| # taz.de -- China stoppt weltweite Müllimporte: Deutscher Müll muss deutsch b… | |
| > Abfälle sind ein globales Geschäft. Doch ab Januar könnten deutsche | |
| > Verwerter auf ihrem Müll sitzen bleiben. Risiko? Chance? | |
| Bild: Schmutzige Handarbeit: Sortierung von Elektroschrott im westfälischen L�… | |
| Lünen/Peking taz | „Schalke-Mahlgut erkennt auch der Laie“, sagt Dirk | |
| Rathmann. Er deutet auf ein großes Glas, gefüllt mit blau-weißen | |
| Plastikkrümeln. Die Krümel sind Kunststoffgranulat aus geschredderten und | |
| gemahlenen Kanistern, und die sind meistens weiß oder blau, wie die Farben | |
| von Schalke 04. „Und, was war das mal?“, fragt Rathmann und hält seinen | |
| Besuchern ein Glas mit bunten Krümeln – Kunststoffgranulat – unter die | |
| Nasen. „Schampoo- oder Waschmittelflaschen“, antworten die im Chor. | |
| „Richtig“, lobt der 44-jährige Betriebsleiter, der in der | |
| Kunststoffaufbereitung von Remondis in Lünen am Rande des Ruhrgebiets | |
| arbeitet. | |
| In der Anlage, in der Kunststoffgegenstände – Kanister, Flaschen, Tonnen, | |
| Verpackungen – zu feinem Granulat verarbeitet werden, kennt Rathmann jede | |
| Schraube, jedes Rohr, jedes Band. Davon gibt es reichlich in dieser | |
| modernen Hexenküche, in der es ohrenbetäubend rattert und zischt, dampft – | |
| und stinkt. Die Verpackungen wirbeln in Luftströmen, fallen durch | |
| Gitterroste, baden in Tauchbecken. „Waschen, legen, föhnen“, sagt Rathmann, | |
| „das machen wir hier.“ Vorne werden Abfallberge in die Anlage gekippt, | |
| hinten kommen sortenrein getrennte und gereinigte Granulate heraus, zum | |
| Beispiel Polyethylen und Polypropylen, sortenreine Kunststoffe, die die | |
| Industrie als Rohstoff einsetzen kann. | |
| Allerdings: Als Schalke-Mahlgut endet nur der kleinere Teil. Fast sechs | |
| Millionen Tonnen Plastikmüll davon sind 2015 laut Umweltbundesamt | |
| angefallen – das Gesamtgewicht der ägyptischen Cheops-Pyramide. Davon sind | |
| mit 2,7 Millionen Tonnen nicht einmal die Hälfte „stofflich verwertet“, | |
| also zu Granulat verarbeitet worden. Der größere Teil – 53 Prozent – wurde | |
| dreckig, nicht nach Kunststoffsorten getrennt, sondern einfach zu Ballen | |
| gepresst – als Brennstoff genutzt oder gleich nach China transportiert. | |
| Doch diese Zeiten sind vorbei. | |
| ## China will nur noch sehr sauberen Müll | |
| Der weltgrößte Müll-Importeur will keinen schmutzigen Abfall mehr aus dem | |
| Ausland annehmen. In einem Schreiben an die Welthandelsorganisation hatte | |
| die chinesische Regierung schon im Juli mitgeteilt, dass zum Schutz der | |
| eigenen Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung die Einfuhr von Hausmüll | |
| verboten werden soll. Vor ein paar Tagen konkretisierte die Regierung in | |
| Peking, Metallschrotte, alte Kabel, Altpapier und Kunststoffe dürften nur | |
| noch Verunreinigungen von 0,5 Gewichtsprozent aufweisen. | |
| Das hält die deutsche Industrie für technisch nicht machbar. Nicht nur | |
| kleine und mittelständische Recyclingunternehmen treffe das hart, sagen | |
| Branchenkenner; vor allem für die großen Aktiengesellschaften – wie Alba in | |
| Berlin, das Duale System in Köln oder eben Remondis in Lünen – sei das | |
| bitter. In ihren verzweigten Unternehmensstrukturen fänden sich nicht nur | |
| Verwertungsfirmen wie etwa die Vorzeigeanlage in Lünen; als Entsorger | |
| sammelten sie jede Menge Müll ein, den sie nicht sortiert und aufbereitet, | |
| sondern bislang gewinnbringend ins Reich der Mitte verkauft hätten. | |
| Doch China zieht einen „grünen Zaun“ um seine Grenzen, und der wird nicht | |
| nur die deutsche Abfallwirtschaft umkrempeln. Im vergangenen Jahr hat die | |
| Volksrepublik allein 7,3 Millionen Tonnen Plastikmüll aus aller Welt | |
| importiert. Die größten Lieferanten waren Japan und die USA, deshalb sehen | |
| die Unternehmen auch dort rot: Eine 5-Milliarden-Dollar-Industrie sei | |
| „gefährdet“, vermutet Adina Adler vom US-Institut der Recycling-Industrie. | |
| ## Müll-Stopp kann der Recycling-Quote helfen | |
| Hierzulande stellt der Branchenverband bvse in seinem Marktbericht für | |
| November nüchtern fest: „Deutschland läuft weiterhin voll mit | |
| Kunststoffabfällen.“ In der Folge seien eine Reihe von Marktveränderungen | |
| auszumachen. So würden verstärkt Granulate nach China geliefert anstatt | |
| verpresster Kunststoffabfälle; zum Teil werde sauberer nach | |
| Kunststoffsorten getrennt, zum Teil seien aber auch die Hersteller von | |
| Ersatzbrennstoffen im Auftrieb. | |
| Das heißt mit anderen Worten: Wegen des grünen Zauns um China werden sich | |
| auf Europas Straße künftig keineswegs gigantische Müllberge türmen. | |
| Vielmehr bringt der Zaun die hiesige Industrie dazu, Abfälle besser zu | |
| trennen, um sie doch noch nach Fernost verkaufen zu können. Außerdem wird | |
| mehr verbrannt, um Energie zu gewinnen. | |
| Das alles passiert schon jetzt, bevor die neuen Regeln in China überhaupt | |
| in Kraft getreten sind. Die Auswirkungen der Ankündigung seien zu spüren, | |
| sagt Monika Gabler, Sprecherin der Hamburger Reederei Hapag Lloyd. Ein | |
| Containerschiff braucht etwa sechs Wochen bis zum Hafen von Hongkong oder | |
| Tianjin vor Peking. Wer Mitte November noch losfährt, sollte sicher sein, | |
| dass er seine Fracht Ende Dezember auch losbekommt. | |
| ## Umweltbestimmungen in China werden beachtet | |
| Sicher ist das nur noch bei hochwertigem Recycling-Rohstoff. Denn das | |
| bisherige Geschäftsmodell – chinesische Wanderarbeiter sortieren für | |
| geringste Löhne in mühseliger Arbeit den Müll, egal wie giftig der war – | |
| funktioniert nicht mehr. Umwelt- und Gesundheitsbestimmungen gibt es zwar | |
| in China schon lange. Doch inzwischen werden sie auch befolgt. Und mit | |
| steigenden Löhnen, vor allem aber auch gestiegenem Gesundheitsbewusstsein | |
| sind immer weniger Menschen bereit, in schmutzigen Abfällen nach möglichen | |
| Wertstoffen zu wühlen. | |
| Hinzu kommt, dass die Chinesen inzwischen selbst gigantische Müllberge | |
| anhäufen. Nach offiziellen chinesischen Angaben hat das Riesenreich im | |
| vergangenen Jahr rund 200 Millionen Tonnen Hausmüll produziert und weitere | |
| 3,3 Milliarden Tonnen an Industrieabfällen. Vor zehn Jahren war es nicht | |
| einmal halb so viel. Das Problem ist im ganzen Land sichtbar. Trotz der | |
| zahlreich errichteten modernen Recycling- und Müllverbrennungsanlagen kommt | |
| die Abfallwirtschaft nicht mehr hinterher, den Müll zu verbrennen oder | |
| wiederzuverwerten. Vor den meisten Millionenstädten türmen sich gewaltige | |
| Müllberge auf. | |
| Selbst das dünn besiedelte Grasland des tibetischen Plateaus und der | |
| innermongolischen Steppe ist inzwischen zugemüllt. Die tibetischen und | |
| mongolischen Nomaden sind es gewohnt, ihren Abfall einfach in der Wildnis | |
| zu hinterlassen. Doch handelte es sich früher vor allem um organischen | |
| Müll, sind es nun Plastikabfälle und Pet-Flaschen, die unverrottbar überall | |
| herumliegen. | |
| Noch sehr viel verheerender für die Umwelt ist das Müllproblem in den | |
| Gewässern. Wie Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung | |
| Leipzig und die Hochschule für angewandte Wissenschaften Weihenstephan | |
| zusammengetragen haben, sind China und Indien dort die mit Abstand größten | |
| Verschmutzer. Acht der zehn schmutzigsten Flüsse der Welt liegen in | |
| Fernost. | |
| ## Vom Fluss ins Meer | |
| In China sind es neben dem Yangtse vor allem der Gelbe Fluss, der Haihe und | |
| der Perlfluss im Süden des Landes, in die gewaltige Mengen an Plastikmüll | |
| gekippt werden. Am Dreischluchtenstaudamm etwa, der den Yangtse aufstaut, | |
| fischen Arbeiter jeden Tag rund 3.000 Tonnen Müll aus dem Gewässer, den die | |
| Verwaltung des Damms auf Deponien in der Umgebung entsorgen lassen muss. | |
| Anderen Studien zufolge gelangt mehr als ein Drittel des weltweiten | |
| Plastikmülls in den Ozeanen über die chinesischen Ströme in die Weltmeere. | |
| Die chinesische Regierung hat das Müllproblem erkannt. Dem jüngsten | |
| Fünfjahresplan zufolge will China in den kommenden Jahren umgerechnet mehr | |
| als 20 Milliarden Euro in den Bau von neuen Verbrennungsanlagen stecken. | |
| Der Müll aus dem Ausland wird dafür aber nicht benötigt. Wenn | |
| Abfallunternehmen im Ausland nun glauben, dass die chinesische Regierung | |
| schon häufig Änderungen angekündigt habt, sie aber dann nicht umsetzte, | |
| dann dürften sie sich nach Ansicht des Abfallexperten Huang Xiaoshan | |
| diesmal täuschen. „China meint es mit dem Umweltschutz derzeit äußerst | |
| ernst“, sagt der prominente Umweltaktivist. | |
| Das Umdenken in China legt die Versäumnisse der deutschen Umweltpolitik | |
| bloß, die sich in den letzten Jahren auf Erfolgen der Vergangenheit | |
| ausgeruht hat. Manche Recyclingerfolge seien „mit dem Export minderwertiger | |
| Mischkunststoffe nach China erkauft worden“, analysiert der Verband der | |
| kommunalen Unternehmen. „Tatsächlich wurden Recyclingquoten mit Exporten | |
| nach Asien jahrelang schöngerechnet“, so der Verband. | |
| Das lässt sich auch selbstkritisch lesen: Die Kommunen haben, gemeinsam mit | |
| der privaten Entsorgungswirtschaft, die Abfallpolitiker damit beschäftigt, | |
| darüber zu entscheiden, wer am Müll verdienen darf – und wer nicht. Die | |
| Frage, wie Abfall am besten zu vermeiden oder am effizientesten und | |
| saubersten zu nutzen ist, blieb dabei häufig auf der Strecke. Während | |
| Deutschland in Selbstzufriedenheit verharrte, entdeckten die Chinesen den | |
| Müll als das große Geschäft. | |
| Als das Land ab den frühen neunziger Jahren damit begann, den Rest der Welt | |
| mit Jeanshosen, Sportschuhen, Kühlschränken und Fernsehbildschirmen zu | |
| beglücken, entstand für die Logistikunternehmen ein großes Missverhältnis. | |
| Die gigantischen Containerschiffe, die die chinesischen Häfen voll beladen | |
| verließen, kehrten meist leer zurück. Denn so sehr die Chinesen den Globus | |
| mit Konsumartikeln belieferten, sie selbst brauchten aus dem Ausland nur | |
| wenig – oder sie konnten sich ausländische Ware damals schlicht nicht | |
| leisten. | |
| ## Cheung Yan, Milliardärin dank Abfall | |
| Cheung Yan war die Erste, die darin ein profitables Geschäft erkannte. Die | |
| 60-Jährige kam auf die Idee, die leeren Container bei der Rückkehr mit Müll | |
| zu füllen. Sie erkannte, dass sich in dem Abfall Wertstoffe befinden, die | |
| für Chinas sich damals entwickelnde Volkswirtschaft von großem Nutzen sein | |
| könnten. Und weil die Frachter auf dem Rückweg praktisch leer fuhren, waren | |
| die Transportkapazitäten wiederum sehr günstig zu kaufen. | |
| Ohne jede Ahnung von der Abfallwirtschaft und einen Brocken | |
| Englischkenntnisse gründete sie mit einem Startkapital von umgerechnet | |
| gerade einmal 20.000 Euro die Firma „Nine Dragons“. Die spezialisierte sich | |
| vor allem auf den US-Import von Altpapier. In China wiederum verarbeitete | |
| sie dies zu dringend benötigter Verpackungspappe und anderem | |
| Verpackungsmaterial, das wiederum für die boomende Exportbranche benötigt | |
| wurde. Das Papier landete also wieder in den USA, womit sie wiederum die | |
| leeren Container zurück nach China füllte – ein perfekter Kreislauf. | |
| Innerhalb weniger Jahre wurde „Nine Dragons“ der größte Altpapier-Exporte… | |
| der USA. Heute ist Cheung Yan mit einem geschätzten Vermögen von über drei | |
| Milliarden US-Dollar die reichste Geschäftsfrau Chinas. Andere chinesische | |
| Unternehmer übernahmen ihre Idee. China wurde zum weltgrößten Importeur von | |
| Müll. | |
| Und nun? „Vielleicht wachen wir hier endlich auf“, hofft Michael Schneider | |
| von Remondis im westfälischen Lünen, „wir könnten so viel mehr.“ Auf 240 | |
| Hektar füllt das Unternehmen hier quasi ein eigenes Gewerbegebiet, in dem | |
| die Wege für Lkw und Gabelstapler „Kompoststraße“ heißen, „Mühlenstra… | |
| oder „Biostraße“. Von der giftigen Chemikalie über Elektrogeräte bis zum | |
| Grünschnitt werden in den verschiedenen Anlagen die unterschiedlichsten | |
| Stoffe und Gegenstände in ihre Bestandteile zerlegt, zerkleinert und dann | |
| entweder als neuer Rohstoff verkauft, als Brennstoff verbrannt oder als | |
| Sondermüll entsorgt. Zum Teil ist große Technik im Spiel, zum Teil aber | |
| auch schmutzige Handarbeit. | |
| ## Deutsche Entsorger hoffen auf Hilfe | |
| In der mehrfamilienhausgroßen Halle für die Elektroschrott-Verwertung etwa | |
| sortieren vier Männer am Fließband Haushaltsgeräte, Handys, Computer und | |
| Drähte. Sie entfernen ihre Akkus und Kondensatoren, die in der Anlage Feuer | |
| fangen oder explodieren könnten. Hier machen sich die Förderbänder, | |
| Rüttelmaschinen und Gebläse die Tatsache zunutze, dass Metalle | |
| unterschiedliche Gewichte auf die Waage bringen und sich somit mechanisch | |
| leicht trennen lassen. Am Ende des Prozesses stehen Kübel, voll mit Kupfer, | |
| Eisen oder edelmetallhaltigen Mikrochips. | |
| „Wir könnten so viel mehr“, wiederholt Schneider. Helfen würde es etwa, | |
| wenn die Regierung die Industrie endlich mit einer Ökodesign-Richtlinie | |
| dazu zwingen würde, Dinge so zu produzieren, dass sie sich leichter | |
| auseinandernehmen ließen; mit schärferen Regeln für die großen Mengen an | |
| Gewerbeabfällen, in denen Müll einfach vermischt wird und damit kaum noch | |
| recycelt werden kann; oder indem sie Recyclingmaterialien zu besseren | |
| Marktchancen verhilft – etwa, ihre Nutzung als Lebensmittelverpackung zu | |
| erleichtern. Noch immer litten diese unter einem schlechten Image, glaubt | |
| Schneider, „Sekundärmaterial“ – zweite Wahl eben. | |
| Um ihren Recylingkunststoff attraktiver zu machen, haben sie ihm bei | |
| Remondis vor einigen Jahren Parfüm beigemischt, Lavendel, Rose, Vanille. | |
| „Hat aber nicht funktioniert“, sagt Schneider. Als Familienunternehmen sei | |
| man natürlich immer für so wenig Bürokratie wie möglich, sagt er. „Aber | |
| beim Ressourcenschutz brauchen wir die Politik“, sagt er, „sonst kommen wir | |
| nicht weiter.“ | |
| Wird China nun gar zum Vorbild? Umweltaktivist Huang sieht sein Land trotz | |
| des Engagements der Regierung auf dem falschen Weg. „Es sollte mehr um die | |
| Einstellung der Leute gehen statt um technische Lösungen“, kritisiert er. | |
| Huang glaubt daher, dass es noch Jahrzehnte dauern wird, bis China sein | |
| Müllproblem gelöst haben wird – auch ohne Abfall aus dem Ausland. | |
| 28 Nov 2017 | |
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| Heike Holdinghausen | |
| Felix Lee | |
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