| # taz.de -- Essay über staatlichen Autoritarismus: Entbürokratisierung, Baby! | |
| > Autoritäre Führer arbeiten an der Gleichschaltung staatlicher | |
| > Institutionen. Welche Strategien wurden dabei von Hitler bis Trump | |
| > verwendet? | |
| Bild: Soziologe Kühl: „Diese Dynamik führt zu politischen Radikalisierungse… | |
| Dank Präsident Trump kann man in den USA derzeit eine rabiate Form der | |
| Entmachtung, Diskreditierung und des Missbrauchs staatlicher Institutionen | |
| beobachten. Der massive Personalabbau, die Abwicklung ganzer | |
| Verwaltungsorganisationen, die Neubesetzung von Leitungsfunktionen mit | |
| fachfremden Trump-Loyalisten und die Einschüchterung der Belegschaft in | |
| Behörden, Justiz, Ministerien und Forschungseinrichtungen wird begleitet | |
| von der Behauptung eines angeblichen „Deep State“ ideologisch getriebener, | |
| „linksradikaler“ Beamter. Die libertäre Rhetorik der Staatskritik verbindet | |
| sich mit dem autoritären Umbau des Staates. | |
| Dass eine Regierung die öffentliche Verwaltung benutzt, um ihre politischen | |
| Ziele durchzusetzen, ist zunächst nicht überraschend. Das gehört zum | |
| Grundkonzept des modernen Staates. Beim autoritären Umbau der staatlichen | |
| Verwaltung geht es dagegen um die Außerkraftsetzung zentraler Regeln des | |
| demokratischen Rechtsstaats. In ihm sehen sich Behörden und ihr Personal an | |
| Gesetze gebunden. | |
| Das schränkt die Handlungsoptionen der politischen Entscheider gegenüber | |
| der staatlichen Verwaltung ein. Eine Regierung, die sich den | |
| Verwaltungsapparat uneingeschränkt gefügig machen will, wird versuchen, | |
| dessen Bindung an geltendes Recht außer Kraft zu setzen. Der Prototyp einer | |
| solchen Gleichschaltung der öffentlichen Verwaltung ist der NS-Staat. An | |
| seinem Beispiel lässt sich die von der Regierung betriebene Aushöhlung | |
| rechtsstaatlicher, aber auch bürokratischer Prinzipien wie in einem | |
| Versuchslabor studieren. | |
| ## Unterwerfung der Bürokratie | |
| Der typische Beamte im Maschinenraum einer Verwaltung arbeitet | |
| Wenn-dann-Programme ab: Wenn ein Bauantrag gestellt wird, wird geprüft, ob | |
| dieser mit dem Flächennutzungsplan und der städtischen Bauordnung | |
| kompatibel ist, nur dann wird dem Antrag stattgegeben. Der | |
| Entscheidungsprozess wird in Akten dokumentiert, so dass die Rechtmäßigkeit | |
| der Entscheidung jederzeit nachgeprüft werden kann. Die Bürokratiekritik | |
| der Nationalsozialisten setzte bei dieser Orientierung der Verwaltung an | |
| Wenn-dann-Programmen an. | |
| Adolf Hitler war das Entscheidungsverfahren der Verwaltungsbeamten zuwider. | |
| Er hielt den „Behördenapparat“ für einen „rein maschinellen Mechanismus… | |
| der ungeeignet sei, den politischen Aufgaben des Staates gerecht zu werden. | |
| Wenn „sich die normale Bürokratie des Staates“, so Hitler, nicht schnell | |
| genug an die politischen Anforderungen anpasse und sich „als ungeeignet | |
| erweisen sollte“, dann müsste sie durch die „lebendigere Organisation der | |
| Partei“ ersetzt werden: „Was staatlich gelöst werden kann, wird staatlich | |
| gelöst“, was „der Staat seinem ganzen Wesen eben nicht zu lösen in der La… | |
| ist, wird durch die Bewegung gelöst.“ Das ist die Forderung der | |
| vollständigen Unterwerfung der staatlichen Bürokratie unter die Ziele der | |
| politischen Machthaber. | |
| Bei aller Kritik an der Bürokratie kam es im Nationalsozialismus nicht zu | |
| ihrer Abschaffung, im Gegenteil. In der klassischen staatlichen Verwaltung | |
| kam es trotz der Schließung einzelner Behörden nicht zu einer Reduzierung, | |
| sondern eher zu einem Aufwuchs des Personalbestands. Der | |
| Politikwissenschaftler Franz Neumann, einer der schärfsten zeitgenössischen | |
| Analytiker des NS-Staates, beobachtete während des Zweiten Weltkrieges ein | |
| „enormes zahlen- und funktionsmäßiges Wachstum der staatlichen Bürokratien… | |
| im nationalsozialistischen Deutschland. | |
| Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass auch unter der | |
| Trump-Administration der staatliche Verwaltungsapparat der USA nicht | |
| schrumpfen, sondern sich eher vergrößern wird. | |
| ## Ohne Rücksicht auf geltendes Recht | |
| Damit politische Machthaber ihre Ziele ohne Rücksicht auf geltendes Recht | |
| durchsetzen können, müssen sie die Verwaltung so einschüchtern, dass sie | |
| sich diesen Zielen unterwirft. Die Nationalsozialisten führten deshalb | |
| schon kurz nach Hitlers Regierungsübernahme Säuberungen im Staatsapparat | |
| durch. Verwaltungsmitarbeiter wurden willkürlich aus ihren Positionen | |
| gedrängt, widerständige Spitzenbeamte diskreditiert, nicht genehme Behörden | |
| geschlossen. | |
| Ein hinterhergeschobenes Gesetz diente dazu, Beamte „nicht arischer | |
| Abstimmung“ aus dem Staatsdienst zu drängen und Staatsbediensteten, die | |
| „nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den | |
| nationalsozialistischen Staat eintreten“, zu kündigen. Auch wenn Letzteres | |
| vorrangig gegenüber Spitzenbeamten angewendet wurde, war der Effekt die | |
| gewünschte Verunsicherung der Angestellten und Beamten im öffentlichen | |
| Dienst. | |
| Das staatliche Verwaltungshandeln wurde ab 1933 konsequent politisiert. | |
| Entscheidungsabstimmungen fanden im NS-Staat immer weniger über die | |
| formalen Kommunikationswege der Behörden, sondern über informelle | |
| Kontaktnetze statt. Entscheidungsträger im Staatsapparat wie Betroffene | |
| staatlicher Entscheidungen konnten sich nur begrenzt auf formal zugewiesene | |
| Kompetenzen verlassen. Sie mussten versuchen, ihre Anliegen über | |
| einflussreiche Personen im nationalsozialistischen Gefüge durchzusetzen. Je | |
| besser dabei der Zugang zu politischen Machthabern im NS-Apparat, desto | |
| größer war die Chance, Anliegen durchzusetzen. | |
| Das Ergebnis war eine Verwaltung, die immer stärker versuchte, den Willen | |
| der politischen Führung zu antizipieren. Dafür mussten, darauf hat früh der | |
| Rechtshistoriker Bernd Rüthers hingewiesen, existierende Gesetze nicht | |
| unbedingt aufgehoben oder neue Gesetze in Kraft gesetzt werden. Vielmehr | |
| wurden existierende gesetzliche Regeln ignoriert oder großzügig im Sinne | |
| der nationalsozialistischen Staatsdoktrin ausgelegt: Formalität wird nicht | |
| unbedingt durch neue Formalität ersetzt, sondern informell unterlaufen. | |
| ## Auflösung klarer Zuständigkeiten | |
| Improvisation und informelle Absprachen ersetzen zunehmend die | |
| Zuverlässigkeit der für alle verbindlichen Wenn-dann-Programme. Angesichts | |
| von Unklarheit über die Geltung gesetzlicher Rahmenbedingungen ist die | |
| Hierarchie immer öfter gezwungen, situativ zu entscheiden. | |
| Die Auflösung klarer Zuständigkeiten führt zu permanenten | |
| Abgrenzungskämpfen. Aus einer Bürokratie mit klaren Kompetenzzuteilungen | |
| wird eine Polykratie, eine Herrschaft der Vielen, in der zentrale | |
| Verwaltungseinheiten, mächtige Wirtschaftsunternehmen, neu geschaffene | |
| Sonderbeauftragte und Parteigliederungen miteinander um Einflussbereiche | |
| und Entscheidungsbefugnisse konkurrieren. | |
| Diese Dynamik führt zu politischen Radikalisierungseffekten, weil alle | |
| versuchen, sich gegenüber der politischen Führung oder einem starken Führer | |
| mit besonders extremen Maßnahmen zu profilieren. Im Wettstreit der | |
| verschiedenen staatlichen und halbstaatlichen Stellen versuchte man, seine | |
| Leistungsfähigkeit durch eine besonders skrupellose Umsetzung der | |
| politischen Vorgaben unter Beweis zu stellen. „Dem Führer entgegenarbeiten“ | |
| war die Kurzformel, die schon im Nationalsozialismus verwendet wurde, um | |
| diese auffällige Initiativkraft von staatlichen und halbstaatlichen Stellen | |
| zu erklären. | |
| Die Umstellung einer von Gesetzesbindung und Regelkonformität geprägten | |
| Verwaltungsarbeit auf eine an politischen Zielen orientierten, erfolgte im | |
| NS-Staat schrittweise und war nicht in allen Bereichen vollständig. | |
| Der Verbindlichkeitsgrad von Gesetzen produziert ein Maß an | |
| Berechenbarkeit, auf das kein Staat, auch kein Unrechtsstaat, verzichten | |
| kann. Es hing stark [1][von der jeweiligen Stellung innerhalb des | |
| NS-Staates] ab, wer der Willkür des Regimes ausgeliefert war. | |
| „Volksgenossen“, die den rassistischen und politischen Ansprüchen der | |
| Nationalsozialisten genügten, konnten mit Verweis auf Gesetze Ansprüche zum | |
| Beispiel gegenüber der Verwaltung durchsetzen. | |
| ## Vom Normen- zum Maßnahmenstaat | |
| Angehörige diskriminierter Minderheiten, Menschen jüdischer Herkunft, | |
| Sozialdemokraten und Kommunisten oder Menschen mit psychischen Erkrankungen | |
| waren gegenüber der Polizei, der Verwaltung oder dem Gesundheitswesen nicht | |
| durch das Recht geschützt. Der in die USA emigrierte Politikwissenschaftler | |
| Ernst Fraenkel prägte für diese gleichzeitige Existenz des auf gesetzlichen | |
| Prinzipien basierenden „Normenstaates“ und des durch keinerlei rechtliche | |
| Regelungen eingeschränkten „Maßnahmenstaates“ schon während des Zweiten | |
| Weltkrieges den Begriff des „Doppelstaats“. | |
| Auch wenn bis zum Ende des NS-Regimes Elemente des Normenstaats erhalten | |
| blieben, mutierte der NS-Staat spätestens mit Beginn des Krieges immer mehr | |
| zu einem Maßnahmenstaat, in dem der staatliche Gewaltapparat kaum noch | |
| Rücksicht auf Gesetze nehmen musste. Verwaltungsbehörden, Polizeikräfte und | |
| Sicherheitsorgane konnten in vielen Feldern weitgehend befreit von der | |
| Gesetzesbindung ihre Entscheidungen durchsetzen. Zumindest im Umgang mit | |
| Migranten, politisch Andersdenkenden und kritischen Wissenschaftlern | |
| entwickeln [2][die USA unter Trump] derzeit Züge dessen, was Fraenkel als | |
| „Maßnahmenstaat“ charakterisiert hat. | |
| 30 Nov 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Kühl | |
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