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# taz.de -- Die Wahrheit: Der rauchende Mormonen-Colt
> Die Suche nach den seltsamsten christlichen Kleinkulten des 19.
> Jahrhunderts befördert einen sehr merkwürdigen Helden ans Tageslicht der
> Religionen.
Bild: Himmelsstürmer: Die Skulptur von Jonathan Borofsky findet bei den Kassel…
Manchmal bin ich neidisch. Wie ich ja schon öfter berichtete, war ich als
Kind bei den Zeugen Jehovas, einer durchaus bizarren Sekte: drei Mal in der
Woche in den Königreichssaal, Predigtdienst von Tür zu Tür, keine
Weihnachts- oder Geburtstagsfeiern, das Verbot von Bluttransfusionen, ein
täglich drohender Weltuntergang, striktes Masturbationsverbot, Homophobie
de luxe …
Was andere verstört, war für mich normal. Aufstehen, Mini-Schlips und
Mini-Sakko anziehen und mit einem Erwachsenen von Haus zu Haus gehen:
„Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, ob es ein Leben nach dem …?“
Rums, Tür zu. Nervig, repetitiv, deprimierend.
Eine dröge, freudlose Buchreligion, die man nur durch ein gemäßigtes
Doppelleben ausgleichen konnte. Das hieß als Kind: einen
Zündplättchen-Revolver unterm Bett verstecken – und als Jugendlicher: Bravo
lesen und leichtes Petting mit Regina Grunewald. Mit anschließendem
schlechten Gewissen.
Was ich damals noch nicht wusste, war, dass es vergleichbar strenge Kulte
gibt, die zwar nicht besser, aber in ihrer Lehre und Historie viel
interessanter, weil noch durchgeschepperter, als die Zeugen Jehovas sind.
Aus naheliegenden Gründen bin ich inzwischen Hobby-Sektologe und habe mich
vor allem mit den klassischen, im 19. Jahrhundert entstandenen christlichen
Kleingruppierungen beschäftigt. Hier nun das Ergebnis meines kopfinternen
Votings zur prickelndsten Schrullenreligion. Trommelwirbel: die Mormonen!
Es gibt viele Gründe für meine Wahl: der Glaube, dass Gott auf dem Planeten
„Kolob“ in der Sternengruppe „Kokaubeam“ lebt; ihre heilige Unterwäsch…
die Vielehe – inzwischen nur noch von fundamentalistischen mormonischen
Sekten, also von Sektensekten, praktiziert –; oder die Lehre, dass Jesus
nach seinem Tod nach Amerika reiste, um zu den dortigen Bewohnern zu
predigen …
Das Faszinierendste aber ist: Die Mormonen haben ihren eigenen
Revolverhelden, mit einem richtigen Revolverhelden-Namen: Porter Rockwell.
Beiname: „The Destroying Angel of Mormondom“.
Rockwell war der Leibwächter des Sektengründers Joseph Smith. Er trug einen
langen Western-Staubmantel und schnitt sich – wie der biblische Simson –
nie die Haare, weil Smith ihm prophezeit hatte, langhaarig sei er
unbesiegbar.
Rockwell soll hunderte von Leuten umgelegt haben und wird mit dem Satz
zitiert: „I never killed anyone who didn’t need killing.“ Als er angeklagt
wurde, ein – missglücktes – Attentat auf einen Politiker verübt zu haben,
verteidigte er sich mit den schlüssigen Worten: „Hätte ich ihn wirklich
erschießen wollen, wäre er tot.“
Obwohl mir heutzutage jede Gangster-Romantik fremd ist, muss ich zugeben:
Ein Glaubensbruder wie Porter Rockwell hätte meinem zehnjährigen
Spielzeugknarren versteckenden und heimlich „Rauchende Colts“ schauenden
Ich wahrscheinlich ziemlich gefallen.
27 Mar 2024
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
Kolumne Die Wahrheit
Religion
Christen
Amerika
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