# taz.de -- Bürgergeld und Armut: Löchriger Rettungsschirm | |
> Der Streit ums Bürgergeld hat gezeigt, wie Arme politisch | |
> instrumentalisiert werden. Dabei muss der Staat gerade ihnen unter die | |
> Arme greifen. | |
Bild: Große Sozialreform? Naja. Arbeitsminister Heil beim Besuch eines Jobcent… | |
Der [1][Vermittlungsausschuss hat am Mittwochabend das Bürgergeld | |
beschlossen], die Sozialleistung kommt voraussichtlich zum 1. Januar. Es | |
gibt monatlich 53 Euro mehr im bisherigen Hartz-IV-Regelsatz und | |
Verbesserungen etwa in den Weiterbildungschancen für Langzeitarbeitslose. | |
Das ist zu begrüßen, aber erwartungsgemäß zu wenig. Wer, wie Hubertus Heil, | |
das Bürgergeld als eine der größten Sozialreformen der vergangenen 20 Jahre | |
bezeichnet, räumt damit ein, dass sozialreformerisch nicht viel passiert | |
ist und die Messlatte für „große Sozialreformen“ sehr, sehr niedrig lag. | |
Dabei zeigt die unschöne Debatte um die vermeintliche Privilegierung von | |
Langzeitarbeitslosen und deren mögliche Sanktionierung bei | |
Pflichtverletzungen, wie diese Empfängergruppe immer wieder politisch | |
instrumentalisiert wird, ohne dass man sich wirklich um deren | |
Lebensrealität schert. | |
Das heißt nicht, dass es in Einzelfällen keinen Sozialmissbrauch gibt. | |
Missbrauch gehört zu den Nebenwirkungen von Steuer- und Sozialsystemen. Für | |
die Mehrheit aber gelten ein paar Fakten, die eher nicht so bekannt sind: | |
[2][Nur 42 Prozent der erwachsenen Bezieher:innen von | |
Hartz-IV-Leistungen sind überhaupt als Arbeitslose gemeldet.] Die anderen | |
Leistungsempfänger:innen sind in Jobcenter-Maßnahmen, arbeiten mit | |
Hartz-Aufstockung, betreuen kleine Kinder, pflegen Angehörige, machen | |
gerade eine Ausbildung, sind aktuell erkrankt und anderes. | |
Von den 42 Prozent arbeitslos gemeldeten Leistungsempfänger:innen | |
wiederum hat die Mehrzahl sogenannte „Vermittlungshemmnisse“, das heißt zum | |
Beispiel, sie haben gesundheitliche Probleme, psychische Schwierigkeiten, | |
sind älter, sprechen zu wenig Deutsch, können wegen der Kinder keine | |
Schichtarbeit machen. Es ist vielen von ihnen eben nicht mal so eben | |
möglich, einen Vollzeitjob als Paketzusteller:in oder | |
Hilfspfleger:in anzufangen und durchzuhalten, auch wenn es diese Jobs | |
gibt. | |
## Der Name muss zum Auftrag werden | |
Der fehlende Berufsausbildungsabschluss ist dabei nur einer von vielen | |
Hindernissen. Daher dürften die von der SPD propagierten | |
Weiterbildungsmaßnahmen, so gut sie sind, für viele Betroffene oftmals gar | |
nicht ausreichen, um sie in den Arbeitsmarkt zu bringen. Das Bürgergeld ist | |
ein löchriger Rettungsschirm für Schicksale. | |
Deswegen darf die Debatte um das Geld, das man braucht, um Armut zu | |
lindern, nicht abreißen, sondern muss im Gegenteil weitergehen. Dabei geht | |
es etwa um die [3][realen Wohnkosten in Städten,] den Aufwand für den | |
Lebensunterhalt und die Haushaltsenergie, die Menschen ohne eigenes | |
Arbeitseinkommen nun mal nicht aus eigenen Mitteln finanzieren können. Der | |
Name „Bürgergeld“ muss zum Auftrag werden. Wenn sich mit dem „Bürgergel… | |
hingegen Armutslagen verfestigen, wird der Begriff zur Satire. Diese Gefahr | |
besteht. | |
24 Nov 2022 | |
## LINKS | |
[1] /Einigung-im-Vermittlungsausschuss/!5897751/ | |
[2] https://www.arbeitsagentur.de/presse/2022-46-arbeitsmarkt-im-oktober-2022 | |
[3] https://www.linksfraktion.de/themen/nachrichten/detail/hartz-iv-wohnkostenl… | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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