# taz.de -- „Die Wespe“ auf Sky: Die brutalistische Serie | |
> Hype ums Dartspiel: Die neue Skyserie „Die Wespe“ mit Florian Lukas | |
> erzählt von kleinen Leuten und einer allseits beliebten | |
> Präzisionssportart. | |
Bild: Für Eddie Frotzke (Florian Lukas, r.) bedeuten die Dartpfeile alles – … | |
Der Begriff des Brutalismus bezeichnet eine Architekturströmung der 1960er | |
und 1970er Jahre, die den Anspruch besaß, ehrlich, authentisch bei Material | |
und Konstruktion zu sein und deren liebster Baustoff folgerichtig ein nicht | |
länger verputzter oder verblendeter sogenannter Sichtbeton war. Der | |
Brutalismus hat heute einen schweren Stand, buchstäblich, sind seine | |
gebauten Hinterlassenschaften doch regelmäßig von der Abrissbirne bedroht. | |
In Berlin drehte sich so eine Abrissdebatte zuletzt um die „Mäusebunker“ | |
genannte, frühere Tierversuchsanstalt in Lichterfelde – da entsprach die | |
brutale Gebäudehülle gewissermaßen den Vorgängen im Inneren: ehrlicher, | |
authentischer geht es nicht. | |
Dieser Text soll übrigens keine Architektur-, sondern eine Filmkritik sein. | |
Aber es ist schon bemerkenswert, wie viele brutalistische Bauten das | |
Setting dieser neuen sechsteiligen Serie „Die Wespe“ da so versammelt, am | |
Bildrand, im Bildhintergrund. Neben jenem „Mäusebunker“ etwa auch das | |
Kreuzberger Urban-Krankenhaus oder das Internationale Congress Centrum | |
(ICC), dass auch schon mal abgerissen werden sollte. Zu schweigen von der | |
Großwohnsiedlung, in der der Held der Serie (Florian Lukas) wohnt. Das | |
heißt, bis ihn seine Frau (Lisa Wagner) nach der zweiten Episode vor die | |
Tür setzt und er zu seinem besten, einzigen Freund in die Laubenkolonie | |
zieht. | |
„Ick bin Eddie Frotzke! Die Wespe! Deutscher Meister 97 und 99!“, stellt er | |
sich selbst vor und lässt den Einwand nicht gelten, dass diese Erfolge | |
schon über 20 Jahre zurückliegen: „Ja, und wenn schon! Jeder hat mal ’n | |
schlechtet Jahrtausend.“ Eddie Frotzke spielt Dart, diesen Zeitvertreib, | |
von dem die meisten unter uns ohne Eurosport wahrscheinlich gar nicht | |
wüssten, dass man ihn auch als Präzisionssport betreiben kann. | |
## Eine Welt aus Turnierschauplätzen | |
Das unterscheidet ihn vom filmisch schon mehrfach in Szene gesetzten | |
Billard („Die Farbe des Geldes“, „Alles auf Zucker!“) und rückt ihn eh… | |
die Nähe des Kegelns – dessen amerikanischer Variante des Bowlings der Film | |
„The Big Lebowski“ ein unvergessliches Denkmal gesetzt hat, das „Die Wesp… | |
auch unverhohlen zitiert. Kegeln wäre vielleicht auch gegangen, nur lässt | |
sich mit einer großen Kugel eben nicht so genau ins (rechte) Auge treffen | |
wie mit einem kleinen Pfeil. | |
Und mit dem Auge verliert Eddie Frotzke auch die vorerst letzte Hoffnung | |
auf ein Comeback in seinem Sport, der ihm doch alles bedeutet: „Sach ma, | |
kennste det? Wenn de weeßt, dass der nächste Pfeil trifft, bevor du ihn | |
jeschmissen hast? Wenn de eins wirst mit dem Board. Mit der Halle. Mit dem | |
janzen Universum. Det is det beste Feeling der Welt!“ Einer Welt aus | |
Turnierschauplätzen in Paderborn, Wuppertal, Schweinfurt und Neuruppin, wo | |
der Schimmel in den Hotels kein Ärgernis war, sondern Verheißung auf ein | |
Gratisfrühstück. Aus und vorbei: „Die Flügel sind ausgerissen. Die Wespe | |
fliegt nicht mehr.“ | |
Die Wespe hat aber einen Freund, der als alternder Alkoholiker zwar noch | |
ein bisschen mehr am Ende ist … Unvergessen Ulrich Noethens Auftritt auf | |
dem Golfplatz in „Oh Boy“, als dünkelhafter Rechtsanwalts-Vater des | |
Protagonisten, wenn er diesem en passant beim Abschlag die sofortige | |
Beendigung der monatlichen Zuwendungen verkündet: „Das Einzige, was ich | |
jetzt noch für dich tun kann, ist nichts mehr für dich zu tun.“ | |
## Goldketten dicker als die Plauzen | |
In „Die Wespe“ findet sich Noethen nun nicht nur in einem etwas anderen | |
sportlichen Umfeld, sondern auch am entgegengesetzten Ende der sozialen | |
Leiter wieder, und man darf annehmen, dass die „Wespen“-Macher (Buch: Jan | |
Berger, Regie: Hermine Huntgeburth) diese ironische Fügung gerne | |
mitgenommen haben. | |
Wenn sie bei der Besetzung auch weniger ausschlaggebend gewesen sein dürfte | |
als Noethens Talent, mit dem er hinter Florian Lukas und Lisa Wagner nicht | |
zurücksteht. Ausgestattet mit Goldketten dicker als ihre Plauzen und | |
Ballonseide-Trainingsanzügen in den grellen Farben der 1980er (die Männer) | |
beziehungsweise farblich darauf abgestimmten Miniröcken und Strumpfhosen | |
(Wagner), gelingen ihnen nur auf den ersten Blick brutal überzeichnete, auf | |
den zweiten Blick aber sehr feine Porträts kleiner Leute, die sie eben | |
nicht als Kleinbürger vorführen; die lustig sind, ohne sich lustig zu | |
machen. | |
Man könnte auch sagen: die ehrlich sind, authentisch. Ohne zu verputzen und | |
zu verblenden, was die Öffentlich-Rechtlichen in der Regel gar nicht zeigen | |
und die Privaten nur, um einen wenig feinen Voyeurismus zu bedienen. Der | |
Begriff des Brutalismus bezeichnet eine Architekturströmung. Gäbe es ihn | |
auch als Filmgenre: „Die Wespe“ wäre eine im besten Sinne brutalistische | |
Serie. | |
2 Dec 2021 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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