# taz.de -- Dekadenz und Nachhaltigkeit: Das Märchen vom massierten Stör | |
> Mit der Verheißung ökologisch-verträglichen Kaviars hat eine | |
> Meeresbiologin erst für Furore, jetzt aber für Betrugsermittlungen | |
> gesorgt. | |
Bild: Forschung mit Ergebnis: Störe im Becken legen Eier, die nicht schmecken. | |
BREMERHAVEN taz | Politisch korrekter Kaviar! Die Idee klingt verlockend. | |
Zu verlockend, auch für Politik, Medien, Investoren. Am Ende gehen deswegen | |
wohl neun Millionen Euro verloren, darunter: Hunderttausende an | |
Fördergeldern. Sie flossen, als die schöne Idee schon fast tot war. Jetzt | |
ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Subventionsbetrugs. | |
Gewerbegebiet Loxstedt-Siedewurth, am Stadtrand von Bremerhaven. Hier stand | |
noch im vergangenen Jahr jene Fischfarm von Vivace Caviar, in der das viel | |
gepriesene Wunder stattfinden sollte. Hier wollten sie „Luxus, Tierschutz | |
und Forschergeist“ miteinander vereinen, wie die Frankfurter Allgemeine | |
schrieb, die Dekadenz mit dem guten Gewissen. Edelster Kaviar sollte hier | |
geerntet werden, also die Eier des Störs – ohne dass der urzeitliche, vom | |
Aussterben bedrohte Fisch dafür sterben muss. | |
„Das war bis vor kurzem nicht denkbar“, behauptete die Firma, eine | |
Ausgründung des renommierten Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven. | |
Zwar ist es seit 2008 strikt verboten, Stör in freier Wildbahn zu fangen. | |
Doch in den Aquakulturen dieser Welt wird der Fisch in aller Regel | |
geschlachtet, um seine Eier zu ernten. Angela Köhler, Meeresbiologin und | |
AWI-Professorin, trat an, das zu ändern. Die Land&Meer brachte ihre Idee | |
deshalb auf die schöne Formel „Massage statt Mord“. Die taz kürte sie zur | |
„Stör-Freundin“. Heute möchte Frau Köhler der Presse nichts mehr sagen. | |
2014 war das noch anders, damals [1][widmete] die ARD ihr eine | |
Exklusiv-Reportage. Man müsse den Fisch nur massieren, hieß es da, während | |
der Stör auf dem Trocknen lag, dann könne man die Eier einfach | |
„abstreifen“. Und nachher, so wurde im Fernsehen berichtet, sei der Fisch | |
„putzmunter“. Und das Beste, behauptete die Firmen-PR: „Die Qualität und | |
Größe des Kaviars steigen mit jeder Ernte.“ Dazu muss man wissen, dass der | |
Stör sehr alt wird, aber viele Jahre braucht, ehe er überhaupt das erste | |
Mal laicht. „Die Idee des Artenschutzes ist die Basis des Ganzen“, sagte | |
Köhler der ARD. Dass Vivace Caviar seine Störe mit Hormonen behandelte, die | |
in Deutschland gar nicht zugelassen sind, wie Der Spiegel später berichten | |
sollte, das sagte sie nicht. | |
Dabei war das alles ihre Idee: Angela Köhler hat sogar ein Patent darauf, | |
in fast 100 Ländern in der Welt, bezahlt vom AWI. Die Firma Vivace Caviar, | |
die es weltexklusiv nutzen durfte, ist seit Sommer insolvent. | |
Warum? Im Weser-Kurier schob Geschäftsführer Thomas Bauer die Schuld auf | |
die Konkurrenz aus China und einen Investor aus der Schweiz, das Family | |
Office Wecken & Cie. Dort sah man Vivace Caviar zunächst als „nachhaltige | |
Investition“. Und legt Wert auf die Feststellung, dass man sich nicht | |
einfach zurückgezogen, sondern nur seine Beteiligung „nicht erhöht“ hat, | |
als Umsätze und Kosten „in keinem Verhältnis“ mehr zueinander standen. | |
Aus guten Gründen: Der Vivace Caviar war auf ganzer Linie „miserabel“, sagt | |
ein Kaviar-Experte der taz. „Ungenießbar“ sei das Produkt gewesen, ja: | |
„eine Frechheit“. Und: Von Anfang an sei klar gewesen, dass das mit Vivace | |
Caviar „nicht funktioniert“. Warum? „Einen Stör kann man nicht einfach | |
abstreifen“, sagt der Branchenkenner, jedenfalls nicht nur mit sanfter | |
Massage, ohne Hormone. „An der Sache ist nichts ethisch korrekt“, so der | |
Kaviar-Händler. Er spricht von „Tierquälerei“. | |
Die Insolvenz hinterließ neben mehreren Arbeitslosen zehn Millionen Euro an | |
Schulden, bestätigt Insolvenzverwalter Edgar Grönda. Er geht davon aus, | |
dass aus dem Vermögen der Firma nur etwa eine Million wiederzuholen sein | |
wird. Zwar ist lebender Stör sehr teuer. Da aber die kommerzielle | |
Produktion bei Vivace Caviar ob der Hormone offiziell als „Tierversuch“ | |
lief, können die Fische nur noch als billige Futtermittel oder als | |
Beimengung kosmetischer Produkte verscherbelt werden. | |
Und das trifft nicht nur Investoren, sondern auch die öffentliche Hand, die | |
Vivace Caviar noch kurz vor der Insolvenz mit fast 670.000 Euro förderte. | |
Bewilligt hat das Geld das niedersächsische Landwirtschaftsministerium. Nun | |
erstattete es Anzeige gegen Bauer – [2][wegen Subventionsbetrugs]. Das ist | |
nicht das einzige Verfahren: Die Staatsanwaltschaft Stade bestätigte, dass | |
sie gegen Bauer auch wegen des Vorenthaltung und Veruntreuung von | |
Arbeitsentgelt ermittelt. | |
Schon einmal war eine Firma mit der Vision angetreten, nachhaltigen Kaviar | |
zu produzieren: Die Firma Caviar Creator aus dem vorpommerschen Demmin. Sie | |
versprach den Anlegern zudem zweistellige Renditen, mehrere hundert Tonnen | |
Kaviar sollten jährlich hergestellt werden. 2010 wurde der Firmenchef wegen | |
millionenschweren Kapitalanlagebetrugs zu drei Jahren und acht Monaten Haft | |
[3][verurteilt]. | |
Ralf Bos gehört mit zu jenen, die den Vivace Caviar als erste gegessen | |
haben. Der [4][Koch und Delikatessenhändler] gehört zu den großen Playern | |
der Branche. „Das Zeug schmeckte mies“, sagt Bos, und dass er es „nie“ | |
hätte im Sortiment führen wollen. „Mir war vollkommen klar, dass sich | |
dieses Produkt nicht verkaufen lässt.“ | |
Und das will etwas heißen: Der Markt für Kaviar ist klein – die produzierte | |
Menge wächst, der Preis verfällt damit. 2014 wurden weltweit 240 Tonnen | |
Zuchtkaviar produziert, der Großteil kommt aus China. Bis 2019 soll laut | |
Prognosen doppelt so viel Kaviar geerntet werden. Doch der Preis fällt | |
derzeit pro Jahr um etwa zehn Prozent. Bos zufolge kostet das Kilo Kaviar | |
für die Gastronomie heute gut 500 Euro, bei „sensationeller Qualität“ | |
können es auch 800 Euro sein. 2004 habe der Preis noch bei 4.000 Euro | |
gelegen. | |
Üblicherweise wird solcher Kaviar aus unreifen Eiern gewonnen, weil die | |
schwarzen Kügelchen dann fester sind. Jene von Vivace aber waren ovuliert, | |
also: bereit zur Befruchtung. „Das sieht aus wie Gelee, das man mit der | |
Gabel durchgerührt hat“, sagt Bos. „Anschließend wird es mit Hilfe der | |
Molekularküche wieder in Kugeln geformt.“ Für Rolf Bos war Vivace Caviar | |
schon „mit dem ersten Löffel gestorben“. | |
Auch für Bos war schnell klar, dass der Kaviar aus Loxstedt-Siedewurth | |
nicht so innovativ und ethisch korrekt war, wie allgemein behauptet und | |
berichtet. „Fantasiegeschichten“ hätte Frau Köhler ihm da erzählt, sagt … | |
und dass die Leute bei Vivace Caviar „nicht ehrlich“ gewesen seien. Weil: | |
Die Sache mit dem ovulierten Kaviar sei ja keineswegs neu. Sondern „ein | |
alter Hut“, in Russland jedenfalls – und habe sich am Markt „nie | |
durchgesetzt“. Warum? „Es schmeckt nicht.“ Und das Verfahren von Vivace s… | |
„auch nicht besonders nett fürs Tier“, sagt Bos. „Es ist eine Illusion zu | |
glauben, kulinarisch wertvollen Kaviar produzieren zu können, ohne dass der | |
Stör stirbt. Vom lebenden Tier kann man nur die eher ungenießbaren | |
ovulierten Eier ernten.“ | |
Das AWI ist dennoch „weiterhin von dem hohen Potential des patentierten | |
Verfahrens und seiner technischen Realisierbarkeit überzeugt“, erklärt ein | |
Institutssprecher. „Erste Kontakte mit neuen Interessenten bestätigen uns | |
in dieser Einschätzung.“ Das AWI geht davon aus, sein Patent künftig | |
erfolgreicher lizenzieren zu können. Was es gekostet hat, will das | |
Forschungsinstitut „aus wettbewerblichen Gründen“ nicht sagen. Ein von der | |
taz befragter Patent-Anwalt geht davon aus, dass neben den amtlichen | |
Gebühren von rund 3.000 Euro und den Kosten für den Patent-Anwalt – | |
„vielleicht irgendwo im Bereich von 3.000 bis 10.000 Euro“ – nochmals | |
Kosten „im unteren bis mittleren fünfstelligen Bereich“ entstanden sind f�… | |
die Patente in anderen Ländern. | |
Zwar meldete der Schweizer Tagesanzeiger jüngst, die Firma „Kasperskian | |
Caviar“ habe 2013 für 1,75 Millionen Schweizer Franken eine | |
„Exklusivlizenz“ für ein in Russland registriertes Patent erworben. Für e… | |
Verfahren, das dem von Angela Köhler ähnelt. Auch hier sollen die Fische | |
nicht mehr getötet werden, um an die begehrten Eier zu gelangen. Hinter der | |
neuen Firma stehen laut dem Tagesanzeiger der | |
Nestlé-Verwaltungsratspräsident und ein russischer Geschäftsmann. Das AWI | |
dementiert, dass „Kasperskian Caviar“ sein Patent gekauft hat. „Wir haben | |
bisher noch keine weiteren Lizenzen vergeben“, sagt der AWI-Sprecher. Die | |
Suche nach Abnehmern geht weiter. | |
Branchenkenner bezweifeln, dass das AWI dabei Erfolg haben wird. Derweil | |
zieht die Pleite von Vivace Caviar weitere Kreise: Der Bund der | |
Steuerzahler will den Fall in sein Schwarzbuch aufnehmen: „Unternehmen in | |
Schwierigkeiten dürfen grundsätzlich nicht in den Genuss von Fördermitteln | |
kommen.“ | |
Die CDU im niedersächsischen Landtag hat den Landesrechnungshof | |
[5][eingeschaltet]. „Sollte diese Prüfung ergeben, dass die | |
Wirtschaftlichkeit absehbar nicht erreicht werden konnte“, hätte der grüne | |
Landwirtschaftsminister Christian Meyer „nicht nur einen umstrittenen | |
Tierversuch gefördert, sondern auch fahrlässig Steuergelder verbrannt“, | |
sagt die CDU. | |
Bei Amazon ist der Vivace Caviar übrigens noch zu haben: 50 Gramm für | |
107,25 Euro. | |
15 Feb 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=d7S0yy7bXZ0 | |
[2] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__264.html | |
[3] http://www.gomopa.net/Pressemitteilungen.html?id=1797 | |
[4] https://de.wikipedia.org/wiki/Ralf_Bos | |
[5] http://www.lrh.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=12782&_ps… | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
## TAGS | |
Patente | |
Bremerhaven | |
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung | |
Flüsse | |
Landtag Niedersachsen | |
WWF | |
Schleuser | |
Fische | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Auswilderung von Fischen in der Oder: Viele Stör-Manöver | |
Der Stör ist seit Urzeiten in Deutschland heimisch. Aber vor 50 Jahren | |
verschwand er aus der Oder. Lässt er sich wieder ansiedeln? | |
Stör-Eier und Bauernprämien: Wenn Christdemokraten bocken | |
Nach einer gereizten agrarpolitischen Debatte droht die CDU im | |
niedersächsischen Landtag damit, das Fairness-Abkommen zu kündigen. | |
Streit um Nachhaltigkeit im Fischfang: Guter Seelachs, böser Seelachs | |
Im neuen Greenpeace-Einkaufsratgeber für Fisch fallen viele Ökoanbieter | |
durch. Die beschweren sich über zu strenge Kriterien. | |
Die Wahrheit: SOS: Kaviar ist alle! | |
Erschütterndes Steuerflüchtlingsdrama in der Karibik: Unzählige Millionäre | |
sind auf hoher See von ihrer Crew schnöde im Stich gelassen worden. | |
Meeresfischzuchtanlage droht Insolvenz: Kaviar aus Völklingen | |
Eine Meeresfischzuchtanlage im Saarland wird zum Millionengrab. 70 Tonnen | |
Doraden, Störe und Yellowtail-Kingfische haben keinen Abnehmer. |