# taz.de -- Drohende Fällungen in Tempelhof: Sind Bäume schlecht für die Ök… | |
> Auf dem Tempelhofer Damm soll für Jahre eine Großbaustelle entstehen. | |
> Jetzt ist die Debatte um das Schicksal von Dutzenden Straßenbäumen neu | |
> entfacht. | |
Bild: Todgeweiht? Die Bäume rechts im Bild sollen nach dem Willen der Senatsve… | |
Berlin taz | Droht ein „Baummassaker“ in Tempelhof-Schöneberg? Lässt der | |
Senat Dutzende gesunde Platanen, Eichen und Ahorne fällen, um Autofahrende | |
nicht zu sehr durch eine Baustellenumleitung zu belasten? Führt – umgekehrt | |
– der Schutz einiger Bäume zu jahrelangen hohen Emissionen an anderer | |
Stelle? Oder ist das Ganze am Ende nur ein „Sturm im Wasserglas“? Die Sache | |
ist komplex. | |
Ortstermin am S-Bahnhof Tempelhof: Auf dem Mittelstreifen des Tempelhofer | |
Damms, umtost vom Autoverkehr, der sich hier auf der B96 nach Norden und | |
Süden oder auf die A100 quält, ragt eine stattliche Platane in den | |
winterlichen Himmel. Jetzt ist sie kahl, bald wird sie wieder Schatten und | |
Frischluft spenden – wenn sie nicht der Motorsäge zum Opfer fällt. Dieses | |
Schicksal droht nicht nur ihr, sondern rund 60 weiteren, zum Teil freilich | |
deutlich kleineren Bäumen auf dem Mittelstreifen des Tempelhofer Damms, | |
zwischen Platz der Luftbrücke und Borussiastraße, kurz vor dem U-Bahnhof | |
Alt-Tempelhof. | |
Die grüne Verkehrs- und Umweltstadträtin von Tempelhof-Schöneberg, Saskia | |
Ellenbeck, [1][schlug am Dienstagabend auf Bluesky Alarm]: Sie sei von | |
Staatssekretär Johannes Wieczorek informiert worden, dass die | |
Senatsverkehrsverwaltung die Bäume auf dem Mittelstreifen „fällen lassen | |
möchte“. Jahrelange Planungen und Abstimmungen seien nun hinfällig. | |
Hintergrund ist eine geplante und für eine Dauer von rund acht Jahren | |
anvisierte Großbaustelle, bei der die Berliner Wasserbetriebe (BWB) drei | |
über 150 Jahre alte Abwasserdruckleitungen austauschen will. Wärme- und | |
Stromleitungen sowie die Tunneldecke der U6 sollen im selben Aufwasch | |
erneuert werden und die Straße am Ende eine frische Asphaltdecke erhalten. | |
## Stoßgebete gegen eine Havarie | |
Die Wasserbetriebe mahnen schon seit vielen Jahren die dringend notwendige | |
Sanierung an: Man schicke regelmäßig „Stoßgebete zum Himmel“, dass es zu | |
[2][keiner Großhavarie unter dem T-Damm] komme, so BWB-Sprecher Stephan | |
Natz zur taz. Seit 2017 bewegt sich immerhin etwas. Das Unternehmen bekam | |
damals grünes Licht – mit der Vorgabe, alle Arbeiten der unterschiedlichen | |
Beteiligten zu koordinieren. | |
Allerdings musste schon mehrfach umgeplant werden – zuletzt, weil der | |
Bezirk Tempelhof-Schöneberg sich gegen den Plan verwehrte, den besagten | |
Mittelstreifen zu roden, um dort eine temporäre Fahrspur anzulegen. Die | |
aktuelle, im Jahr 2022 begonnene Planung sieht vor, dass der von Süden | |
kommende Verkehr weiterhin auf zwei Spuren über den T-Damm rollt. In der | |
Gegenrichtung würden die Wilhelm-Kabus-Straße und die General-Pape-Straße, | |
die links und rechts der Bahntrasse zwischen Gleisdreieck und Südkreuz | |
verlaufen, als Umleitung ertüchtigt. | |
Mit seinem Schreiben an Stadträtin Ellenbeck rückt das Haus von | |
Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) nun wieder davon ab, und die Begründung | |
lässt aufhorchen: Die Umleitungen hätten eine deutlich schlechtere | |
Ökobilanz als die Fällung der Bäume. Auf Nachfrage der taz begründet Bondes | |
Sprecherin Petra Nelken den Schwenk so: „Auch ausgefeilte Umleitungen | |
würden dazu führen, dass es massive Verkehrsverlagerungen und dadurch | |
längere Fahrstrecken für Kraftfahrzeuge gibt.“ Dadurch entstünden nach | |
Berechnung der Verwaltung „erhebliche zusätzliche Emmissionen“, nämlich | |
„Lärmbelastungen der Bevölkerung“ und „Ausstoß von Luftschadstoffen“. | |
Was die Klimabilanz angehe, führe die Umleitungsvariante zu rund 30.000 | |
Tonnen mehr CO², währen durch die Fällung der 60 Bäume im selben Zeitraum | |
nur 8,75 Tonnen weniger CO² gebunden würden. Zudem könne bei deren Erhalt | |
„gegenwärtig nicht ausgeschlossen werden, dass die umfassenden | |
Tiefbauarbeiten eine weitere Verschlechterung der Baumvitalitäten zur Folge | |
haben werden“. Außerdem befürchte man Verdrängungsverkehre in die | |
anliegenden Wohngebiete – namentlich die Tempelhofer Gartenstadt, auch als | |
„Neu-Tempelhof“ oder „Fliegerviertel“ bekannt. | |
Auf Bezirksseite lässt man diese Logik nicht gelten. Die Senatsverwaltung | |
lasse bei ihrer Kalkulation „wichtige Faktoren außen vor“, schreibt das | |
Büro von Stadträtin Ellenbeck der taz – „großräumige Umfahrungen, | |
Verkehrsverlagerung und die Tatsache, dass für alle Pendler*innen, die vom | |
Platz der Luftbrücke nach Westen wollen, sich die Fahrtzeit und Strecke | |
nicht nennenswert verändern würde“. Außerdem würden „alle anderen | |
Klimaeffekte von Bäumen, wie Kühlung, Feinstaubreduktion, Regenschutz und | |
Schattenspender“ nicht berücksichtigt. | |
Für Autofahrende in Richtung Westen und Norden würde die Umleitungslösung | |
„kaum einen Umweg“ bedeuten. Autofahrende in Richtung Osten könnten dagegen | |
das Nadelöhr am Tempelhofer Feld „großräumig umfahren oder an der | |
Alboinstraße auf die Stadtautobahn fahren“. Mit dem Konzept „wäre auch ein | |
Schutzkonzept für die Gartenstadt Tempelhof erarbeitet worden, so dass | |
möglichst geringe unintendierte Effekte entstehen würden“. | |
## „Nachpflanzen ist schlechteste Lösung“ | |
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Berlin, der von einem | |
„Baummassaker“ spricht, leistet argumentative Unterstützung: Bis neue Bäu… | |
Funktionen wie einen relevanten Schattenwurf erfüllten, vergingen 30 Jahre, | |
bis zur Erreichung von Naturschutzfunktionen wie dem Angebot an Bruthöhlen | |
60 bis 80 Jahre. „Einfach Straßenbäume zu fällen und später junge Bäume | |
nachzupflanzen ist die schlechteste Lösung“, so der BUND in einer | |
Mitteilung. Die ökologischen „Dienstleistungen“ junger Bäume seien auch in | |
Sachen Staubfilterung und der Umwandlung von Kohlendioxid in Sauerstoff | |
noch „übersichtlich“. | |
Fällungen, insbesondere von gesunden Bäumen, führen regelmäßig zu | |
Protesten. Zuletzt [3][trommelte die Initiative Volksentscheid Baum gegen | |
eine Rodung] auf dem Marx-Engels-Forum in Mitte, das grundlegend | |
umgestaltet werden soll. | |
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass links und rechts des T-Damms | |
mehrere hundert weitere Bäume stehen, die meisten davon deutlich größer als | |
die auf dem Mittelstreifen. Dort wurde offensichtlich seit vielen Jahren | |
nicht mehr systematisch nachgepflanzt, etliche Bäume wurden radikal | |
zurückgeschnitten, es gibt große Lücken, auf denen derzeit Großwahlplakate | |
dominieren. Nur bei wenigen Exemplaren wäre der Verlust so augenfällig wie | |
bei der Platane am S-Bahnhof. | |
Möglicherweise kann sich am Ende ohnehin der Bezirk mit seiner | |
favorisierten Planung durchsetzen. Nach taz-Informationen handelt es sich | |
bei dem Schreiben des Staatssekretärs eher um eine Bitte zum Umdenken, | |
nicht um eine Anweisung. Nicht ausgeschlossen also, dass es sich bei dem | |
aktuellen Konflikt doch nur um einen „Sturm im Wasserglas“ handelt, wie es | |
BWB-Sprecher Stephan Natz in angemessener Metaphorik andeutet. | |
20 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://bsky.app/profile/saskiaellenbeck.bsky.social/post/3liho2gb4ni2o | |
[2] /Havarien-der-Berliner-Wasserversorgung/!6057140 | |
[3] /Umgestaltung-des-Rathausforums/!6065384 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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