| # taz.de -- Die Wahrheit: Mein erstes Mal | |
| > Für den Nachwuchs in der Schreiber- und Leserwelt sind Poetry Slams | |
| > optimal. Da können sie Texte auszuprobieren und alte Hasen bashen. | |
| Bild: Poetry Slam findet manchmal auf der Bühne statt | |
| Ein Viertel der deutschen Grundschüler hat Probleme mit Buchstaben und | |
| Sätzen. In der „IGLU“ genannten Studie zu Leseleistungen liegen wir damit | |
| nicht nur hinter Norwegen und Singapur, sondern auch hinter Russland und | |
| Macau. | |
| So gesehen sind Poetry Slams eine feine Sache. Junge Menschen schreiben, | |
| lesen, hören zu. Perfekt! Sicher, man fragt sich, warum alle Texte immer in | |
| dem gleichen künstlichen Slam-Singsang vorgetragen werden müssen, aber | |
| ebenso könnte man fragen, wieso 63 Prozent der | |
| Kulturwissenschaftsstudentinnen einen deutlich zu kurzen Pony tragen oder | |
| warum irgendwer glaubt, Süßkartoffelpommes wären ein kulinarischer | |
| Fortschritt gegenüber Standardfritten. | |
| Als ich anfing, auf Bühnen vorzulesen, war diese Form der Textdarbietung | |
| noch nicht erfunden. Ich gehöre zur „lost generation“: zu jung für „Soc… | |
| Beat“, zu alt für „Poetry Slam“. Was nicht heißt, dass man es nicht | |
| trotzdem mal versuchen könnte. Ich ging also beim nächsten Slam ins | |
| Kulturzentrum meines Vertrauens und ließ mich auf die Liste setzen. Als ich | |
| den Backstagebereich betrat, schauten mich alle an, als wäre ich der | |
| Rektor, der in den Schülervertretungsraum platzt, um zu kontrollieren, ob | |
| da heimlich geraucht wird. | |
| Ich sagte: „Hi, ich bin Hartmut, ich lese heute auch.“ Die Gesichter | |
| entspannten sich. Die Gespräche wurden fortgesetzt. Mit mir redete zunächst | |
| niemand. Vermutlich hatten sie Angst, ich würde Sütterlin oder Fraktur | |
| sprechen. Irgendwann erbarmte sich eine junge Frau und thematisierte meine | |
| „Vintage-Freitag-Tasche“: „Die ist doch bestimmt 20 Jahre alt.“ | |
| Nach meinem Empfinden hatte ich sie mir vorgestern gekauft. Bei einem | |
| Baselbesuch. Dann fiel mir ein, dass der Grund für den Besuch eine Lesung | |
| gewesen war, zu der mich mein Freund Mazze, damals Dramaturg am dortigen | |
| Theater, eingeladen hatte. Es musste also 2002 oder 2003 gewesen sein. | |
| „Wenn du die mal verkaufen willst …!“ – „Klar, dann sag ich Bescheid!… | |
| Schüchtern verriet ich, dass dies mein erster Slam war. Finn, Anfang | |
| zwanzig, sprach mir Mut zu: „Ey, ich war neulich bei einem Slam in | |
| Osnabrück, da war einer, der war bestimmt siebzig oder so. Ich find das | |
| super cool, wenn man das in dem Alter noch probiert.“ | |
| Finn zeigte auf die Blätter in meiner Hand: „Eigentlich isses besser, wenn | |
| man die Texte auswendig macht. Da ist man freier.“ – „Klar“, sagte ich … | |
| beschloss, meine Rolle als debütierender Senioren-Slammer noch auszubauen: | |
| „Aber weißte, das Gedächtnis …“ – „Verstehe“, antwortete Finn, �… | |
| geht natürlich auch.“ Er gab mir dann noch ein paar Tipps für meine | |
| Performance und wie man mit dem Publikum umgeht. Schließlich war er schon | |
| eineinhalb Jahre im Business. Ich bedankte mich, ging auf die Bühne und | |
| las, wie ich es seit 30 Jahren tue. | |
| Ich wurde Vorletzter. Ich hätte mal lieber auf Finn – den souveränen Sieger | |
| des Abends – hören sollen. | |
| 31 Jan 2024 | |
| ## AUTOREN | |
| Hartmut El Kurdi | |
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