# taz.de -- Entwicklungen im Iran nach US-Beschluss: Angst im Gottesstaat | |
> Donald Trump kündigt das Atomabkommen mit Iran und spielt damit den | |
> Konservativen und Hardlinern dort in die Hände. Kann Rohani sich halten? | |
Bild: Bei seiner Amtsübernahme 2013 setzte Rohani alles auf das Zustandekommen… | |
Der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen und die Ankündigung des | |
US-Präsidenten Donald Trump, harte Sanktionen gegen den Iran zu verhängen, | |
haben im Iran einen Schock ausgelöst mit weitreichenden Folgen. | |
Die [1][Bevölkerung ist zutiefst enttäuscht], Angst vor einem Krieg und vor | |
syrischen Zuständen breitet sich aus. Die Regierung von Präsident Hassan | |
Rohani befürchtet, ihre Basis im Volk vollends zu verlieren, und die Ultras | |
und Radikalkonservativen freuen sich. | |
Als Irans Präsident Hassan Rohani 2013 die Regierung übernahm, setzte er | |
alles auf das Zustandekommen des Atomabkommens. Wenn die Sanktionen | |
aufgehoben seien, werde die fast chronische Wirtschaftskrise beendet, | |
versprach er. Auch Aufschwung und damit verbunden eine Öffnung nach innen | |
und außen stellte er in Aussicht. Der Iran werde mit allen Staaten | |
kooperieren und seinen gebührenden Platz in der Staatengemeinschaft | |
zurückerobern. | |
Mit diesem Kurs konnte der moderate Präsident die meisten Reformer, ja | |
sogar einen Teil der Konservativen gewinnen, nicht jedoch die Hardliner und | |
den rechten Flügel der Konservativen, deren Macht weitaus größer ist als | |
die des Präsidenten und seiner Regierung. Sie sahen nicht nur ihre Macht | |
schwinden, falls der Präsident Erfolg haben sollte. Sie befürchteten, dass | |
die Öffnung des Landes und die Annäherung an den Westen an der Substanz der | |
Islamischen Republik nagen, den Gottesstaat unterhöhlen und ihn zum Sturz | |
bringen würden. Mit der Öffnung nach außen, so die Befürchtungen der | |
Architekten des islamischen Staates, würden ausländische Investoren, vor | |
allem aus dem Westen, auf den iranischen Markt strömen und mit ihnen die | |
westliche Kultur, die westliche Dekadenz. | |
## Ein samtener Umsturz | |
Diese kulturelle Einflussnahme, „samtener Umsturz“ wird sie genannt, | |
bedroht aus der Sicht der Hardliner den Gottesstaat weitaus mehr als | |
Sanktionen oder ein militärischer Angriff. Deshalb haben sie von Anbeginn | |
der Regierung Rohani jede Maßnahme, jedes Gesetz, das diesen Einfluss | |
fördern könnte, zu torpedieren versucht. Ob es um den Zutritt von Frauen zu | |
den Sportstadien ging, um Zugang zu den sozialen Netzwerken, um die | |
Lockerung der Zensur von Büchern, Filmen und Kunstwerken, überall wurden | |
die Pläne durch die konservative Geistlichkeit und Justiz zum Scheitern | |
gebracht. | |
Der Machtkampf, der seit Jahren im Iran stattfindet, dreht sich darum, ob | |
der Fortbestand der Islamischen Republik im Geiste Ajatollah Chomeinis | |
gehalten wird oder ob der Staat und die Gesellschaft durch grundlegende | |
Reformen modernisiert wird. Wohlgemerkt geht es keiner Fraktion um einen | |
säkularen Staat. Der Machtkampf findet innerhalb des islamischen Lagers | |
statt. | |
Das Atomabkommen bot den Reformern die größte Chance, ihre Pläne | |
durchzusetzen. Doch es hatte von vornherein nicht die erhofften Wirkungen. | |
Dafür gibt es mehrere Gründe. Nicht nur die Rechten und Ultras, sondern | |
auch die USA sorgten dafür, dass der wirtschaftliche Aufschwung nicht | |
zustande kam. Sie hinderten durch Sanktionsdrohungen große Unternehmen und | |
Banken daran, mit dem Iran Geschäfte zu machen und im Land zu investieren. | |
Zwar schuf die Teilaufhebung der Sanktionen neue Möglichkeiten für die | |
Regierung. Der Iran konnte den Ölexport von 1 Million Barrel pro Tag auf 3 | |
Millionen steigern – und damit seine Einnahmen. Auch die Inflationsrate | |
fiel auf unter zehn Prozent. Aber das Volk bekam davon wenig zu spüren, | |
nicht zuletzt wegen der maßlosen Korruption im Land. | |
## Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist groß | |
Der Austritt der USA aus dem Atomabkommen macht die Erwartungen der | |
Reformer zunichte. Die Regierung Rohani setzt nun alle Hoffnungen auf die | |
EU, verlangt von der EU Garantien dafür, dass Iran, im Falle des Verbleibs | |
im Abkommen, die im Vertrag vorgesehenen Vorteile erhält. Doch vermutlich | |
wird sie kaum daran glauben, dass das Abkommen ohne die USA Bestand haben | |
wird. | |
Rohani und seine Mannschaft stehen mit leeren Händen da. Die | |
Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist groß. Schon um die Jahreswende hatte | |
es in mehr als 80 Städten Proteste gegeben, Rufe nach einem Regimewechsel | |
inbegriffen. Mit den nun von den USA angedrohten „harten Sanktionen“ werden | |
Armut sowie Arbeits- und Perspektivlosigkeit, vor allem unter Jugendlichen, | |
weiter zunehmen. Soziale Unruhen werden vermutlich nicht ausbleiben. Das | |
spielt den Hardlinern in die Hände. Die USA hätten ihnen keinen besseren | |
Dienst erweisen können. | |
Es wird nun viel spekuliert, wie es im Iran weitergeht. Ob Rohani und seine | |
Regierung die nächsten drei Jahre ihrer Legislatur durchhalten können, | |
scheint fraglich. Alles hängt davon ab, wie die USA und die Europäer sich | |
dem Iran gegenüber verhalten. Ziel der USA scheint es, durch | |
wirtschaftlichen Druck den Iran mit erhobenen Händen zu jedem Zugeständnis | |
zu zwingen. Die Europäer wollen zwar, wie sie bis jetzt beteuern, an dem | |
Vertrag festhalten, aber auch sie fordern Zugeständnisse bezüglich des | |
iranischen Raketenprogramms und der Rolle des Iran in der Region. | |
Das wird sich aber die Islamische Republik, schon gar die Regierung Rohani | |
nicht leisten können. Wie soll sie der Bevölkerung plausibel machen, dass | |
all die Abermilliarden, die für das Atomprogramm, das Raketenprogramm und | |
für die Aktivitäten in Irak, Syrien, Libanon, Jemen und anderswo ausgegeben | |
wurden, für die Katz waren? | |
## Rohani könnte den radikalen Weg einschlagen | |
Rohani könnte, um die Macht seiner Regierung zu retten, seinen moderaten | |
Kurs aufgeben und den radikalen Weg einschlagen. Das jedoch können die | |
Radikalen besser. Daher befürchten viele im Iran, dass es demnächst doch zu | |
einem Machtwechsel kommen wird. Die Revolutionsgarden stehen dafür schon | |
lange bereit. Sie sind nicht nur militärisch die erste Macht im Staat. | |
Ökonomisch bilden sie auch das größte Unternehmen. | |
Nahezu sämtliche großen infrastrukturellen Projekte werden von ihnen | |
umgesetzt. Sie kontrollieren die Grenzen und beherrschen dadurch den | |
Schwarzmarkt, der einen großen Teil der iranischen Wirtschaft ausmacht, und | |
sie sind an den Ölgeschäften beteiligt. Sie haben die Macht, Rohani und | |
seine Regierung zum Rücktritt zu zwingen oder sie auch legal oder illegal | |
aus dem Weg zu räumen. | |
Würden die Revolutionsgarden die Macht ergreifen, wären die Folgen kaum | |
einzuschätzen. Unruhen im Iran, die Zuspitzung der Lage in den | |
Nachbarstaaten und in den arabischen Staaten am Golf sind genauso denkbar | |
wie ein Krieg zwischen Iran und seinen Verbündeten in der Region gegen eine | |
Front aus Israel, Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten am | |
Persischen Golf mit den USA im Hintergrund. | |
18 May 2018 | |
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## AUTOREN | |
Bahman Nirumand | |
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