| Schauplätzen des Alltags. | |
| Körperformen noch erkennbar | |
| Da ist das Kleidungsstück, das ausgezogen am Boden liegt und in dem man | |
| noch immer die Form des Körpers erkennt. Die Outfits aber in der | |
| klassischen Museumsvitrine werden wie Reliquien andächtig bestaunt, | |
| verheißen sie doch eine Begegnung mit ihren Trägerinnen Tilda Swinton und | |
| [2][Charlotte Rampling], Ikonen unserer Zeit. | |
| Ein Haute-Couture-Kleid, das ein Mannequin vor sich herträgt, macht | |
| bewusst, dass diese Schneiderkunst vor allem sich selbst präsentiert. | |
| Aufgrund der unverkennbaren Handschrift der Modeschöpferin oder des | |
| Designers ist das Kleid insofern Werbung für die Trägerin, als sich das | |
| Image des Hauses auf sie überträgt. Es ist selbst noch im Zustand des | |
| Verfalls spürbar, wie vom Licht ausgebleichte und vom Tragen formlos | |
| gewordene Kreationen von [3][Dior und Balenciaga] schmerzlich bewusst | |
| machen. | |
| Mode bedeutet immer auch Lektüre, und mit der Zeitschriften- oder | |
| Buchseite, ob im Ausstellungskatalog oder im Roman der Weltliteratur, | |
| betritt man erneut einen Museums- oder Ausstellungsraum. Kleider, so | |
| Saillard und Coccia, materialisieren sich genauso in Worten wie in | |
| Fotografien, in Zeichnungen oder in Seide. | |
| Die Ausstellung besticht durch kluge Einfälle, etwa wenn die | |
| Umkleidekabinen zum Videoraum für Kurzfilme werden, die für die Florentiner | |
| Herrenmodemesse Pitti Immagine produziert wurden. Sie ersetzen den Spiegel | |
| bei der Anprobe, der Selbstreflexion in der Selbstdarstellung bedeutet; | |
| aber auch Selbsttäuschung, ein imaginiertes Selbst. Zu ihm gesellt sich der | |
| imaginierte Andere, wie ihn die Models in den Videos heraufbeschwören, wenn | |
| sie aus der Erinnerung emblematische Kleider bedeutender Persönlichkeiten | |
| beschreiben. | |
| Vitrinen mit Lieblingskleidungsstücken | |
| Eine glückliche Idee, die Schau in die Stadt hinein zu öffnen, ist die für | |
| vestimentäre Leihgaben der Triester Bürger bestimmte Glasvitrine. Wer immer | |
| von ihnen ein Lieblingskleidungstück besitzt, dessen Geschichte er oder sie | |
| teilen will, ist willkommen. | |
| Den glamourösen Auftakt macht Alda Balestra von Stauffenberg, ehemaliges | |
| Model aus Triest, mit dem fantastischen Kleid, das ihr Valentino zur | |
| Hochzeit schenkte. Auch um dieses Exponat gruppieren sich Kleiderpuppen als | |
| vermeintliche Ausstellungsbesucher. Sie tragen Wettbewerbsentwürfe aus der | |
| rund 20 Jahre alten Sammlung des ITS Academy Museum of Art in Fashion, dem | |
| ersten Museum für zeitgenössische Mode in Italien, so seine Gründerin | |
| Barbara Franchin. | |
| Weltweit einzigartig und beispiellos, sowohl was die Mode wie die | |
| Institution Museum betrifft, sind die mittlerweile rund 15.000 Portfolios | |
| der Sammlung, neben den rund 1.100 Kleidungsstücken, etwa 300 Accessoires | |
| und Schmuckstücken und mehr als 700 Fotografien. „Die Portfolios“, sagt | |
| Emanuele Coccia, „machen eine Modeausstellung ganz ohne Kleider möglich, | |
| der absolute Traum von Olivier.“ | |
| Jedes Jahr reichen Absolventinnen und Absolventen von Mode- und | |
| Kunsthochschulen aus aller Welt ihre Portfolios ein, um am | |
| [4][Modewettbewerb International Talent Support (ITS)] teilzunehmen. Wohl | |
| wissend, dass sie ihre zum Teil außerordentlich aufwendig gestalteten | |
| Mappen nicht zurückbekommen. Sie bleiben in Triest und werden Teil der | |
| Sammlung der ITS Academy. | |
| Innovative Modeträume | |
| Da es beim Wettbewerb nicht um Entwürfe geht, die verkauft werden müssen, | |
| die Beteiligten also die Freiheit haben, allein ihren Ideen Ausdruck zu | |
| geben, werden in den Portfolios die innovativsten, radikalsten und | |
| experimentellsten Modeträume wahr. | |
| Das können auch Albträume sein, wie jetzt bei Shannon Poupard, deren | |
| Strickensembles Atompilze, Panzer und Kampfbomber zieren – ohne die | |
| jugendliche Silhouette und die frische Farbigkeit der Stücke zu | |
| beeinträchtigen. Die französische Designerin war eine der wenigen | |
| Finalisten ohne Auszeichnung, was dank des neuen Formats der 21. Ausgabe | |
| des ITS Contest aber nicht tragisch ist. | |
| Barbara Franchin verzichtet nun auf die aufwendig zu organisierenden | |
| Modenschauen. Stattdessen bringt sie die Teilnehmer und Teilnehmerinnen in | |
| einem fünftägigen Workshop mit bereits etablierten Modedesignern und | |
| Künstlern, aber auch mit wichtigen Fachleuten der Modeindustrie in Kontakt. | |
| Diesem Ziel dienen auch einige der vergebenen Preise. Die lobende Erwähnung | |
| für Wanqi Huang ist mit einer Einzelausstellung ihrer Fotoserie „Curtain“ | |
| in der renommierten Fotogalerie der Fondazione Sozzani in Mailand | |
| verbunden. Zunächst hinter einem Vorhang vor neugierigen Blicken geschützt, | |
| tritt der nackte Frauenkörper in den Selfies nach und nach provokativ ins | |
| Bild – Nacktheit und Sexualität ist in China noch immer mit Scham besetzt. | |
| Lobend erwähnt wurde auch die vom architektonischen Brutalismus inspirierte | |
| Menswear-Kollektion von Marcel Sommer, verbunden mit dem sechsmonatigen | |
| „Pitti Immagine Tutoring & Consulting“-Programm. Weitere Preise, etwa für | |
| Sportswear, Artwork, Jewelry und Digital Fashion oder Fashion Film, sind | |
| mit 3.000 bis 15.000 Euro dotiert. Ein Trend ist bei den preisgekrönten | |
| Entwürfen kaum auszumachen, es sei denn, er hieße Individualität und | |
| Eigensinn. | |
| 16 Apr 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Der-Hype-um-die-Durchsichtigkeit/!5996052 | |
| [2] /Hommage-an-Charlotte-Rampling/!5568706 | |
| [3] /Serien-ueber-Balenciaga-Chanel-und-Dior/!5995263 | |
| [4] /Nachwuchswettbewerb-fuer-Modedesign/!5879210 | |
| ## AUTOREN | |
| Brigitte Werneburg | |
| ## TAGS | |
| Mode | |
| Ausstellung | |
| ITS Triest | |
| Körper | |
| Mode | |
| Italien | |
| Mode | |
| Mode | |
| Mode | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kult-Schuhe Doc Martens: Immer da, wenn man sie braucht | |
| Punk ist tot, aber die Dr. Martens sind noch da. Ob auf dem Laufsteg oder | |
| im Club, auch heute bleibt der Schuh vor allem wandelbar. Eine Hommage. | |
| Wahlen in süditalienischer Region: Der Sieg der Nichtwähler*innen | |
| In der süditalienischen Basilikata gewinnt das rechte Lager die | |
| Regionalwahlen – ein Vorgeschmack auf die EU-Wahlen. Die Mehrheit wählte | |
| nicht. | |
| Der Hype um die Durchsichtigkeit: Transparency International | |
| Die Augen der anderen sollen sehen, vielleicht auch begehren: | |
| Durchscheinende Kleider sind ein anhaltender Trend. | |
| Zu lange Ärmel, zu lange Hosenbeine: Ein Trend will Abstand | |
| Laufen, schweben, stehen bleiben. Ein neuer Trend zeigt: In Zeiten tiefer | |
| Ratlosigkeit ist sich auch die Mode nicht sicher, wie es weitergehen kann. | |
| Nachwuchswettbewerb für Modedesign: Zeichen der Zeit | |
| Beim International Talent Support in Triest wird die Zukunft der Mode | |
| gemacht. Die gezeigten Entwürfe der Modedesigner:innen waren | |
| sensationell. |