# taz.de -- Deutscher Militäreinsatz in Afghanistan: Neuer Prozess um Kundus | |
> Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte könnte Deutschland | |
> verurteilen – weil die Tötung von Zivilisten nicht ausreichend untersucht | |
> worden sei. | |
Bild: Soldaten der Bundeswehr in einem Feldlager in Kundus 2013 | |
BERLIN taz | Die Opfer des Bombardements von Kundus 2009 lassen nicht | |
locker. Am Mittwoch wird der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte | |
(EGMR) in Straßburg verhandeln, ob Deutschland [1][den tragischen Vorfall | |
in Afghanistan] ausreichend strafrechtlich untersucht hat. | |
Im September 2009 hatten die afghanischen Taliban in der Nähe von Kundus | |
zwei Tanklaster entführt. Die Laster blieben jedoch in einer Furt stecken. | |
Die Bundeswehr, die für die Region zuständig war, forderte zwei | |
US-Kampfflugzeuge an – aus Sorge, die Laster könnten als rollende Bomben | |
gegen das Bundeswehrlager Kundus eingesetzt werden. | |
Nach mehreren Stunden gab der deutsche Oberst Georg Klein den Befehl, die | |
Laster und die umherstehenden Menschen zu bombardieren. Er lehnte den | |
Vorschlag der US-Piloten ab, zunächst mit Tiefflügen die Menschen zu | |
verscheuchen. Klein vertraute auf die Aussage eines Informanten vor Ort, | |
dass es sich ausschließlich um Taliban handele. | |
Tatsächlich hatten die Taliban jedoch die Bewohner der umliegenden Dörfer | |
eingeladen, kostenlos Benzin zu zapfen. Beim Bombardement starben deshalb | |
mindestens 70 Zivilisten, darunter viele Kinder. | |
## Kein Vorsatz | |
[2][Die Bundesanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen Oberst Klein im April | |
2010 eingestellt]. Er habe keinen Vorsatz für ein Kriegsverbrechen gehabt, | |
da er wegen der Aussagen des Informanten nicht mit der Anwesenheit von | |
Zivilisten gerechnet habe. | |
Der afghanische Kleinbauer Abdul Hanan, der bei dem Bombardement zwei Söhne | |
im Alter von 8 und 12 Jahren verlor, wehrte sich gegen die Einstellung des | |
Verfahrens. Doch das Oberlandesgericht Düsseldorf billigte die Einstellung | |
2011 ebenso wie das Bundesverfassungsgericht vier Jahre später. | |
Abdul Hanan trug deshalb den Fall zum EGMR nach Straßburg. Er wird dabei | |
unterstützt vom European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) | |
in Berlin. Der Prozess wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung gleich vor | |
der 17-köpfigen Großen Kammer des Gerichtshofs stattfinden. | |
Zur Verhandlung am Mittwoch wird der inzwischen 47-jährige Abdul Hanan | |
nicht nach Straßburg kommen. Aber in einer Videobotschaft, die ECCHR | |
veröffentlichte, sagt er: „Die Beteiligten müssen zur Verantwortung gezogen | |
werden.“ | |
## Mangelnde Aufklärung | |
Der EGMR kann Deutschland allerdings nicht anweisen, Oberst Klein | |
anzuklagen – und das fordern auch Hanans Anwälte nicht. Sie monieren | |
lediglich, dass Deutschland die Tötung der Zivilisten nicht ausreichend | |
aufgeklärt habe. | |
Die Bundesanwaltschaft sei nicht vor Ort gewesen und habe sich nur auf die | |
militärinterne Untersuchung verlassen, sie habe keine Augenzeugen angehört | |
und zu wenig geprüft, ob Oberst Klein ausreichend Vorsichtsmaßnahmen traf. | |
Deutschland wird in Straßburg unterstützt von den Regierungen aus | |
Frankreich, Großbritannien, Norwegen, Schweden und Dänemark. Sie halten die | |
Europäische Menschenrechtskonvention in einem von den Taliban | |
kontrollierten Gebiet nicht für anwendbar. Damit werden sie aber wohl nicht | |
durchkommen, da die Luftkontrolle eindeutig beim westlichen Militär lag. | |
Anwalt Wolfgang Kaleck, der ECCHR-Generalsekretär, hofft, dass Deutschland | |
am Ende eine Entschädigung für die mangelhafte strafrechtliche Untersuchung | |
an Hanan zahlen muss. „In ähnlichen Fällen hat der Gerichtshof schon | |
mehrfach gegen die jeweiligen Staaten entschieden“, sagte er zur taz. Das | |
Urteil wird in einigen Monaten erwartet. | |
## 5.000 Dollar pro Opfer | |
Bisher haben betroffene Familien von der Bundesregierung nur 5.000 Dollar | |
pro Opfer erhalten. Ein Rechtstreit um vollen Schadensersatz, den der | |
Bremer Anwalt Karim Popal für Betroffene führte, blieb in allen Instanzen | |
erfolglos. | |
Das Oberlandesgericht Köln sah bei Oberst Klein keine | |
Amtspflichtverletzung. Der Bundesgerichtshof hielt 2016 sogar das deutsches | |
Amtshaftungsrecht für unanwendbar, weil es sich um einen militärischen | |
Konflikt im Ausland handelte. | |
25 Feb 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Bombardierter-Tanklaster-in-Kundus/!5070935 | |
[2] /Prozess-gegen-Bundeswehr-in-Kundus/!5056260 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## TAGS | |
Kundus | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Oberst Georg Klein | |
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
Kundus | |
Afghanistaneinsatz | |
Afghanistaneinsatz | |
Kundus | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bundeswehr-Beschuss in Kundus 2009: Ausreichend aufgeklärt | |
Deutschland hat den Beschuss von Kundus aufgearbeitet, so der Europäische | |
Gerichtshof für Menschenrechte. Geklagt hatte der Vater zweier Opfer. | |
10. Jahrestag des Kundus-Bombardements: Verantwortung ernst nehmen | |
Die Opfer des Luftangriffs bei Kundus vor 10 Jahren wurden weder | |
entschädigt, noch gab es eine Entschuldigung. Das ist schäbig – und | |
politisch dumm. | |
Luftangriff in Afghanistan 2009: Kritik an der Kundus-Aufarbeitung | |
Vor zehn Jahren bombardierte die Bundeswehr Tanklaster in Afghanistan. Bis | |
heute verhöhne die Bundesregierung die bis zu 140 Opfer, findet die Linke. | |
Afghanistan-Urteil des Bundesgerichtshofs: Rückschlag für die Opfer von Kundus | |
2009 hatten Taliban zwei Tanklaster entführt, die ließ ein deutscher Oberst | |
bombardieren. Die Opfer haben keinen Anspruch auf Schadenersatz. | |
Kundus-Luftangriff der Bundeswehr: Oberst Klein kann gehen | |
Die Hinterbliebenen der Kundus-Opfer müssen eine weitere Niederlage | |
einstecken: Das Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein wurde eingestellt. |