Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debakel um Saar-Grüne: Zu lange weggeschaut
> Bei der Bundestagswahl sind die Grünen im Saarland nicht mit der
> Zweitstimme wählbar. Derweil gibt es Rufe nach einem „echten Neuanfang“
> an der Saar.
Bild: Zu früh auf ein Bundestagsmandat gefreut: Saar-Grünen-Spitzenkandidatin…
Berlin taz | Es ist ein Debakel für die Grünen und für ihre
Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock: Im September wird die Partei nicht in
allen Bundesländern mit der Zweitstimme wählbar sein. Denn wer sie im
Saarland wählen will, wird damit noch bis zur Bundestagswahl 2025 warten
müssen. Mit der Nichtzulassung ihrer Saar-Liste bekommt die Partei die
Quittung dafür, sich über Jahrzehnte hinweg nicht ausreichend um die
merkwürdigen Verhältnisse in ihrem kleinen Landesverband an der
französischen Grenze gekümmert zu haben.
Das grüne Problem an der Saar hat einen Namen: „Die Ursache des Desasters
liegt in der langjährigen Dominanz und Rekrutierungspolitik des früheren
Landes- und Fraktionsvorsitzenden Hubert Ulrich, der mit den Delegierten
seines Heimatortes Saarlouis und anderen Ortsverbänden, die er kontrolliert
und dirigiert, eine unheilvolle Geschichte des Landesverbandes geschrieben
hat und bis heute schreibt“, sagt die frühere Grünen-Bundesvorsitzende
Simone Peter, die selbst aus dem Saarland stammt und Ulrichs Treiben lange
aus der Nähe miterlebt und -erlitten hat.
Tatsächlich stützt sich Ulrich, der [1][seit Anfang der 1990er Jahre] bei
den Saar-Grünen die Fäden zieht, auf eine geradezu wundersame Stärke seines
Ortsverbandes in Saarlouis, einer kleinen Stadt mit nur 34.400
Einwohner:innen, aber angeblich rund 720 Grünen-Mitgliedern. Damit stellt
er mehr als ein Drittel der Delegierten auf den Landesparteitagen. Seine
Prätorianergarde ermöglichte es Ulrich, parteiinterner Spitzname „der
Panzer“, sowohl [2][diverse Skandale] als auch verlorene Landtagswahlen zu
überstehen. Immer wieder schaffte der „Mafioso“, [3][wie ihn Daniel
Cohn-Bendit einmal in einem taz-Interview bezeichnet hat], das Comeback.
So sah es auch diesmal wieder aus, als sich der inzwischen 63-Jährige
[4][am 20. Juni zum Spitzenkandidaten] im Saarland wählen ließ – unter
Missachtung des grünen Frauenstatuts. Die grüne Regel, wonach Listenplatz
eins für eine Frau freigehalten werden muss, hatten die Saar-Grünen auch
schon bei den vorangegangenen Bundestagswahlen einfach ignoriert. Gekippt
wurde die erste Listenaufstellung schließlich, weil auch nicht
stimmberechtigte Parteimitglieder mitgewählt hatten.
## Auschluss von einem Drittel der Parteitagsdelegierten
Kurz vor dem zweiten Anlauf am 17. Juli traf das Bundesschiedsgericht dann
jene Entscheidung, die jetzt zu der Nichtzulassung der grünen Liste im
Saarland geführt hat: Weil drei nicht stimmberechtigten Parteimitgliedern
von außerhalb die Teilnahme an der Versammlung, auf der Mitte Mai der
Ortsverband Saarlouis seine 49 Parteitagsdelegierten gewählt hatte,
verwehrt worden war, entzog das Parteigericht den Delegierten das
Stimmrecht.
Auf dem Parteitag wurde dann an Ulrichs Stelle [5][die 25-jährige Jeanne
Dillschneider gewählt], die ihm noch im Juni unterlegen war. Die
Grüne-Jugend-Landessprecherin erhielt 56 Stimmen, 27 Delegierte votierten
gegen sie und 3 enthielten sich. Wären ihre Parteifreund:innen aus
Saarlouis stimmberechtigt gewesen, hätte es für sie nicht gereicht.
Der Ausschluss der saarlouiser Delegierten war eine Fehlentscheidung,
befand am Donnerstag der Bundeswahlausschuss mehrheitlich. Nach
80-minütiger Beratung entschied sich das Gremium mit sechs Ja- gegen zwei
Nein-Stimmen bei zwei Enthaltungen für die Nichtzulassung der
Saar-Grünen-Liste. Dagegen stimmten nur die beiden Vertreter der SPD und
der Linkspartei, Johannes Risse und Jörg Schindler. Der von den Grünen
entsandte Hartmut Geil nahm wegen Befangenheit nicht an der Abstimmung
teil: Der Bielefelder Rechtsanwalt ist Vorsitzender des grünen
Bundesschiedsgerichts.
Es sei „wahlrechtlich irrelevant“, dass die Parteiöffentlichkeit bei der
Delegiertenaufstellung in Saarlouis nicht vollständig hergestellt gewesen
sei, sagte Bundeswahlleiter Georg Thiel. Der Ausschluss der Delegierten sei
hingegen ein „Verstoß gegen den Kernbestand von Verfahrensgrundsätzen“.
Wahlgrundsätze hätten Vorrang vor parteiinternen Regelungen.
## „Ohne die Machtclique“
Sie hätte sich eine andere Entscheidung des Bundeswahlausschusses
gewünscht, sagt Simone Peter. „Denn innerparteiliche Demokratie und
Vielfalt wurden über Jahre gerade von denen missachtet, die sie jetzt
einfordern, und die dafür verantwortlich sind, dass Grüne im Saarland nicht
mit der Zweitstimme gewählt werden können.“
Die Entscheidung des Bundeswahlausschusses ist bitter für die Grünen. „Wenn
es bei der Wahl knapp wird für das Kanzleramt oder für eine
Regierungsbeteiligung, könnten den Grünen am Ende entscheidende Stimmen aus
dem Saarland fehlen“, sagte der Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer
der Rheinischen Post. „Die symbolische Wirkung ist aber wahrscheinlich noch
größer als die rein quantitative.“
Und was wird aus den Saar-Grünen? „Ein echter Neuanfang muss jetzt mit
Hilfe des Bundesvorstands und ohne die Machtclique um Hubert Ulrich
organisiert werden“, fordert Ex-Grünen-Chefin Peter. „Nur so werden Grüne
im Land wieder wählbar.“
6 Aug 2021
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!1688410
[2] /!1227802/
[3] /Cohn-Bendit-ueber-Saarland-Gruene/!5154529
[4] /Gespaltene-Gruene-im-Saarland/!5777678
[5] /Jeanne-Dillschneider-statt-Hubert-Ulrich/!5787362
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Saarland
Grüne
Annalena Baerbock
GNS
Schwerpunkt Landtagswahlen
Saarland
Saarland
Saarland
Bündnis 90/Die Grünen
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neustart für die Saar-Grünen: Langjähriger Dominator abgestraft
Das Oppositionslager setzt sich gegen den ehemaligen Anführer Hubert Ulrich
durch. Spitzenkandidatin wird die 31-jährige Juristin Lisa Becker.
Umfrage sieht Linke unter fünf Prozent: Zeitenwende im Saarland?
Nach internem Dauerstreit rutschen Linke und Grüne im Saarland unter fünf
Prozent. Die SPD liegt in Umfragen vorn.
Nach bizarrem Machtkampf im Saarland: Grünen-Liste endgültig abgewiesen
Der Bundeswahlleiter bestätigt den Ausschluss der Liste der Saar-Grünen von
der Bundestagswahl. Für die Partei ist das ein harter Imageschaden.
Saarland vor der Bundestagswahl: Landesliste der Grünen abgelehnt
Die zerstrittenen Saar-Grünen scheiterten am Freitag vor dem
Landeswahlausschuss mit ihrer Landesliste. Noch ist eine Beschwerde dagegen
möglich.
Listen-Streit bei Saar-Grünen: Die Schwäche der anderen
Der saarländische Ex-Grünenchef Hubert Ulrich hat seinen Landesverband in
die Krise gestürzt. Er hat sein Comeback systematisch vorbereitet.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.