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# taz.de -- Bücher über Bands der DDR: Strandgut der letzten dreißig Jahre
> Einer stand auf der Bühne, der andere davor. André Herzberg und Alexander
> Osang schreiben über Subversion und Verrat in der DDR.
Bild: Korrumpiert vom Drang nach Freiheit: André Herzberg, Sänger der Band Pa…
Es kommt der Moment, da möchte Jakob Zimmermann sterben. Zimmermann, einst
Star einer rebellischen DDR-Band, sitzt in seinem Ostberliner
Depressionsloch. Das neue Land versteht er nicht und es versteht ihn nicht.
In dieser Situation erfährt er, dass eine ehemalige Sängerkollegin
gestorben ist. Krebs.
Jakob Zimmermann, das ist, kaum kaschiert, André Herzberg selbst, Autor des
Romans „Alle Nähe fern“. Und die Verstorbene ist Tamara Danz, die ruppige
Frontfrau der Ostband Silly. „Erst gibt es jeden Tag die Krankengeschichte
in der Zeitung, dann ihr Begräbnis. Dann geht ihre Musik in die Charts, das
ist das Signal.“ Der Icherzähler erkennt: „Ich muss sterben, sofort.“
Die Szene, in der sich André Herzberg seinen Tod ausmalt, ist eine der
besten in „Alle Nähe fern“. Es ist eine Tom-Sawyer-Fantasie: Ihr beachtet
mich nicht, also gehe ich sterben und schaue euch dabei zu, wie ihr um mich
trauert. Doch wer weiß, wer André Herzberg in seinem ersten Leben war, kann
leicht erfassen, wie existenziell bedrohlich das Desinteresse, aber auch
das sozialstaatliche Einhegen im wiedervereinigten Deutschland für ihn
gewesen sein muss.
Für den wilden Sänger der Ostberliner Band Pankow war Mitmachen schon in
der engen DDR nur bedingt eine Option. „Aufruhr in den Augen“ hieß einer
seiner wichtigsten Songs.
## Dann rebellieren die Kinder
In „Alle Nähe fern“ zieht er die langen Fäden seiner Familiengeschichte
quer durchs 20. Jahrhundert in die Jetztzeit. Der Enkel deutschnationaler
Juden wird als Sohn streng kommunistischer Migranten geboren. Seine Eltern
bauen die DDR auf. Ihre Kinder verstehen sie als natürliche Verbündete. So
ist es bei den Herzbergs und vielen anderen Funktionärsfamilien.
Dann rebellieren diese Kinder. Sie werden Punks, sie stellen Fragen und
Ausreiseanträge. Andre Herzberg wird: Sänger. Pankow-Konzerte sind wie
Anfälle. Für ein paar Stunden klafft riesig die Lücke zwischen der fälligen
Subversion und diesem restriktiven Staat. Der wichtigste Pankow-Song wird
1988 „Langeweile“ heißen; ein Menetekel für den Niedergang der DDR und
ihrer Gründergeneration – darunter Herzbergs Familie.
Mit Pankow gerät Herzberg aber auch in jenen dubiosen Zwiespalt, in den die
DDR-Kulturbürokratie Künstler zu bringen pflegte: ein Pass für Westreisen
gegen gebremste Rebellion. Der Pass, schreibt Herzberg, „verschafft mir
Luft, er macht die Enge weiter, dafür lasse ich mich korrumpieren“. Dass
für diese „Luft“ sein engster Freund, der Gitarrist der Band, mit der
Staatssicherheit kooperiert, weiß er nicht.
Gar nicht lange nach dem Mauerfall wird die Stasivergangenheit des
Gitarristen öffentlich. Ein Verräter unter den vermeintlich Subversiven –
es schien wie einer der unzähligen Beweise der Niedertracht des
untergegangen Systems. Für seinen Roman „Comeback“ hat der Journalist
Alexander Osang genau diese Situation aufgegriffen. Osang erzählt eine
komplexe Geschichte aus der Sicht ihrer jeweiligen Protagonisten.
## Ein Mix aus Figuren und Orten
In Osangs Plot findet die Band trotz des Stasiverrats wieder zusammen. Eine
Reunion-Tour wollen sie machen, natürlich nur durch den Osten, wen
interessieren schließlich in Goslar oder Kiel die alternden Helden eines
untergegangenen Systems. Leute wie Osang durchaus. Und Leute wie André
Herzberg und all die anderen Funktionärskinder, für die Osang diesen
bemerkenswerten Satz findet: „Sie entstammten ostdeutschen Königsfamilien.“
Dramen und Depressionen inklusive.
Im Erzählraum stehen auch in „Comeback“ die universellen Fragen nach dem
Woher und dem Wohin. Was ist Zufall, was Machtmissbrauch? Osang greift zum
dramaturgischen Mittel der Zeitversetzung und hofft so auf gesamtdeutsches
Verstandenwerden. Er mixt reale Figuren, Orte und Ereignisse, tauscht
Geschlechter und Songtexte. Die Band, ein Amalgam aus Pankow und Silly,
heißt hier Steine, der Verräter heißt Alex wie der Autor selbst. Die
Sängerin, Nora, ist ein gut gezeichnetes Porträt der 1996 verstorbenen
Tamara Danz.
Am Ende steht das letzte Konzert. „Sie waren das Strandgut der letzten
dreißig Jahre“, schreibt Osang über die Königskinder. „Tagediebe,
Lebenskünstler, Scharlatane. Marienburger, Kollwitz, Schwedter, Mulack.
Schnapsbeutel unter den Augen.“ Ein bisschen Peinlichkeit, eine Menge
Vergänglichkeit. Aber auch ein gutes Stück Identität.
14 Mar 2015
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
Musik
Stasi
Pankow
DDR
Stasi
Film
sexueller Missbrauch
Schwerpunkt Überwachung
DDR
DDR
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