| # taz.de -- Die Wahrheit: Warum ich nicht so bin, wie ich bin | |
| > Lebenslänglich Bayer: Da kannst du ein Vierteljahrhundert in Berlin leben | |
| > und wirst doch München, Bayern, den Süden nie los. | |
| Ich bin ein Berliner. Schon lange. Seit 25 Jahren wohne ich in der Stadt. | |
| In Köpenick bin ich zu Hause. Immer wenn ich das sage, lachen die Leute. | |
| Man hört mir an, dass ich früher mal woanders daheim war. Ich rolle das R, | |
| wie ich es in München gelernt habe, und die Vokale kommen von weiter hinten | |
| aus meinem Mund als bei denen, die schon immer in Berlin gelebt haben. Man | |
| hört, dass ich aus Bayern komme, und längst weiß ich, dass ich wohl nie ein | |
| waschechter Köpenicker werden kann, auch wenn ich noch so oft behaupte, | |
| dass ich schon einer bin. Der Bayer, der ich einmal war, ich werde ihn | |
| nicht los. Ich bin gefangen in meiner Herkunft. | |
| Weil das so ist, muss ich mich dauernd rechtfertigen, muss klarstellen, | |
| dass ich nicht die CSU bin zum Beispiel, und schon gar nicht der FC Bayern. | |
| Dass ich nicht sterben muss, wenn ich mal eine Woche lange keine Weißwurst | |
| gegessen habe, dass ich es auch schon mal zwei Wochen ohne diese „Brühwurst | |
| aus fein gekuttertem Kalbfleisch“ (Wikipedia) mit süßem Senf ausgehalten | |
| habe. | |
| Ich bin nicht mit einer Lederhose am Leib auf die Welt gekommen und kann | |
| mir ein Leben ohne Trachten durchaus vorstellen, auch wenn mir mein mit | |
| zunehmendem Alter üppig gewordener Weißbierbusen längst zu einer idealen | |
| Dirndlfigur verholfen hat. Ich bin nicht der Bayer aus dem Bilderbuch. Und | |
| so wie Markus Söder bin ich sowieso nicht – der ist Franke, damit das schon | |
| mal klar ist. Und weil wir gerade dabei sind: Ich bin kein Seppl, weil ich | |
| anders heiße, und ein Depp nur dann, wenn ich mal etwas Deppertes gemacht | |
| habe. | |
| Volksmusik mag ich so wenig wie Andreas Gabalier. Der ist erstens | |
| Österreicher und zweitens sowieso zum Kotzen. Ich habe Bier schon aus | |
| Gefäßen getrunken, die weniger fassen als einen Liter Flüssigkeit, und | |
| trinke auch mal Bier, das schmeckt, nicht immer Münchner Hell. Ich bin | |
| nicht der Bayer, den die Preußen in mir sehen wollen. Wer jetzt aber | |
| glaubt, ich sage auch nur ein schlechtes Wort über das Oktoberfest, den | |
| muss ich glatt enttäuschen. | |
| Jedes Jahr fahre ich zur Wiesn. Warum? Weil ich es immer schon getan habe. | |
| Weil da noch immer die sind, die schon vor 25 Jahren da waren. Weil man | |
| wegen der fehlenden Bierpreisbremse nirgendwo so gut darüber reden kann, | |
| dass früher alles besser war. Weil man beim Pieseln in die Blechrinne | |
| seinem Gegenüber in die Augen schauen kann. Weil so viele Menschen aus | |
| aller Herren Länder mit blöden Hüten aus grauem Filz rumlaufen und glauben, | |
| dass das typisch bayerisch ist. Weil ich meine schönsten Räusche der | |
| Fischer Vroni zu verdanken habe. Weil ich gern Räusche habe. | |
| Am Montag ist es wieder so weit. Gegen vier Uhr nachmittags werde ich | |
| meinen Platz in der Augustiner Festhalle einnehmen. Ob ich das mache, weil | |
| es der Bayer in mir verlangt, weiß ich nicht. Was ich weiß: Ich bin | |
| bestimmt nicht der einzige Berliner, der sich in diesen Tagen auf den Weg | |
| zur Wiesn macht. | |
| 20 Sep 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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