# taz.de -- Ebola-Tagebuch – Folge 5: Liebe Kanzlerin Merkel! | |
> Liberias Präsidentin fordert in einem Brief direkte Hilfe aus Deutschland | |
> für den Kampf gegen Ebola. Die taz dokumentiert das Schreiben. | |
Bild: In Sorge um ihr Land: Liberias Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf. | |
„Ich übermittle Ihnen Grüße vom liberianischen Volk und in meinem Namen. | |
Lassen Sie mich zunächst unsere Dankbarkeit für die Unterstützung | |
ausdrücken, die Sie uns in der Mano River Union im Kampf gegen diesen | |
beispiellosen Ausbruch des Ebola-Virus gegeben haben. Das deutsche Volk ist | |
über die Jahre ein verlässlicher Partner gewesen und wir sind aufrichtig | |
dankbar. | |
Liebe Kanzlerin Merkel, wie Sie inzwischen wissen, hat der Ausbruch die von | |
uns bislang versuchten Maßnahmen der Eindämmung und Behandlung überwältigt. | |
Unsere bereits begrenzten Ressourcen sind zum Zerreißen gespannt und bis | |
jetzt hat nur ein privates Hilfswerk, Ärzte ohne Grenzen (MSF), in allen | |
betroffenen Ländern robust reagiert. Aber auch sie sind an ihre Grenzen | |
gestoßen. Ohne mehr direkte Hilfe von Ihrer Regierung werden wir diese | |
Schlacht gegen Ebola verlieren. Eine WHO-Untersuchung, durchgeführt mit | |
anderen Partnern und unserem eigenen Ministerium für Gesundheit und | |
Wohlfahrt, rechnet mit tausenden Fällen in den nächsten drei Wochen. | |
Der Virus breitet sich exponentiell aus und wir haben ein begrenztes | |
Zeitfenster, um es aufzuhalten. Weit über 40 Prozent aller Fälle sind in | |
den vergangenen 18 Tagen aufgetreten. Unsere Botschaft ist angekommen, und | |
unsere Bürger melden sich oder bringen ihre Angehörigen. Aber unsere | |
Behandlungszentren sind überfordert. MSF leitet nun eine | |
160-Betten-Einrichtung, die weiter expandieren wird. | |
Dies ist die größte Ebola-Behandlungseinrichtung in der Geschichte der | |
Seuche, und selbst sie ist unzureichend. Um die Übertragungskette zu | |
brechen, müssen wir die Kranken von ihren Familien und Gemeinschaft | |
isolieren, aber das ist unmöglich, weil sie nirgendwo hingebracht werden | |
können. Wir sind gezwungen worden, Kranke abzuweisen. Wir schicken sie nach | |
Hause, wo sie ein Risiko für ihre Familien und Gemeinschaften darstellen. | |
Ich bin ehrlich mit Ihnen, wenn ich sage, dass wir die Übertragungskette in | |
diesem Tempo nie unterbrechen werden und der Virus uns überwältigen wird. | |
## „Gesundheitsnotstand bedroht die zivile Ordnung“ | |
Mit Reiseverboten, Grenzschließungen und Schiffsanlegeverboten ist dies | |
mehr als eine humanitäre Notlage geworden. In einem Land, das sich gerade | |
erst von einer 30-jährigen Periode ziviler und politischer Unruhe gelöst | |
hat, mit der Anwesenheit einer großen jugendlichen (zumeist arbeitslosen) | |
Bevölkerung, darunter ehemalige Kindersoldaten, bedroht dieser | |
Gesundheitsnotstand die zivile Ordnung. | |
Was die Herzen noch mehr bricht, ist, dass wir nicht in der Lage sind, | |
unsere Gesundheitseinrichtungen wieder zu öffnen, weil verängstigste | |
Mitarbeiter, die ihre Kollegen haben sterben sehen, Angst vor der Rückkehr | |
an die Arbeit haben. Bislang haben sich etwa 153 Gesundheitsmitarbeiter | |
infiziert und 79 sind gestorben. Es sterben jetzt wieder mehr Kinder an | |
Malaria, weil ihre Mütter kein Gesundheitszentrum finden konnten, das sie | |
aufnehmen würde. Seuchen, die vor Ebola relativ leicht behandelt wurden, | |
fordern nun Leben, weil Ebola einen Schatten über unser Gesundheitssystem | |
geworfen hat. | |
Wir müssen bis zu 1500 Betten in Ebola-Behandlungseinheiten in Monrovia | |
bereitstellen. Wir müssen auch 10 zusätzliche Zentren in betroffenen | |
Außendistrikten schaffen. Dies übersteigt alles, was wir alleine schultern | |
können. Wenn wir unsere Kapazität, Infizierte zu isolieren, nicht erheblich | |
aufstocken, bleiben deren Familien und Gemeinschaften gefährdet und die | |
Übertragungskette bleibt ungebrochen. Mit unseren eigenen Ressourcen können | |
wir nur eine 100-Betten-Einrichtung unterstützen und leiten. MSF wird auf | |
400 Betten erweitern, was eine sehr erhebliche Lücke lässt. | |
## „Deutschland stand immer an unserer Seite“ | |
Kanzlerin Merkel, Liberias Frieden und erhebliche wirtschaftliche | |
Fortschritte über die letzten zehn Jahre sind zu einem hohen Preis | |
entstanden. Während dieses ganzen Prozesses standen die Regierung und das | |
Volk der Bundesrepublik Deutschland an unserer Seite. So beeindruckend | |
unsere Fortschritte waren, so fragil bleiben sie, und dieser Ausbruch droht | |
nun, diese Fortschritte zu untergraben und rückgängig zu machen. Daher rufe | |
ich Sie und das deutsche Volk direkt auf: | |
1. Dass die deutsche Regierung in Monrovia mindestens eine | |
Ebola-Behandlungseinrichtung aufbaut und betreibt. Kanzlerin, bei der | |
gegenwärtigen Übertragungsrate haben nur Regierungen wie die Ihre die | |
Ressourcen und Mittel, um im zur Eindämmung nötigen Tempo zu handeln. | |
Abteilungen Ihrer militärischen und zivilen Institutionen haben bereits die | |
Expertise, biologische Gefahren, ansteckende Seuchen und chemische | |
Kampfstoffe zu meistern. Sie kennen angemessene Verfahren zur | |
Infektionskontrolle und wir sagen, dass diese Mittel in Aceh nach dem | |
Tsunami und in Haiti nach dem Erdbeben zum Einsatz kamen. Unter | |
Berücksichtigung des Unterschiedes in der Art der Katastrophe bitten wir um | |
Hilfe von Einheiten mit Expertise im Umgang mit biologischen Gefahren. | |
2. Dass die deutsche Regierung in mindestens 10 Nicht-Ebola-Krankenhäusern | |
hilft, Grundversorgung und sekundäre Dienstleistungen wiederherzustellen. | |
Mitarbeiter an der Front haben uns gesagt, dass nur 80 Prozent der | |
Patienten, die in Ebola-Behandlungseinrichtungen Symptome zeigen, mit dem | |
Virus infiziert sind. Die anderen 20 Prozent müssen in | |
Nicht-Ebola-Einrichtungen behandelt werden. Aber wir brauchen angemessene | |
Infektionskontrollverfahren und Testeinrichtungen, um Gesundheitspersonal | |
und Nicht-Ebola-Patienten in diesen Einrichtungen zu schützen. Momentan | |
gibt es in Monrovia acht Krankenhäuser mit 50 bis 418 Betten. Im gesamten | |
Land müssen wir mindestens eine große öffentliche Gesundheitseinrichtung | |
wiedereröffnen, um Todesfälle durch behandelbare Krankheiten sowie Mütter- | |
und Kindersterblichkeit zu verhindern. | |
3. Beibehaltung von Luftbrücken während der Seuchenbekämpfung. Dass nur | |
noch zwei Fluglinien das Land anfliegen statt wie vor Ebola elf, erschwert | |
zunehmend die Einreise von erfahrenem Personal und Ausrüstung ins Land. Bis | |
private Flugdienste zurückkehren, werden wir Hilfe durch Luftbrücken | |
benötigen, um auf die Krise zu reagieren. | |
Kanzlerin, es ist wichtig zu sehen, dass seit Beginn des Ausbruchs MSF über | |
400 Betten mit Ebola-Patienten in der Region unterhält, und kein einziger | |
Mitarbeiter, medizinisch oder unterstützend, hat sich in diesen Zentren je | |
angesteckt. MSF hat seine Regeln dem CDC, Save the Children, dem IRC und | |
IMC zur Verfügung gestellt. Aber keines dieser privaten Hilfswerke wird in | |
der Lage zu einem Einsatz im für den Stopp der Ausbreitung des Ebola-Virus | |
nötigen Ausmaß und Tempo sein. | |
Noch einmal, im Namen des liberianischen Volkes und in meinem eigenen, | |
möchte ich unsere aufrichtige Dankbarkeit für die bewährte Freundschaft und | |
Partnerschaft zwischen unseren Ländern und Völkern ausdrücken.“ | |
Das Schreiben wurde vom liberianischen Präsidialamt zur Verfügung gestellt. | |
Ähnliche Briefe gingen an die Staats- und Regierungschefs von Australien, | |
Brasilien, China, Indien, Japan, Kuba, Russland, Südafrika und den USA. Aus | |
dem Englischen von Dominic Johnson. | |
15 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Ellen Johnson-Sirleaf | |
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