# taz.de -- Christian Streich verlässt SC Freiburg: Der nächste Bundespräsid… | |
> Freiburg-Trainer Christian Streich gibt nach der Bundesligasaison seinen | |
> Posten ab. Das ist gut, denn nun kann er Frank-Walter Steinmeier ablösen. | |
Bild: Wie sagte er so schön: „Am beschte: Machsch' de Fernseher aus, schausc… | |
Die Abneigung gegen den Politikbetrieb ist allgegenwärtig. So künstlich, so | |
glatt erscheinen die politischen Profis, dass viele sie als unecht oder | |
unehrlich empfinden. | |
Demokratisch gesinnte Politikerinnen und Politiker arbeiten sich an | |
komplexen Problemen ab, suchen Kompromisse – und das hört man ihrer Rede | |
an, die derart austariert ist, dass sie wie Heuchelei rüberkommt. Im | |
Gegenzug prollen sich allenthalben Populisten an die Macht, die geradezu | |
erfrischend wirken, auch wenn sie nicht die besten Absichten hegen. | |
Um diesem Teufelskreis zu entkommen, ein Vorschlag zur Güte: Suchen wir uns | |
einen Bundespräsidenten, der ein Amt ohne Macht hat, aber das Bedürfnis | |
nach Authentizität erfüllt. Fragen wir doch Christian Streich, der am Ende | |
der Bundesligasaison als [1][Fußballtrainer beim SC Freiburg aufhört]! | |
Die Idee kam mir vor sieben Jahren, als ich zum ersten Mal auf Youtube eine | |
Bundesliga-Pressekonferenz anschaute. Vor der Wand mit den | |
Sponsorenstickern saß Christian Streich. Es war 2016, das Jahr nach „Wir | |
schaffen das“, als die Willkommenskultur den Niederungen des Alltags wich | |
und die Hetzer ihre Chance zu nutzen begannen. Auf der Pressekonferenz | |
äußerte sich Streich zum Fall einer Freiburger Studentin, die wenige Monate | |
zuvor nachts vom Fahrrad gezerrt, vergewaltigt und getötet worden war. | |
Unter Verdacht stand ein Geflüchteter aus Afghanistan, der später auch für | |
die Tat verurteilt wurde. Ein verstörender Mord. | |
## Bekenntnis zur Demokratie | |
In der etwa fünfminütigen Videosequenz beginnt Streich ruhig, fast | |
stockend, mit einer Geschichtsbetrachtung. Er spricht über | |
Generalverurteilungen als gesellschaftlichen Mechanismus, zieht die Linie | |
zum Nationalsozialismus. Dann wird er konkret. Ihm sei zugetragen worden, | |
dass ein AfD-Politiker den Vater des Opfers als „pathologisch“ bezeichnete, | |
weil dieser in der Flüchtlingshilfe aktiv sei. | |
Diese Verhöhnung eines Vaters, der gerade Schreckliches durchmachte, weist | |
Streich als Verstoß gegen den menschlichen Anstand zurück. Es ist ihm | |
anzuhören: Er nimmt die Sache persönlich und fordert dies auch von seinen | |
Zuschauerinnen und Zuschauern. Wie billig, wie kläglich, wie abstoßend | |
erscheint im Gegensatz dazu der Rechtspopulist. | |
Der Coach schließt mit einem Appell: Herausforderung annehmen, Bekenntnis | |
zur Demokratie ablegen! Über die Jahre tat er das immer wieder, forderte: | |
„Geht wählen!“, und warnte: „Es kann mir keiner kommen und sich als | |
Protestwähler bezeichnen. Es soll mir keiner rumjammern, wenn er hinterher | |
von einer rechtsnationalen Partei autokratisch regiert wird.“ | |
## Regieren aus dem badischen Homeoffice | |
Streichs Einzigartigkeit besteht darin, dass er über Fragen der Moral ohne | |
moralische Überheblichkeit spricht. Er stolpert über Begriffe wie | |
Authentizität, erfindet dafür aber manchmal neue Wörter: Wie den Ausdruck | |
„Frohness“ in seinem Abschiedsvideo, der ein wenig an die Wortschöpfungen | |
des Albus Dumbledore („Nitwit! Blubber!“) erinnert. | |
Nun mag man fragen, ob es fürs höchste Staatsamt nicht doch eine Person mit | |
politischer Erfahrung braucht, die Gesetze unterzeichnen, Staatsgäste | |
empfangen, durch die Welt reisen kann. Zumindest Letzteres übernehmen | |
sicher gern der Bundeskanzler, die Außenministerin und der | |
Wirtschaftsminister. Auch die übrigen Pflichten lassen sich vielleicht aus | |
dem badischen Homeoffice erledigen. | |
Die Präsenz „aufm Platz“ ist nicht mehr entscheidend. Wichtiger ist jemand, | |
der oder die gemeinsame Werte so formuliert, dass sie quer durch Schichten, | |
Herkünfte und Neigungen verstanden und umarmt werden. Der uns in Zeiten der | |
Verunsicherung öfter mal aus dem Herzen spricht und damit Hoffnung gibt. | |
Ich würde mich freuen über einen Christian Streich, der | |
Weihnachtsansprachen hält und über soziale Kanäle kommuniziert. Er kann | |
das, wie seine Pressekonferenzen zeigen. Auch wenn er selbst den „asozialen | |
Medien“, wie er sie nennt, kritisch gegenübersteht. | |
Nicht nur deshalb wird er den Vorschlag natürlich ablehnen. Aber frage | |
koscht ja nix. | |
22 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Henriette Löwisch | |
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