# taz.de -- Ende der Kolumne Gott und die Welt: Zeit, zu kämpfen | |
> Zehn Jahre schreiben für die taz: Unser Autor blickt zurück auf seine | |
> Zeit als Schöpfer der Kolumne „Gott und die Welt“. | |
Bild: Seit Mai 2009 hat Micha Brumlik 121 Kolumnen für die taz-Kultur geschrie… | |
Mit diesen Zeilen ist meine etwa zehn Jahre währende Zeit als Kolumnist der | |
taz abgelaufen – zehn Jahre, in denen ich das Privileg hatte, einmal im | |
Monat zu „Gott und der Welt“ Stellung zu nehmen und somit die Rolle eines | |
öffentlichen Intellektuellen zu erfüllen. Dafür danke ich der taz. Oft | |
schrieb ich – implizit oder explizit – unter Verweis auf meine Existenz als | |
Jude in Deutschland. So befasste sich die erste Kolumne, derer ich mich | |
erinnere, mit terroristischem Islamismus. Erinnerung erweckt Rührung, | |
weshalb ich darum bitte, mir das folgende Pathos nachzusehen. | |
Oft denke ich derzeit – nach „Halle“ – an den von Pete Seeger | |
geschriebenen, später von den „Byrds“ 1965 gecoverten Song: „To everythi… | |
turn, turn, turn, there is a season and a time and purpose under the | |
heaven“ – Zeilen, die nichts anderes sind, als eine präzise Übersetzung d… | |
ersten Verse des dritten Kapitels des biblischen Buches „Kohelet“, der | |
„Weisheit Salomonis“: „Für alles gibt es eine Stunde und Zeit gibt es f�… | |
jedes Vorhaben unter dem Himmel.“ | |
Die Zeilen, auf die es mir derzeit ankommt, lauten so: „[…] Zeit des Kriegs | |
und Zeit des Friedens“ (3,8) oder in der Übersetzung von Martin Buber und | |
Franz Rosenzweig: „Für alles ist eine Zeit, eine Frist für alles Anliegen | |
unter dem Himmel […] eine Frist des Kriegs und eine Frist des Friedens …“ | |
Eine Zeit des Krieges ist aber auch immer eine Zeit zu kämpfen. Ja, jetzt | |
gilt es zu kämpfen: [1][gegen Antisemitismus], Rassismus und | |
Fremdenfeindlichkeit, kurz gegen den verharmlosend „Rechtspopulismus“ | |
genannten, auch parlamentarisch vertretenen völkischen Extremismus. Als | |
deutscher Jude bin ich Verfassungspatriot. Ein Patriot zu sein heißt, mit | |
Herz und Verstand für den Staat einzustehen, dessen Verfassung zu bejahen | |
ist. | |
## Der erste Artikel des Grundgesetzes gilt für alle | |
Das gilt für mich im Blick auf das deutsche Grundgesetz und seinen ersten | |
Artikel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Die Würde des Menschen, | |
aller Menschen – wohlgemerkt – nicht: die Würde des Deutschen! | |
Es ist nicht zuletzt eine jüdische Erfahrung, die sich darin niederschlägt: | |
In des italienisch-jüdischen Chemikers Primo Levi nüchternem Bericht über | |
seine Haft in Auschwitz wird der Erfahrung absoluter Entwürdigung | |
unüberbietbar Rechnung getragen; vor der Kulisse von Auschwitz gewinnt die | |
Rede von der „Würde des Menschen“ eine gebieterische Kraft. | |
„Mensch ist“, so notiert Levi für den 26. Januar 1944, einen Tag vor der | |
Befreiung des Lagers „wer tötet, wer Unrecht zufügt oder erleidet; kein | |
Mensch ist, wer jede Zurückhaltung verloren hat und sein Bett mit einem | |
Leichnam teilt. Und wer darauf gewartet hat, bis sein Nachbar mit Sterben | |
zu Ende ist, damit er ihm ein Viertel Brot abnehmen kann, der ist, | |
wenngleich ohne Schuld, vom Vorbild des denkenden Menschen weiter entfernt | |
als … der grausamste Sadist.“ | |
Unter diesen Bedingungen schwindet die Neigung zur Nächstenliebe. Levi | |
fährt fort: „Ein Teil unseres Seins wohnt in den Seelen der uns | |
Nahestehenden: darum ist das Erleben dessen ein nicht-menschliches, der | |
Tage gekannt hat, da der Mensch in den Augen des Menschen ein Ding gewesen | |
ist.“ | |
## Zeit zu kämpfen und zu bleiben | |
Eine Zeit zu kämpfen … – anders als andere jüdische Intellektuelle, wie | |
Richard Schneider oder Michael Brenner, denke ich nach dem mörderischen | |
Anschlag von Halle überhaupt nicht daran, die Koffer, wenn schon nicht zu | |
packen, so doch wenigstens vom Dachboden zu holen – im Gegenteil: „Zeit zu | |
kämpfen …“ und daher: zu bleiben! | |
Als Bürger, als Citoyen jenes Staates, dem es in seiner Verfassung um die | |
Würde des Menschen geht, will ich daher gerne dem folgen, was Bertolt | |
Brecht in seiner „Kinderhymne“ aus dem Jahr 1953 so unübertroffen | |
ausgedrückt hat: „Und weil wir dies Land verbessern, / lieben und | |
beschirmen wir’s. / Und das liebste mag’s uns scheinen / so wie andern | |
Völkern ihrs.“ | |
5 Dec 2019 | |
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## AUTOREN | |
Micha Brumlik | |
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