# taz.de -- Bundeswehr setzt auf Tierexperimente: Versuche mit der Maus | |
> Immer mehr Forscher:innen verzichten auf Tierversuche – nicht jedoch | |
> die Bundeswehr. Ein Verein von Ärzten will geplante Experimente stoppen. | |
Bild: Mäuse werden am häufigsten für Tierversuche eingesetzt – auch bei de… | |
TÜBINGEN taz | Die Bundeswehr will im Herbst Tierversuche an über 1.000 | |
Mäusen durchführen. Es werde „zum einen an einem Blutersatzstoff und zum | |
anderen an einem künstlichen Hautersatz geforscht“, bestätigte ein Sprecher | |
des Verteidigungsministeriums. Bei der ersten Versuchsreihe würden rote | |
Blutzellen und Thrombozyten – Blutplättchen – aus menschlichen Stammzellen | |
gewonnen sowie Thrombozyten, die für die Behandlung von Leukämie-Patienten | |
geeignet sein sollen. | |
Ziel: ein möglicher Ersatz für Blutkonserven. Dieser soll an 245 Mäusen | |
getestet werden. Weitere 798 Mäusen sollen für „experimentelle | |
Stammzell-Therapien zum Gewebeersatz bei schweren Verletzungen der Haut“ | |
genutzt werden. Hier werden den Tieren Hautverletzungen zugefügt, an denen | |
dann geforscht werden soll. Einsatz könne das später etwa bei | |
Hautverbrennungen finden, sagte der Sprecher. Die zwei Forschungsvorhaben | |
sind bereits genehmigt, werden momentan von der Bundeswehr vorbereitet und | |
sollen im dritten Quartal oder gegen Ende dieses Jahres an externe | |
Forschungsnehmer beauftragt werden. Wen sie beauftragen, will die | |
Bundeswehr zunächst nicht verraten. | |
„Tierversuche zur Entwicklung oder Erprobung von Waffen, Munition und | |
dazugehörigem Gerät sind verboten“, heißt es im Tierschutzgesetz. Als Zweck | |
für die Versuchsreihen gibt die Bundeswehr „Vorbeugen, Erkennen oder | |
Behandeln von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder körperlichen | |
Beschwerden“ an. Der Schweregrad der Versuche wird als „mittel“ | |
beziehungsweise „mittel bis schwer“ eingestuft. | |
Der Verein [1][Ärzte gegen Tierversuche] will diese Versuche mit einer nun | |
angelaufenen Kampagne noch stoppen. „[2][Tierversuche] sind | |
wissenschaftlich und ethisch sinnlos“, kritisiert Julia Radzwill, | |
wissenschaftliche Mitarbeiterin des Vereins. 90 Prozent der Medikamente, | |
die bei Tieren funktionieren, würden dann nicht für den Menschen | |
zugelassen. „Das ist eine sehr schlechte Quote“, sagt Radzwill. | |
## Unnötiges Leid | |
Auch das Immunsystem und die Beschaffenheit der Haut sei bei Nagern völlig | |
anders als beim Menschen. Letztlich könne das auch eine Gefahr für den | |
Menschen sein: „Es ist fahrlässig, an Tieren zu forschen und dann | |
Rückschlüsse auf den Menschen zu ziehen, da die Ergebnisse so unsicher | |
sind.“ Humanbasierte Methoden seien die bessere Alternative. Aber die seien | |
oft noch nicht so weitläufig in der Anwendung. Abläufe in den Laboren zu | |
ändern, koste Zeit. Bei der Pharmaindustrie sieht Radzwill ein wenig mehr | |
Willen umzudenken. | |
Tierversuche würden nur durchgeführt, wenn es für die Ausbildung und/oder | |
Forschung absolut unvermeidlich sei, so der Sprecher des | |
Verteidigungsministeriums: „Um unseren Soldatinnen und Soldaten – aber auch | |
der Zivilbevölkerung – im In- und Ausland größtmöglichen Schutz zukommen … | |
lassen“, werde in der Bundeswehr Forschung betrieben. Außerdem seien die | |
Bundeswehrkrankenhäuser in die regionale Gesundheitsversorgung der | |
Zivilbevölkerung integriert. Der Sanitätsdienst diene dem Schutz, Erhalt | |
und der Wiederherstellung der Gesundheit der Soldat*innen und ziviler | |
Patient*innen. Die Bundeswehr erbringe alle dazu notwendigen medizinischen, | |
zahn- und veterinärmedizinischen, pharmazeutischen und | |
lebensmittelchemischen Maßnahmen sowie Leistungen, sagte der Sprecher. | |
Führt die Bundeswehr Tierversuche intern durch, läuft die Genehmigung über | |
die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium, bei extern in Auftrag | |
gegebenen Versuchen über die zuständigen Behörden der Länder. | |
## Mehr als 7.500 Tierversuche | |
Zwar seien in den letzten 20 Jahren die Tierversuche bei der Bundeswehr | |
reduziert worden, so Radzwill, es würden jedoch nur interne Versuchstiere | |
genau erfasst. „Aufträge, die von der Bundeswehr an externe | |
Forschungseinrichtungen gegeben werden, werden nicht der Bundeswehr | |
zugerechnet, sondern dem Bundesland“, kritisiert sie die Intransparenz. | |
Dank einer kleinen Anfrage der Linken an die Bundesregierung von Anfang des | |
Jahres liegen nun Zahlen vor. Aus der Antwort der Bundesregierung geht | |
hervor, dass die Bundeswehr in den letzten 20 Jahren mehr als 7.500 Tiere | |
in internen Versuchen verwendete. Der Großteil waren Ratten und Mäuse. | |
Darunter auch 144 Hunde, 630 Meerschweinchen sowie mehr als 300 Großtiere | |
wie Schafe, Ziegen und Pferde. Externe Einrichtungen verbrauchten im | |
Auftrag der Bundeswehr weitere mehrere Tausend Tiere. Der Schweregrad | |
dieser Tierversuche reicht dabei von geringgradig – etwa Blutabnahme oder | |
Erste Hilfe Übungen bei Diensthunden – bis hin zum Tod – etwa bei | |
Vergiftung der Tiere durch Nervenkampfstoff. | |
Neben der Forschung an Tieren wird im Auftrag der Bundeswehr jährlich auch | |
das sogenannte Life Tissue Training durchgeführt: In Lehrgänge wird an | |
Schweinen die „Einsatzchirurgie“ geübt. Radzwill findet dies „völlig | |
überflüssig“. Es gebe lebensechte humane Simulationsmodelle und speziell | |
perfundierte und aufbereitete Leichen, an denen Amputationen und | |
Operationen realistisch geübt werden könnten, sagt sie. Diese Modelle | |
könnten über Geräte mit künstlichem Blut durchströmt und die Atmung | |
simuliert werden. „Tiere in Narkose zu legen, an ihnen herumzuschneiden und | |
anschließend zu töten ist nicht nur ethisch inakzeptabel, sondern kann auch | |
gefährlich sein“, kritisiert sie. „Die menschliche Anatomie unterscheidet | |
sich von der tierischen. In Notfallsituationen kommt es aber darauf an, | |
bestimmte anatomische humane Orientierungspunkte sehr schnell zu erkennen – | |
fatal, wenn in einem falschen System gelernt wurde.“ | |
22 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/ | |
[2] /Tierversuche-in-der-Forschung/!5725415 | |
## AUTOREN | |
Mareike Andert | |
## TAGS | |
Tierversuche | |
Bundeswehr | |
Mäuse | |
Tierversuche | |
Tierversuche | |
Tierversuche | |
Bremen | |
Patente | |
Hamburg | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bioingenieur über Tierversuche: „Weniger Emotion, mehr Evidenz“ | |
Der Bioingenieur Peter Loskill forscht an Verfahren, mit denen Tierversuche | |
ersetzt werden können. In seinen Reagenzgläsern wachsen Alternativen. | |
Zukunft der Tierversuche: Vom Leid der Mäuse | |
Forschungsgesellschaften befürworten Tierversuche, Tierschützer nicht. Doch | |
es gibt auch Zwischentöne – und immer mehr Alternativen. | |
Tierversuche trotz Verbot: Kaninchen leiden für Kosmetika | |
In der EU dürfen für die Schönheit keine Tierversuche mehr durchgeführt | |
werden. Über Experimente wurden mehr als 60 Substanzen dennoch so | |
zugelassen. | |
Rechtliche Verbesserungen für Tierschutz: Bremen macht's vor | |
In Bremen wird das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine erweitert. | |
Gestärkt wird die Möglichkeit, Missstände im Vorfeld zu verhindern. | |
Rückschlag für Gentechnik: Kein Patent auf „Parkinson-Affen“ | |
Immer wieder werden Tiere für Tierversuche genetisch verändert – und dann | |
patentiert. Nun wurde ein solches Patent auf Menschenaffen widerrufen. | |
Impfstoff-Entwickler Biontech: Kein Dank an Tierquäler | |
Biontech setzte das umstrittene Hamburger Tierversuchslabor LPT auf seine | |
öffentliche Dankesliste – allerdings nur kurz. |