# taz.de -- Deutsche Rüstungsexporte: Nicht profitabel genug | |
> Die Ukraine bekam lange Zeit keine Waffen aus Deutschland, auch weil es | |
> sich für die Rüstungsindustrie nicht lohnte. Es braucht einen neuen | |
> Kompass. | |
Bild: In Rumänien stationierter Eurofighter der deutschen Luftwaffe | |
Bis zum russischen Angriff hat sich die Bundesregierung geweigert, Waffen | |
an die Ukraine zu liefern. Diese Weigerung ist maßgeblich darauf | |
zurückzuführen, dass sie das autoritäre Regime Putins falsch eingeschätzt | |
hat. Sie hat aber nichts mit der Fiktion zu tun, Deutschland würde keine | |
Waffen in Krisengebiete liefern. | |
Zwar sehen die politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export | |
von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern eine restriktive | |
Vorgehensweise vor, wenn es um Drittländer geht – also solche, die weder | |
der EU noch der Nato angehören und auch nicht der Nato gleichgestellt sind. | |
Gleichzeitig stellen sie aber klar, dass Länder, die sich in einem | |
bewaffneten Konflikt befinden oder wo ein solcher droht, beliefert werden | |
können, wenn es sich – wie bei der Ukraine – um einen Fall der | |
Selbstverteidigung im Sinne von Artikel 51 der UN-Charta handelt. | |
Liefert Deutschland tatsächlich keine Waffen in Krisengebiete? Schauen wir | |
in den Jemen. Hier herrscht [1][seit Jahren Bürgerkrieg] zwischen den | |
Huthi-Rebellen und der jemenitischen Regierung, die seit 2015 durch eine | |
von Saudi-Arabien angeführte Koalition unterstützt wird, an der auch die | |
Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Ägypten beteiligt sind. Diese | |
Koalition hat eine Seeblockade verhängt und bombardiert unter grober | |
Missachtung des Völkerrechts zivile Ziele wie Schulen und Krankenhäuser. In | |
diesem Krieg wurden mehr als 370.000 Menschen getötet, Millionen mussten | |
flüchten. | |
Dieser Krieg wird [2][auch mit deutschen Waffen geführt]. So setzt | |
Saudi-Arabien auch [3][Eurofighter] im Jemen ein, von denen es von 2009 bis | |
2017 72 Stück gekauft hat. Circa 30 Prozent des Eurofighters besteht aus | |
deutschen Komponenten, wie etwa der Bordkanone der Rüstungsfirma Mauser. | |
Noch im 4. Quartal 2017 hat die Bundesregierung Eurofighter-Exporte nach | |
Saudi-Arabien genehmigt. Erst [4][nach der Ermordung von Jamal Khashoggi] | |
im Jahr 2018 reduzierte die Bundesregierung die deutschen Rüstungsexporte | |
an Saudi-Arabien, ohne sie jedoch komplett einzustellen; von den VAE oder | |
Ägypten, das 2021 sogar Hauptempfängerland deutscher Rüstungsexporte war, | |
ganz zu schweigen. | |
Gut, dass sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag zu einer | |
restriktiveren Rüstungsexportpolitik verpflichtet hat. Aber sie hätte nicht | |
den Eindruck erwecken sollen, Waffenlieferungen an die Ukraine stünden im | |
Widerspruch zu bisherigen Regeln und der Praxis deutscher | |
Rüstungsexportpolitik. Zunächst keine deutschen Waffen für die Ukraine, | |
dafür aber für autoritäre Regime – wie ist das zu erklären? | |
Das bestehende System begünstigt kommerzielle Rüstungsexporte an | |
zahlungskräftige Diktaturen, indem es sicherheitspolitische Debatten über | |
Rüstungsexporte vermeidet. In den bereits genannten politischen Grundsätzen | |
zu Rüstungsexporten heißt es: „Der Export von […] Kriegswaffen [an | |
Drittländer] wird nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall | |
besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik | |
Deutschland […] für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen.“ | |
Was im konkreten Fall diese Interessen sind, muss die Regierung nicht | |
benennen. Sie muss nicht einmal sagen, um welche Rüstungsgüter es sich | |
überhaupt handelt. Kriterien wie die Menschenrechtslage oder die Stabilität | |
in der Region müssen bedacht werden – diese sind aber nicht klar definiert. | |
Letztlich entscheidet die Regierung, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen. | |
Der Bundestag hat nichts zu sagen, und es gibt keine Klagemöglichkeiten. | |
Diesem System fehlt ein außen- und sicherheitspolitischer Kompass. | |
Stattdessen wird es von starken wirtschaftlichen Interessen – wie bei den | |
Rüstungsexporten an zahlungskräftige Diktaturen – geleitet. Gibt es keine | |
großartigen Gewinnchancen für die Rüstungsindustrie wie im Fall Ukraine, wo | |
sich die Bitten der ukrainischen Regierung zunächst auf die Belieferung aus | |
Bundeswehrbeständen bezogen, fehlt es an gewichtigen Fürsprechern. Ja, es | |
gab gute Gründe gegen Waffenlieferungen an die Ukraine. Russland | |
abgeschreckt hätten sie wohl kaum, dafür die (im Nachhinein als sinnlos | |
erkannten) deutschen Vermittlungsbemühungen erschwert. Und dennoch ist es | |
geradezu bizarr und muss uns nachdenklich stimmen, dass wir ein | |
demokratisches Land in Europa in einer klaren Bedrohungslage nicht mit | |
Waffen beliefert haben, die autoritären Regime in Ägypten und den | |
Golf-Staaten hingegen schon. | |
Es ist gut, dass die neue Bundesregierung bald ein | |
[5][Rüstungsexportkontrollgesetz] ausarbeiten will. Es soll der Regierung | |
die Entscheidung nicht aus der Hand nehmen. Aber wir brauchen klarere | |
Kriterien für Rüstungsexporte und mehr Transparenz mit Blick darauf, was | |
exportiert wird. Vor allem aber sollte das Gesetz die Regierung dazu | |
verpflichten, Rüstungsexporte an Drittländer in öffentlicher Sitzung im | |
Bundestag explizit außen- und sicherheitspolitisch zu begründen und sich | |
den Debatten darüber ernsthaft zu stellen – anstatt sich in Floskeln zu | |
flüchten. | |
## Mehr Spielraum durch mehr Militärausgaben | |
Rüstungsexporte ermöglichen es, Rüstungsgüter zu günstigeren Stückpreisen | |
anzubieten, weil so Kosten von Entwicklung und Produktion auf größere | |
Stückzahlen umgelegt werden können. So werden die Waffen auch für die | |
Bundeswehr und die Steuerzahler:innen günstiger. Hier könnte die | |
geplante Erhöhung der Militärausgaben – ob man das gutheißt oder nicht – | |
einen Spielraum eröffnen. Wenn die Bundeswehr mehr Waffen bestellt, | |
brauchen wir Rüstungsexporte an Drittländer nicht mehr als | |
Konjunkturprogramm zum Erhalt der Rüstungsindustrie. | |
Vielleicht schaffen wir es wenigstens dann, die Rüstungsexportpolitik an | |
unseren außen- und sicherheitspolitischen Interessen auszurichten. Diese | |
Interessen sind nicht in Stein gemeißelt, sondern müssen gesellschaftlich | |
und politisch verhandelt werden. Aber sie sollten die Rüstungsexportpolitik | |
bestimmen und nicht die Gewinnchancen der Rüstungsindustrie. | |
25 Mar 2022 | |
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## AUTOREN | |
Max Mutschler | |
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