| # taz.de -- Correctiv-Journalist über Lokalmedien: „Medien müssen die Bindu… | |
| > Correctiv eröffnet ein Café, das auch eine Redaktion für | |
| > Lokaljournalismus ist. Correctiv-Mitgründer Sachse kämpft gegen das | |
| > Sterben von Lokalmedien. | |
| Bild: Das Lokal für den Lokaljournalismus in Gelsenkirchen | |
| taz: Mit Spotlight Gelsenkirchen eröffnet am Freitag ein Café, das | |
| gleichzeitig eine Redaktion für Lokaljournalismus ist. Was ist die Idee | |
| dahinter? | |
| Jonathan Sachse: Wir wollen mit dem Projekt testen, wie ein moderner | |
| Lokaljournalismus funktionieren kann. Wir finden es wichtig, Räume zu | |
| schaffen, in denen Journalist:innen für die Menschen zugänglich sind | |
| und es möglichst wenige Hürden gibt, miteinander ins Gespräch zu kommen. | |
| Deshalb ist es in erster Linie ein Café wie jedes andere. Nur, dass darin | |
| auch Lokaljournalismus passiert. | |
| taz: Warum finden Sie diese Begegnungsräume so wichtig? | |
| Sachse: Um unsere Arbeit transparenter zu machen, Vertrauen zu schaffen und | |
| die Themen zu identifizieren, die für die Menschen vor Ort relevant sind. | |
| Das Dilemma von vielen Medien ist, dass wir nicht zugänglich genug sind. | |
| Die Themen werden oft in einem Redaktionshaus, beispielsweise in Berlin, | |
| besprochen. Dabei gibt es immer stärker ein großes Misstrauen in Medien, | |
| die Fähigkeit, Medien richtig zu nutzen, nimmt zunehmend ab und es ist | |
| immer weniger greifbar, was eigentlich unabhängiger Journalismus ist und | |
| was nicht. Deshalb brauchen wir diese Orte, in denen man sich begegnet. So | |
| bleiben wir im Gespräch und Themen können aus dem Alltag heraus gesetzt | |
| werden. | |
| taz: Lokaljournalismus findet eigentlich per Definition nah am Alltag der | |
| Menschen statt. Warum leistet der traditionelle Lokaljournalismus diese | |
| Arbeit scheinbar nicht mehr? | |
| Sachse: Das liegt unter anderem an der Digitalisierung. Im Zuge des | |
| Medienwandels, der wichtig ist, wurden viele Lokalstandorte eingestellt und | |
| die Arbeit findet online oder eben in großen Redaktionszentralen statt. | |
| Dementsprechend sind Report:innen seltener vor Ort unterwegs. | |
| [1][Außerdem gibt es generell immer weniger Lokalmedien, das zeigte zuletzt | |
| eindrucksvoll die Wüstenradar-Studie.] In der Konsequenz nehmen den Raum an | |
| vielen dieser Orte andere Akteure ein, zum Beispiel kostenlose Blätter. | |
| Zahlreiche dieser Hauswurfsendungen verfolgen allerdings keine | |
| journalistischen Interessen und geben mit Gastbeiträgen oft politischen | |
| Akteuren wie der AfD das Wort. Für die Demokratie ist das eine Gefahr. Der | |
| Zugang zu unabhängigen Informationen ist schließlich eine ihrer zentralen | |
| Säulen. | |
| taz: Warum gibt es immer weniger Lokalmedien? | |
| Sachse: Dahinter stecken oft wirtschaftliche Probleme: Das alte Modell der | |
| Finanzierung durch Anzeigen in der gedruckten Zeitung funktioniert einfach | |
| nicht mehr. Teilweise versuchen Medienhäuser, das alte Konzept zu einseitig | |
| ins Digitale zu übertragen und bearbeiten deshalb vor allen Dingen Themen, | |
| die am meisten Klicks versprechen, um die Werbeeinnahmen zu erhöhen. Doch | |
| darunter leidet die journalistische Qualität. Durch den vermeintlichen | |
| Druck, Reichweite generieren zu müssen, gibt es immer mehr populistische | |
| Positionen anstelle ausgeruhter Information. | |
| taz: Was wären denn alternative Formen der Finanzierung? | |
| Sachse: Wenn Menschen vor Ort wirklich vom Lokaljournalismus profitieren, | |
| sind sie auch bereit, dafür Geld auszugeben. Das Ziel sollte also sein, | |
| journalistische Arbeit zu leisten, in die die Menschen vor Ort Vertrauen | |
| haben und daraus einen Nutzen für sich ziehen. Dann kann eine Finanzierung | |
| zum Beispiel über Abo-Modelle für Premium-Inhalte, Podcast oder auch | |
| Newsletter funktionieren. Ein anderer Weg sind Spenden und Förderungen von | |
| Stiftungen, die gemeinnützige Lokalmedien einnehmen können. Egal welcher | |
| Weg: Wichtig ist, dass Medien die Bindung zu den Menschen vor Ort stärken. | |
| taz: Wie sieht das konkret aus? | |
| Sachse: Sie verankern immer mehr Angebote im analogen Raum, beispielsweise | |
| durch Liveaufzeichnungen von Podcasts oder Podiumsdiskussionen. Ich denke, | |
| wir brauchen noch mehr von diesen alternativen Formen, Journalismus | |
| darzustellen. Das können Theaterstücke sein, die aus Recherchen entstehen, | |
| Kunstinstallationen oder Pop-up-Redaktionen auf Marktplätzen. Wichtig ist, | |
| dass Lokaljournalisten dabei mit unterschiedlichen Menschen ins Gespräch | |
| kommen. In den USA gibt es zum Beispiel das Format der „Citizens Agenda“, | |
| das besonders in der Wahlberichterstattung eine große Rolle spielt: Die | |
| Lokalmedien laden Menschen aus der Gemeinde ein, die sonst nie zusammen an | |
| einem Tisch sitzen. Mithilfe von Moderationsregeln entsteht dann ein | |
| Gespräch, alle kommen zu Wort und können von ihren Themen und Perspektiven | |
| erzählen. Parallel finden in verschiedenen Formaten Online-Umfragen statt. | |
| Journalist:innen hören analog und digital zu und identifizieren so | |
| besser Themen, die von der Gesellschaft und nicht der Politik gesetzt | |
| werden. | |
| taz: Die Journalistin als Streetworkerin. | |
| Sachse: Nicht ganz, aber ich denke schon, dass wir von anderen Branchen | |
| lernen können. Natürlich sollen Journalist:innen nicht die Interessen | |
| der Leute vertreten, über die sie berichten. Gerade im Lokalen ist es | |
| wichtig, Distanz zu den Akteuren vor Ort zu wahren. Umso relevanter ist | |
| aber eben auch der Dialog mit Menschen, die von den Entscheidungen lokal | |
| mächtiger Personen, ob im Gemeinderat oder Sportverein, betroffen sind. | |
| taz: Im Mai hat Correctiv eine Konferenz zum Thema Lokaljournalismus | |
| veranstaltet. Daran haben rund 350 Vertreter:innen von lokalen Medien | |
| teilgenommen. Was haben Sie mitgenommen? | |
| Sachse: Lokalmedien brauchen mehr Kapazitäten für Recherche. Das betrifft | |
| sowohl die zur Verfügung stehende Zeit als auch eine angemessene Bezahlung. | |
| Es ist Aufgabe der Chefredaktion, sich für entsprechende Bedingungen | |
| einzusetzen. Wir haben außerdem die Forderung formuliert, Menschen in der | |
| journalistischen Ausbildung mehr zu stärken. Redaktionen sollten sie ernst | |
| nehmen und nicht als Lückenfüller für unbeliebte Aufgaben einsetzen. So | |
| können die Redaktionen auch neue Perspektiven, zum Beispiel von | |
| marginalisierten Gruppen, gewinnen. Darüber hinaus fordern wir, den Erfolg | |
| von Berichterstattung nicht mehr primär an der Reichweite zu messen, | |
| sondern vor allem am Impact. | |
| taz: Wie lässt sich der Impact einer Berichterstattung messen? | |
| Sachse: Zum Beispiel mit Blick auf ihre Folgen. Die kann man im Lokalen | |
| eigentlich besonders gut beobachten. Gab es nach der Berichterstattung | |
| Debatten im Stadtparlament? Gibt es Gruppierungen, die auf die | |
| Berichterstattung angesprungen sind? Hat sie irgendeine Form von | |
| Veränderung angestoßen? Die Auseinandersetzung mit den Folgen einer | |
| Berichterstattung kann auch dazu führen, dass Journalist:innen weiter | |
| an einem Thema dran bleiben. Das stiftet Vertrauen bei denen, die sich für | |
| das Thema interessieren. Ich denke, der Blick auf den Impact einer | |
| journalistischen Arbeit ist eine bessere Wertschätzung als ein Ranking nach | |
| Klickzahlen, das es in manchen Redaktionen gibt. | |
| 20 Jun 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.wuestenradar.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Marie Gogoll | |
| ## TAGS | |
| Lokaljournalismus | |
| Correctiv | |
| Ruhrgebiet | |
| Medienkonsum | |
| Lokaljournalismus | |
| Kolumne Flimmern und Rauschen | |
| Kolumne Über Morgen | |
| Correctiv | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Recherchen auf der Bühne: Journalismus ist showtauglich | |
| Bei der Show „Jive“ präsentieren Journalisten ihre Arbeit live vor | |
| Publikum. Dieses Format gehört nicht nur in die Großstadt, sondern aufs | |
| Land. | |
| Gewalt gegen Presse: Journalist*innen müssen besser geschützt werden | |
| Immer mehr Hass und Gewalt, immer weniger Kolleg*innen: Lokaljournalismus | |
| wird zur Gefahrenzone – doch niemand möchte für besseren Schutz zahlen. | |
| Selbstwirksamkeit und Bezug zur Region: Auch in 100 Jahren geht es nicht ohne l… | |
| Die Süddeutsche Zeitung will ihre Lokalberichterstattung reduzieren. Das | |
| ist eine fatale Entscheidung für die Demokratie, erzählt ein Zeitreisender. | |
| Konferenz zu Lokaljournalismus: Die Zeit ist knapp | |
| Lokale Medien haben zurzeit viele Probleme. Wie sich die lösen lassen, | |
| darüber berieten Journalist*innen bei der Konferenz von | |
| Correktiv.Lokal. |