# taz.de -- Corona in Ungarn: Orbán will per Dekret regieren | |
> Das Parlament diskutiert ein Gesetz, mit dem es sich selbst entmachten | |
> würde. Außerdem: Wer die Quarantäne bricht, dem droht jahrelange Haft. | |
Bild: Greift nach diktatorischer Macht: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán | |
WIEN taz | Ungarns Parlament befasst sich seit Montag mit einem | |
[1][Notverordnungsgesetz, das Premierminister Viktor Orbán fast | |
diktatorische Vollmachten übertragen würde]. Der über Justizministerin | |
Judit Varga lancierte Entwurf sieht vor, dass sich das Parlament selbst | |
entmachtet, denn im Krisenfall könnte die Regierung es auf unbestimmte Zeit | |
in Urlaub schicken. | |
Verordnungen des Premiers müssten dem Parlamentspräsidenten nur noch | |
mitgeteilt werden. Via Verordnung, so der Plan, könnte die Regierung dann | |
„die Anwendung einzelner Gesetze suspendieren, von gesetzlichen | |
Bestimmungen abweichen und sonstige außerordentliche Maßnahmen treffen“. | |
Mit anderen Worten: Alle Macht für Orbán. | |
Das Parlament lehnte es am Montagnachmittag zwar ab, den Gesetzentwurf | |
außerordentlich als Eilverordnung zu diskutieren, was einer | |
Vierfünftelmehrheit bedurft hätte. Jedoch kann die Regierung ihr Projekt ab | |
dem 31. März neuerlich einbringen. Dann reicht die normale | |
Verfassungsmehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten. Über die verfügt | |
Orbáns Regierungskoalition. | |
Dem Entwurf zufolge werden außerdem zwei neue Straftatbestände eingeführt: | |
Wer falsche oder verzerrte Berichte veröffentlicht, die den „erfolgreichen | |
Schutz“ der Öffentlichkeit behindern, dem drohen bis zu fünf Jahre | |
Gefängnis. Was als richtig gilt, entscheidet in Ungarn schon jetzt die | |
Regierung. Auch Personen, die gegen Quarantänebestimmungen verstoßen, | |
könnten fünf Jahre lang eingesperrt werden – acht Jahre, wenn der Verstoß | |
einen Todesfall nach sich zieht. | |
Ungarn hat bis Montag 167 bestätigte [2][Coronavirus]-Infektionen und vier | |
Todesfälle gemeldet. Landesgrenzen, Schulen und andere öffentliche | |
Einrichtungen sind seit vergangener Woche geschlossen. An der Ausbreitung | |
des Virus sind für Orbán – entgegen der Faktenlage – die Flüchtlinge | |
schuld. Und natürlich sein Lieblingsfeind George Soros, der | |
ungarischstämmige US-Milliardär, der mit seinen Stiftungen liberales | |
Gedankengut verbreitet. | |
## Kritiker sieht „Übergang zur Diktatur“ | |
Für Bertalan Tóth, Chef der sozialdemokratischen MSZP, droht eine Diktatur, | |
wenn das Parlament dem Plan seinen Segen gibt. Seine Partei, so der | |
Abgeordnete auf Facebook, werde kein Gesetz mittragen, das „Ungarn auf | |
unbestimmte Zeit Viktor Orbán ausliefert“. | |
Auch die ursprünglich faschistoide Jobbik, die sich in letzter Zeit moderat | |
nationalkonservativ gibt, will sich für dieses Projekt nicht hergeben. | |
Parteichef Péter Jakab sagte in der regierungskritischen Zeitung Magyar | |
Hang, Ungarn dürfe „keine südamerikanische Militärdiktatur werden und kein | |
„Königreich“ mit Orbán als Herrscher auf Lebenszeit. | |
Der 1956 vor dem kommunistischen Regime geflohene österreichische | |
Journalist Paul Lendvai sieht den „Übergang zur Diktatur“. Wann der | |
Notstand endet, würde allein Orbán entscheiden. | |
Regierungssprecher Zoltán Kovács dagegen beruft sich auf die besonderen | |
Umstände: „Leben stehen auf dem Spiel!“ Ungarns Gesundheitssystem, da sind | |
sich alle Experten einig, ist der Corona-Pandemie nicht gewachsen. Desolate | |
Spitäler und Mangel an Personal können nicht einmal einen normalen Betrieb | |
garantieren. In der negativen internationalen Berichterstattung über das | |
Gesetzesvorhaben sieht Zoltán eine unverantwortliche und „grobe Verzerrung | |
der Fakten“. | |
Nicht nur die Opposition und die EU laufen gegen das Gesetzesprojekt Sturm. | |
Auch eine Gruppe renommierter Juristen, darunter ehemalige | |
Verfassungsrichter, versucht, mit einer Online-Petition das Schlimmste zu | |
verhindern. Ihr Appell an die Abgeordneten, der „Abschaffung der | |
Rechtsstaatlichkeit“ nicht zuzustimmen, wurde binnen kürzester Zeit von | |
über 40.000 Menschen unterschrieben. | |
24 Mar 2020 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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