# taz.de -- Bundestagswahlkampf der Grünen in Berlin: Ein bisschen Mut im halb… | |
> Im Grunde geht es für die Grünen bei der Nachwahl um wenig. Dennoch | |
> kämpfen sie um Stimmen: Sie brauchen Schwung fürs Superwahljahr. | |
Bild: Am Dienstag beim Grünen-Wahlkampf meistfotografiert: Vizekanzler Robert … | |
Robert Habeck, ohne Sakko, die Hemdsärmel hochgekrempelt, braucht 15 | |
Minuten, um richtig warm zu werden. In der ersten Hälfte seiner Rede sagt | |
er: „Jetzt komme ich mal ganz kurz zu diesem Mini-Bundestagswahlkampf, den | |
wir hier gerade in Berlin … na ja.“ Weiter geht der Satz nicht, der Saal im | |
Prenzlauer Berg hat den Vizekanzler raunend unterbrochen. | |
Eine Viertelstunde später ist er dann aber auf Betriebstemperatur. „Diese | |
kleine große Bundestagswahl kann ein fettes Ausrufezeichen für das Wahljahr | |
24 werden!“, ruft Habeck in den Saal. Dann ist seine Rede wieder | |
unverständlich, wegen des Applauses und der „Woohoo“-Rufe. | |
Die Grünen nehmen die Sache ernst. [1][Am Sonntag wiederholt Berlin die | |
Bundestagswahl.] Weil im September 2021 in vielen Wahllokalen Chaos | |
herrschte, wird in Teilen der Stadt neu abgestimmt – so hat es das | |
Bundesverfassungsgericht angeordnet. Eigentlich steht dabei nicht viel auf | |
dem Spiel: Die Partei müsste schon sehr schlecht abschneiden, damit sie am | |
Ende einen Sitz im Bundestag verliert. Am ehesten könnte es noch passieren, | |
dass ein Mandat von Berlin nach Nordrhein-Westfalen wandert. | |
Trotzdem fahren die Grünen im Kampf um Stimmen eine Menge Prominenz auf. In | |
Prenzlauer Berg, einer ihrer Hochburgen, haben sie für Dienstagabend einen | |
der größten Kinosäle der Stadt angemietet. Beim allerletzten Abschluss des | |
Bundestagswahlkampfs 2021 fehlt zwar Kanzlerkandidatin (kann man das noch | |
mal so sagen?) Annalena Baerbock. Auf der Bühne stehen dafür | |
Familienministerin Lisa Paus, Parteichefin Ricarda Lang und eben | |
Vizekanzler Robert Habeck. | |
## Auf der Jagd nach dem Momentum | |
Ein Grund für den ganzen Aufwand: Die kleine Berliner Wahl ist nur der | |
Auftakt [2][für ein Jahr mit neun Kommunal-, drei Landtagswahlen und einer | |
Europawahl]. Es kann in solchen Jahren vorkommen, dass eine Partei gleich | |
zu Beginn in einen Trott verfällt und bis zum Ende nicht mehr herausfindet. | |
Es kann aber auch passieren, dass sie mit einem Erfolg startet und davon | |
beflügelt höher und höher steigt. Nach so einem Jahr sehnen sich die Grünen | |
mal wieder. | |
„Ich möchte, dass meine Partei dieses Jahr so wenden kann, dass man | |
Hoffnung schöpft“, sagt Robert Habeck auf der Bühne. Ein Erfolg am Sonntag, | |
trotz des ganzen Gegenwinds der letzten Monate? „Was für ein Ausrufezeichen | |
wäre das, um in dieses Jahr zu gehen!“ | |
Nur: Dieser spezielle Wahlkampf ist gleichzeitig ein besonders | |
anspruchsvoller. Die Berliner*innen mussten letztes Jahr schon die | |
Wahlen zum Abgeordnetenhaus wiederholen. Sie sind abstimmungsmüde. Die | |
Relevanz des Votums am Sonntag erschließt sich nicht auf den ersten Blick. | |
Dazu kommt die verbreitete Unzufriedenheit mit der Ampelkoalition. | |
Grünen-Hochburg hin oder her: Der Kinosaal im Prenzlauer Berg ist am | |
Dienstag gerade mal halbvoll. | |
Aus welchen Bauteilen zimmert man sich da einen Wahlkampf, der zumindest | |
einen Hauch von Euphorie auslöst? | |
## Hypothetische Erfolge | |
Als Erstes versuchen es die Grünen an diesem Abend mit etwas ganz Banalem: | |
die eigenen Erfolge herausstellen. Davon gibt es, man muss sich manchmal | |
daran erinnern, selbst in der Ampel ein paar. Der Pankower Abgeordnete | |
Stefan Gelbhaar nennt das 49-Euro-Ticket („eine der fettesten | |
Errungenschaften in dieser Legislaturperiode“), Familienministerin Paus die | |
Abschaffung des Paragrafen 219a im Abtreibungsrecht. Freundlichen Applaus | |
bekommt sie dafür, erst mal aber nicht mehr. | |
Was wohl auch daran liegt, dass neben den tatsächlichen Erfolgen die | |
hypothetischen stehen: Projekte, die die Grünen gerne realisieren würden, | |
aber gegen die Koalitionspartner nicht durchzusetzen vermögen. Paus spricht | |
von der Kindergrundsicherung, die die Grünen als großen sozialpolitischen | |
Wurf konzipiert hatten, die aber im Kabinett kleingestutzt wurde und seit | |
Monaten im Bundestag festhängt. Im Parlament werde das Gesetz gerade „noch | |
besser gemacht“, sagt Paus. Begeisterung im Saal entfacht sie auch damit | |
nicht. | |
Ein Leuchten erfüllt das Kino das erste Mal, als nach Paus der Vizekanzler | |
die Bühne betritt: Dutzende Smartphone-Bildschirme gehen da hoch. Auch wenn | |
Habeck vom Regieren gebeutelt ist – als Star ist er bei den Grünen noch | |
immer gefragt. | |
Und was er heute schafft: seiner Partei Mut zuzusprechen. Er erzählt von | |
Stahlarbeiter*innen in Bremen, deren Betriebsversammlung er am Vortag | |
besucht hat. Eine Branche in der Transformation, mit ungewisser Zukunft. | |
„Zorn, Hass, Ablehnung“ wäre da „so naheliegend und auch verständlich�… | |
sagt Habeck. Erlebt habe er stattdessen aber „eine Erwartungshaltung“, dass | |
es mit der Transformation vorangeht. Und „eine Euphorie“, als er | |
schließlich zusagte, den Umbau des Bremer Werks zu fördern. „Und das habe | |
ich jetzt mehrfach erlebt bei ähnlichen Veranstaltungen: Die | |
Erwartungshaltung, dass etwas passiert, dass etwas vorangeht.“ | |
Negative Energie verwandle sich da ins Positive. Damit schlägt er dann den | |
Bogen [3][zu den Demonstrationen gegen Rechtsextremismus], die in seiner | |
Partei viele als Rückenwind empfinden. Die Entscheidung, die dieses Jahr | |
bringen könne: „Gelingt es, den Rechtsradikalismus, den Faschismus in | |
Deutschland zurückzudrängen, in seine Schranken zu weisen.“ | |
Standing Ovations im Saal. Ein wenig Euphorie ist jetzt tatsächlich ins | |
Kino geschwappt – bevor es wieder nach draußen geht in die nieselige | |
Berliner Nacht. | |
7 Feb 2024 | |
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## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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