| # taz.de -- Erweiterung von Garzweiler II: Die Hoffnung der Dörfer | |
| > Sechs Dörfer am Tagebau Garzweiler sollen noch abgebaggert werden. Der | |
| > Widerstand gegen das Vorgehen von RWE wächst. | |
| Bild: In den gefährdeten Dörfern organisieren sich Bevölkerung und Klimaakti… | |
| Von Weitem ist erkennbar, wie ernst die Lage für Keyenberg ist. Bis kurz | |
| vor den Ortseingang hat sich der Schaufelradbagger von RWE bereits | |
| herangefressen. Der Bagger, der nachts den ganzen Ort hell bestrahlt, wirkt | |
| wie aus einer anderen Welt, wie ein gewaltiges Tier aus Stahl. 2023 will | |
| RWE den Ort für den Kohleabbau zerstören. | |
| „Das Thema war immer wie ein großer Schmerz da“, erzählt Norbert und meint | |
| damit den Tagebau Garzweiler, der sich seit über 30 Jahren in die Region | |
| gräbt. Norbert hat seine Kamera für unser Gespräch so aufgebaut, dass man | |
| seinen Vierkanthof in Keyenberg gut sieht, den die Abendsonne in ein in | |
| warmes Licht tunkt. | |
| Neben Norbert sitzt seine Nichte, der Hof ist das Zuhause von drei | |
| Generationen. Wie lange wir wohl bräuchten, erkundigt er sich. Später ginge | |
| es für die beiden noch zur Mahnwache in Lützerath, zu einem Erzählabend | |
| über den lokalen Widerstand. | |
| Die Mahnwache ist Sinnbild dafür, wie groß der Widerstand gegen das | |
| Vorgehen von RWE geworden ist. Als Anlaufstelle für Interessierte in der | |
| Region wurde sie von Unterstützer*innen in Lützerath, einem Nachbarort von | |
| Keyenberg, errichtet. | |
| ## Klimabewegung und Anwohner*innen wachsen zusammen | |
| Unter massivem Protest hat RWE diesen Sommer [1][eine Landstraße | |
| abgerissen], die die beiden Orte verbunden hatte. Die Straße ist weg, der | |
| Protest ist geblieben – mit Gottesdiensten an der Kante, Baggerblockaden | |
| von Kleingruppen und Demos von großen Umweltorganisationen. | |
| Toni kommt aus Bonn. Sie engagiert sich beim Bündnis [2][„Alle Dörfer | |
| bleiben“] und hätte ohne den Tagebau Norbert vielleicht nie getroffen. Über | |
| die Klimabewegung lernte sie Menschen aus der Region kennen, die mit den | |
| Plänen von RWE nicht einverstanden sind. Viele sind mittlerweile | |
| befreundet. Sie organisieren gemeinsam große Proteste, informieren auf dem | |
| Weihnachtsmarkt über ihre Initiative oder veröffentlichen Forderungen an | |
| die NRW-Landesregierung. | |
| „Ich habe mich auch daran orientiert, wo ich gebraucht werde“, erklärt Toni | |
| ihre Entscheidung, am Tagebau Garzweiler aktiv zu werden. „Um den Hambacher | |
| Wald haben sich schon Menschen gekümmert – die Dörfer sind das nächste, was | |
| dem Tagebau im Wege steht.“ | |
| Sebastian hat mehrere Jahre die Klimacamps im Rheinland mitorganisiert und | |
| ist dadurch zu „Alle Dörfer bleiben“ gekommen. Als wir telefonieren, sitzt | |
| er auf dem Balkon seiner Kölner Wohnung: „Bei den Klimacamps haben wir viel | |
| in Etappen gedacht: Im Winter begann die Vorbereitung der Camps, im Sommer | |
| waren wir vor Ort, haben Menschen getroffen und danach sind wir wieder | |
| gefahren“, erzählt er. „Das hat sich 2018 geändert.“ | |
| Norbert und andere Betroffene aus den umliegenden Dörfern entwarfen | |
| gemeinsam mit Toni, Sebastian und anderen Klimacamp-Teilnehmer*innen ein | |
| Programm, das explizit Menschen aus der Region ansprechen sollte. Ein | |
| Freundschaftsspiel mit dem Fußballverein aus der Region, Filmabende und die | |
| Einladung zum gemeinsamen Kaffee kamen dazu. Als das Klimacamp wieder | |
| abgebaut war, blieben die regelmäßigen Treffen. Bis sich schließlich das | |
| Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ gründete. | |
| „Viele Leute aus den Dörfern haben gesagt, es sei eigentlich zu spät“, | |
| berichtet Norbert von den ersten Treffen. Der Hambacher Forst habe Hoffnung | |
| gegeben, meint Toni. Zu sehen, dass sowas möglich ist: den Tagebau zu | |
| stoppen. | |
| 2019 organisierte „Alle Dörfer bleiben“ einen Sternmarsch. 3.000 Menschen | |
| zogen in acht Demozügen Richtung Keyenberg. „Viele von uns hatten davor | |
| noch nie eine Demo organisiert oder waren noch nie auf einer gewesen“, | |
| berichtet Toni. Norbert schmunzelt: „Das ist wie bei einer | |
| Fußballmannschaft: Du kannst trainieren und trainieren und kicken, das ist | |
| alles ganz nett“, sagt er. „Aber so richtig rund wird es, wenn Du zum | |
| ersten Mal zusammen ein Spiel hast und das womöglich auch noch gewinnst.“ | |
| Das Team ist zusammengewachsen: „Am Anfang haben wir noch viel darüber | |
| gesprochen: Wir sind die Klimaaktivistis und das sind die Menschen aus den | |
| Dörfern“, sagt Toni. „Diese Trennung würde ich so heute jetzt nicht mehr | |
| machen.“ | |
| „Es überwiegen die schönen Momente, obwohl es viele Rückschläge gab“, | |
| erzählt Norbert. Rückschläge wie das Kohlegesetz der Bundesregierung, an | |
| dem auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) | |
| stark mitwirkte. | |
| Ein Gesetz, mit dem die Pariser Klimaziele für Deutschland nahezu | |
| unerreichbar werden, die Kohlekonzerne aber Milliarden an Steuergeldern | |
| kassieren – für die Abschaltung ihrer ohnehin nicht mehr rentablen | |
| Kraftwerke. Und ausgerechnet der Tagebau Garzweiler II, der noch sechs | |
| Dörfer verschlingen soll, wird im Kohlegesetz von der Bundesregierung | |
| [3][für „energiepolitisch notwendig“ erklärt] – obwohl Gutachten das | |
| Gegenteil belegen. „Mein Eindruck ist, dass gleichzeitig bei vielen | |
| Menschen das ‚Trotzdem‘ größer geworden ist“, sagt Toni. | |
| ## Tagebaubetroffene ziehen vor Gericht | |
| Der Wintergarten der Familie Dresen in Kuckum ist ein weiterer | |
| unfreiwilliger Schauplatz des Kohleausstiegs. „Laschet hat hier vor zwei | |
| Jahren gesessen und gesehen, wie schlimm die Situation für die Menschen | |
| ist“, erinnert sich Marita Dresen. „Und was hat er gemacht? Nichts. Er | |
| fasst die Zerstörung unserer Dörfer auch noch in ein Gesetz.“ | |
| Gemeinsam mit weiteren Betroffenen will Marita nun gerichtlich gegen das | |
| Kohlegesetz vorgehen: [4][„Menschenrecht vor Bergrecht“] heißt ihre Gruppe. | |
| „Diesen Weg würde ich alleine gar nicht gehen“, meint Marita. „Das geht, | |
| weil ich in einer Gemeinschaft von tollen Menschen bin: Zusammen hat man | |
| das Gefühl, man ist stark und kann das schaffen.“ Gemeinsam wollen sie | |
| [5][bis vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ziehen]. | |
| Es scheint, als hätten weder RWE noch die Landesregierung mit dem | |
| Widerstand gerechnet. Zu oft wurden Dorfgemeinschaften | |
| auseinandergetrieben, zu oft haben Menschen dem Druck nicht standgehalten. | |
| Der Kampf um die Dörfer, er wird wohl der letzte im Widerstand gegen die | |
| Kohle in Deutschland sein. | |
| Auch wenn die Regierungen in Düsseldorf und Berlin an der Zerstörung von | |
| Lützerath, Keyenberg, Kuckum, Unter- und Oberwestrich und Berverath | |
| festhalten: In die Dörfer ist Hoffnung eingezogen. Dieses Wochenende finden | |
| die nächsten Proteste statt. | |
| 24 Sep 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Braunkohle-Blockaden-in-NRW/!5695525 | |
| [2] https://www.alle-doerfer-bleiben.de/ | |
| [3] /Kritik-an-Kohle-Gesetz/!5689634 | |
| [4] https://menschenrecht-vor-bergrecht.de/ | |
| [5] /Anwohner-klagen-fuer-Erhalt-ihrer-Doerfer/!5713422 | |
| ## AUTOREN | |
| Wiebke Witt | |
| Julia Dittmann | |
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