# taz.de -- Debatte Trump und der Iran: Eine ganz eigene Echokammer | |
> Wo ein toter Ajatollah wichtiger ist als ein Präsident Trump. Der Iran | |
> präsentiert sich derzeit als Kosmos von Zeichen und Ritualen. | |
Bild: Tausende Iraner bei der Beerdigung Rafsandschanis in Teheran | |
Geopolitik wird in diesen Tagen eine Art Gesellschaftsspiel, wo immer es um | |
den Präsidenten Donald Trump geht. Unbewusst wird dessen Redeweise über die | |
Welt übernommen, als seien Länder und Kontinente kleine weiße Bälle zum | |
Pingpong-Spielen: China, überhaupt Asien, Putin, Europa, die Zukunft der | |
EU. Und was ist mit dem Iran, [1][mit dem Nukleardeal]? | |
Es scheint sinnvoll, daran zu erinnern, dass die Welt jenseits von | |
US-Amerika und Europa aus durchaus selbstbewussten, eigenwilligen und | |
komplexen Gesellschaften besteht, die keineswegs beständig darauf starren, | |
was der Geblondete im Weißen Haus als Nächstes tut. Zur Illustration möchte | |
ich einige Eindrücke aus dem Iran beisteuern, einem Land, dessen | |
Entwicklung seit der berühmten 444-tägigen Geiselnahme von US-Diplomaten im | |
Jahr 1979 übrigens den stetigen Machtrückgang der Vereinigten Staaten | |
spiegelt. | |
In den zwei Wochen vor Trumps Inauguration erlebte ich einen Iran, der | |
völlig mit sich selbst beschäftigt war, gleichsam nach innen gestülpt. Als | |
ich eintraf, war Stunden zuvor [2][Ajatollah Ali Akbar Haschemi | |
Rafsandschani gestorben]; der Taxifahrer am Flughafen erzählte davon so | |
aufgeregt, dass ich einen Moment lang dachte, der Expräsident sei ermordet | |
worden. Wie sich später herausstellen würde, kam auch eine Reihe von | |
Iranern auf diese Idee. | |
Rafsandschani war 82 Jahre, ein Alter, in dem der Tod nicht ganz | |
ungewöhnlich ist; in seinem Fall durch Herzstillstand. Wer den Iran nur aus | |
der Ferne kennt, mag denken: Da ist ein alter Mullah gestorben, gut so, da | |
wird Platz für Neues. Aus der Nähe erlebte ich ein Land im Schock, dieses | |
Wort wurde ständig wiederholt, selbst von einer jungen säkularen Freundin | |
in einem Szenecafé, und sorgenvolle Ungewissheit erfüllte gerade jene, die | |
auf politische Veränderungen hoffen. Bei meiner Ankunft waren einige Server | |
von Nachrichtenseiten unter dem Ansturm der User zusammengebrochen. | |
Was in den folgenden Tagen geschah, konnte ich nur aus den Augenwinkeln | |
beobachten, denn ich war mit einer anderen Aufgabe im Land – und | |
ausländische Reporter werden weiterhin mit Kurzvisa diszipliniert. Die | |
Islamische Republik präsentierte sich, wie in allen als historisch | |
empfundenen Momenten, mit ihrem ganz eigenen Kosmos von Zeichen, Ritualen, | |
Verhaltensweisen; ein Echoraum der Selbstbezüglichkeit. | |
## „Oh Hussein, Mir Hussein“ | |
Der Tote eignete sich bestens, von vielen Iranern als Teil der eigenen | |
Lebensgeschichte betrachtet zu werden – in Wohl und Wehe. Schüler | |
Chomeinis, Präsident der Wiederaufbau-Jahre nach dem Iran-Irak-Krieg, | |
schwerreich, dann überraschend Sympathie für die Grüne Bewegung von 2009, | |
deshalb 2013 vom mächtigen Wächterrat gesperrt für eine neue | |
Präsidentschaftskandidatur; in der Folge unterstützte Rafsandschani Hassan | |
Rohani, verhalf ihm zum Sieg, galt nun als wichtigster Stratege der | |
Moderaten. | |
Weil Hardliner ihn anfeindeten, kursierte das Gerücht vom Meuchelmord – bis | |
die Familie des Verstorbenen medizinische Details im Fernsehen offenbarte | |
und versicherte, es hätten sich keine Würgemale oder Ähnliches gefunden. | |
Stets mit einem Bein in der Vergangenheit lebend, erinnerten Iraner, dass | |
Rafsandschani kurz vor dem Jahrestag eines berühmten politischen Mordes der | |
Qadscharen-Ära verstarb: Der Reformer Amir Kabir wurde 1852 in einem | |
Badehaus erstochen. Nun stehe der neue Amir Kabir vor Gott, besagte ein | |
mehrdeutiger Slogan. | |
Der Ansturm zur Beerdigungsfeier in Teheran wurde zunächst auf eine Million | |
Menschen geschätzt, später auf zweieinhalb Millionen. Das Staatsfernsehen | |
hatte es versäumt, imposante Hubschrauberaufnahmen zu liefern, und leistete | |
Selbstkritik. | |
Auf der Beerdigung bildeten die Anhänger von Konservativen und Reformern | |
rivalisierende Sprechchöre, jeweils in religiös verbrämter Weise. Der Ruf | |
„Oh Hussein, Mir Hussein“ bemühte vordergründig den wichtigsten | |
schiitischen Märtyrer aus dem siebten Jahrhundert, Imam Hussein, war in | |
Wirklichkeit jedoch ein Protest gegen den fortgesetzten Hausarrest des | |
Präsidentschaftskandidaten von 2009, Mir Hussein Mussawi. | |
## Die Sanktionen, die Isolation | |
Dem reformorientierten früheren Präsidenten Mohammed Chatami war die | |
Teilnahme am Beerdigungszug verboten worden. Wegen seiner Unterstützung der | |
Grünen Bewegung unterliegt er bereits einem Medienbann. Wann immer ein Foto | |
mit einem gepixelten Klerikerkopf erscheint, wissen Iraner: Das kann nur | |
Chatami sein. Vor seinem Haus wurden nun sogar Wachen postiert. Einem | |
Einzelnen die Teilnahme an einem Millionen-Ereignis zu untersagen, wirkt | |
wie eine Schrulle der Islamischen Republik. Doch wäre Chatamis Anwesenheit | |
als Ermutigung begriffen worden, noch mehr politischen Unmut zu zeigen. | |
Denn es ist nicht die schiere Masse, die Schutz bietet – es kommt auf die | |
Zusammensetzung der Masse an. | |
Mehrere Dutzend ehemalige Gefangene nahmen Rafsandschanis Tod zum Anlass, | |
öffentlich zu Dialog und Versöhnung aufzurufen. Die Iraner wirkten in | |
diesen Tagen, trotz aller Zerwürfnisse, wie eine Schicksalsgemeinschaft, | |
gefesselt an denselben Gefühlskosmos. Dazu haben die lange Zeit der | |
Anfeindungen von außen beigetragen, die Sanktionen, die Isolation. Aber | |
auch die Gewöhnung an das über Jahrzehnte identische Personal der | |
Islamischen Republik, das wie in einer Endlosserie im gleichen Kostüm in | |
wechselnden Rollen auftritt. | |
Wie so oft im Iran blieb alles doppelgesichtig. Weil Rafsandschani als der | |
Mann galt, der hinter der Bühne den Nukleardeal möglich gemacht habe, | |
könnte sein Tod den Präsidenten Rohani vor der Wahl im Mai weiter | |
schwächen. Oder war die große Anteilnahme an seinem Tod nicht gerade ein | |
Zeichen der Popularität der Moderaten und damit eine Stärkung Rohanis? | |
Bei aller Unterschiedlichkeit der Motive: Viele Iraner trauerten | |
tatsächlich um den alten Ajatollah. Wer aus der Ferne meint, das System, | |
für das Rafsandschani in seinen wechselnden Rollen stand, habe keine Basis | |
mehr, der täuscht sich. | |
Das sollte man auch in Trumps Kabinett zur Kenntnis nehmen. Darin befinden | |
sich mehr Anhänger eines regime change im Iran als in allen früheren | |
Regierungen. | |
28 Jan 2017 | |
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## AUTOREN | |
Charlotte Wiedemann | |
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