| # taz.de -- Bratwurstgipfel in Bayern: Im Fleischdampf | |
| > In Pegnitz messen sich Metzger mit Klassikern und kreativen Kreationen. | |
| > Doch wollen die Menschen 2018 überhaupt noch Würste essen? | |
| Bild: Es gibt im Fränkischen ein Wort für alles unnötig Aufwendige: Födds. … | |
| Jetzt steht er da, der Stephan Jamm von der Metzgerei Deininger, ein Mantel | |
| über den Schultern und auf dem Kopf die Krone. Anstatt eines Juwels ziert | |
| sie, golden und quer über die Stirn gepappt, eine Wurst. Jamm ist der | |
| Fränkische Bratwurstkönig 2018. Er schmunzelt und dankt seiner Frau. Was | |
| wir die erste Amtshandlung sein? Der König muss jetzt noch den Stand | |
| abbauen. „Und morgen früh um 5 ist wieder Montag.“ | |
| Mit der Krönung von Stephan Jamm aus Markt Einersheim, Unterfranken, endet | |
| der achte Bratwurstgipfel in Pegnitz. Sieben Stunden lang haben 14 Metzger | |
| und eine Metzgerin aus Ober-, Mittel- und Unterfranken gebraten. Sie haben | |
| sich in den Kategorien Klassiker- und Kreativbratwürste miteinander | |
| gemessen. Sie haben sich dem Urteil des Publikums gestellt. Sie haben den | |
| Tag im Fleischdampf verbracht. | |
| Schon um 11 sind alle Parkplätze in der oberfränkischen Kleinstadt belegt. | |
| Obwohl der Verein zur Förderung der fränkischen Bratwurstkultur, der den | |
| Wettkampf organisiert, zum ersten Mal ein Eintrittsgeld verlangt, sind sie | |
| alle gekommen: Die Radler auf Fränkische-Schweiz-Tour, die Rentnerpaare mit | |
| den identischen Schirmmützen, die Club-Fans im Trikot, der Motorradrocker | |
| mit dem mächtigen Backenbart und eine Gruppe mittelalter Männer in | |
| Lederhosen. | |
| Wenn Moritz von Uslar damals in Brandenburg Hardrockhausen fand, ist | |
| Pegnitz, heute zumindest, Bluthochdruckhausen. Um 12 Uhr sitzt die erste | |
| Fachjury vor den Kreativbratwürsten und je einem halben Liter dunklem Bier. | |
| „Wichtig wäre“, sagt der Moderator, „dass wieder ein Oberfranke gewinnt.… | |
| Die lokalen Rivalitäten sind nicht zu unterschätzen. | |
| ## Der Fleischkonsum in Deutschland sinkt | |
| Kreativbratwürste heißt, dass die Jury, darunter der Bürgermeister von | |
| Pegnitz, nun vor seltenen Kreationen sitzt. Eine Bratwurst mit Zwetschgen, | |
| eine Wildbretbratwurst, eine mit Schokolade und Eierlikör. Es gibt im | |
| Fränkischen ein schönes Wort für alles unnötig Aufwendige, nicht mehr | |
| typisch Bodenständige: Födds. Und es passt eigentlich nicht zum Klischee, | |
| dass der Franke ausgerechnet eine Bratwurst mit Eierlikör probieren mag. | |
| Hier her kommen viele genau deshalb. | |
| Zu verantworten hat die Eierlikörwurst Florian Neretter, ein | |
| schnauzbärtiger Lulatsch. „Daheim stand noch eine halbe Flasche Eierilkör | |
| von der letzten Feier rum“, sagt er eine Wurst wendend. „Und mehr als | |
| probieren kann man es nicht.“ Beim zweiten Versuch sei er mit dem Ergebnis | |
| zufrieden gewesen: Süß und herzhaft, das passt. Neretter hat seine | |
| Bratwürste schon mit Lebkuchen und Chili veredelt. Geht alles gut, am | |
| besten geht immer noch die klassische, Nürnberger Art. | |
| Aber: Wollen die Menschen 2018 denn überhaupt noch Bratwurst essen? Der | |
| Trend geht doch eigentlich zum Veganismus – Wurst gerne, aber ohne Tier. In | |
| den vergangenen 20 Jahren sank der Fleischkonsum in Deutschland pro Kopf um | |
| etwa zwölf Prozent. Merkt der Metzger Neretter das auch im | |
| mittelfränkischen Burgthann? „Eigentlich nicht. Ich sage mal: Mir ist es | |
| lieber, die Leute essen weniger und dafür etwas G'scheits.“ | |
| Und mit diesem schönen Satz lässt sich die Haltung der Metzger recht gut | |
| zusammenfassen: Sie beziehen ihr Fleisch regional, zum Teil Bio, wer in | |
| diesen Dorfmetzgereien kauft, kauft bewusst. Der Feind ist nicht der | |
| Vegetarier, sondern die Billigwurst. | |
| ## „Wir machen eine grundsolide, ehrliche Bratwurst.“ | |
| Mirco Genssler sitzt Florian Neretter schräg im Rücken. Pause. Bier aus dem | |
| Kaffeebecher. „Wenn ich im Urlaub bin, werde ich teilweise auch zum | |
| Veganer“, sagt er. Weil er dann nicht weiß, aus was für einem Mastbetrieb | |
| das Fleisch kommt. Im unterfränkischen Unsleben ist das anders: „Die Sache | |
| ist die“, sagt er und holt sich einen seiner Begleiter dazu: „Das ist mein | |
| Cousin, der Christian, der schlachtet für mich. Ein kleiner, familiärer | |
| Schlachtbetrieb.“ | |
| Genssler hofft, die Klassiker-Jury mit einer Halbgroben überzeugen zu | |
| können. Doch schon in der ersten Runde setzt sich der spätere König durch. | |
| Stephan Jamm, braun gebrannt, muskulös, Fleischer-Käppi empfängt stolz den | |
| Pokal. Warum er? Achselzucken, damit gerechnet hat er nicht. „Wir machen | |
| eine grundsolide, ehrliche Bratwurst und tun lauter gute Sachen rein. Da | |
| muss was Gutes dabei herauskommen.“ | |
| Jamm eilt zurück an den Grill. Moderator Remmel freut sich über die | |
| Rossinis: Drei braungebrannte Herren in Fantasieuniformen, die | |
| selbstbewusst die dunklen Locken nach hinten schmieren und mit ihren | |
| Instrumenten durch die Reihen scharwenzeln: Ramalam – Ding Dong! Das Bier | |
| fließt, die Wurst schmeckt, Volksfeststimmung im Wiesweiherpark. Beim | |
| Pole-Dance am Sonnenschirm rutscht schon mal die Lederhose. | |
| Auf dem Tisch von Semi und Christine türmen sich die leeren Brötchenhüllen. | |
| Weggelassen, damit mehr Wurst in die Mägen passt. „Wir probieren alle“, | |
| sagt Semi und meint: Alle Kreativbratwürste. „Das ist Standard“, ergänzt | |
| Christine. Die beiden suchen hier seit drei Jahren nach dem | |
| Außergewöhnlichen. Favoriten: „Die Dolimiti“, sagt Semi, „und die | |
| Krokodil-Dann-die.“ Ist da echt Krokodil drin? „Keine Ahnung.“ | |
| ## Die identitätsstiftende Wirkung der Bratwurst | |
| Gut, dass man den Chef einfach selber fragen kann: „Ja“, sagt Jens Hoferer | |
| aus Sugenheim, Mittelfranken, „etwa fünf Prozent.“ Der Rest der Wurst ist | |
| Schwein. Und Röstzwiebeln, Paprika, Käse, drei verschiedene Currys… „Wir | |
| wollen alle Geschmacksrichtungen erwischen.“ Die Krokodilwurst kommt in | |
| einem Bambusschiffchen mit Tomatensoße und Couscous, Hoferer trägt Lederhut | |
| mit Alligatorzähnen und überm Stand hängt ein aufblasbares Krokodil. Ein | |
| Marketingprofi. | |
| Thomas Zimmer steht die Krokodil-Dann-die noch bevor. 14 „Versucherla“ hat | |
| er bereits intus. Der Präsident der oberfränkischen Handwerkskammer und | |
| Erfinder des Bratwurstgipfels sitzt in beiden Jurys. Er sieht auch ein | |
| bisschen präsidial aus, weißer Bart, grüne Trachtenweste. Und spricht in | |
| präsidialen Worten von der Wurst: „Für mich“, sagt er, „hat die Bratwur… | |
| eine identitätsstiftende Wirkung für ganz Franken. Es ist etwas, das uns | |
| eint.“ | |
| Aber, logisch, gerade Thomas Zimmer weiß, dass es längst auch Seitan und | |
| Tofu auf den Tisch der fränkischen Familie geschafft haben. Umso mehr | |
| müssten sich die Metzger ihre eigene Marktnische suchen, zum Beispiel die | |
| Bratwurst-Nische. Den Veganer könne man so zwar kaum überzeugen, wohl aber | |
| den Discounter-Käufer. „Wenn ich mir unsere Metzger anschaue: Das sind | |
| junge, taffe Kerle, die stehen ihren Mann, ihre Frau. Da mache ich mir um | |
| die Zukunft des Handwerks keine Sorgen.“ | |
| Jawohl, auch ihre Frau. Nina Weiss wird von den Rossinis bereits als die | |
| „schöne Metzgerin“ besungen. Je länger eine solche Veranstaltung dauert, | |
| desto schmieriger. Aber Nina Weiss ist halt schlank und blond und jung und | |
| vermarktet das auch: Auf den Flyern strahlt sie zwar, als könnte sie keiner | |
| Fliege etwas zuleide tun, in der Hand jedoch hält sie ein glänzendes, | |
| Hackebeil. Vor elf Jahren übernahm sie die Metzgerei, die schon ihrem Vater | |
| und dessen Vater gehörte. Heute nennt sich der Nürnberger Betrieb: | |
| Genusswerkstatt. | |
| ## Zum Spaß grillt hier niemand | |
| Und wie ein Möbelhaus hat die Genusswerkstatt auch Produktlinien. Die | |
| mediterrane Kreativwurst stammt aus der Linie Haki 36: Haptik, Kinetik, 36 | |
| Gewürze. Kurz vor der zweiten Entscheidung des Nachmittags ist sie ein | |
| bisschen nervös. „Ich bin ja auch ehrgeizig. Und schon auch ein bisschen | |
| enttäuscht, dass es unsere klassische nicht unter die ersten drei geschafft | |
| hat.“ | |
| Zum Spaß grillt hier niemand. So eine Auszeichnung kurbelt die Nachfrage | |
| an. Neretter: „Also, auf einen von den drei Plätzen will ich schon.“ | |
| Genssler: „Wir sind heute morgen um 5 aufgestanden und haben den LKW | |
| beladen. Wir wollen gewinnen.“ Hoferer: „Irgendwas mit heim nehmen, wäre | |
| schon schön.“ | |
| Als es um die Kreativen geht, liegt der Genuss auch im Betrachten der Jury. | |
| Ein Bayern 3-Moderator verzieht das Gesicht: „Da waren jetzt aber | |
| Kniescheiben mit drin.“ Der Bürgermeister von Schnabelwaid legt auf seinem | |
| Teller immer neue Ordnungsstrukturen. Eine stolze Ehefrau filmt vom Zaun | |
| ihren Mann, wie er auf der Bühne Bratwurst isst. | |
| Die Wahl fällt auf die Spargelwurst der Metzgerei Wagner aus Hausen. Weil | |
| aber die Metzgerei Deininger von Stephan Jamm hier nun den dritten Platz | |
| belegt, ist der Gesamtsieger, der Bratwurstkönig, schon klar. Der | |
| Vorjahres-König nimmt noch den Publikumspreis mit. Mittlerweile ist auch | |
| die Bayrische Landwirtschaftsministerin, Michaela Kaniber eingetroffen, im | |
| Dirndl. Das provoziert zu mehr Schmierigkeit. Der Moderator bietet | |
| Umarmungen an und fordert Küsschen ein. Kaniber trägts mit starrem Lächeln. | |
| Und findet, zur Erklärung von allem, was heute hier, in Pegnitz geschah, | |
| kluge Worte: „Bayern ist zwar keine Monarchie mehr. Es gibt jedoch Momente, | |
| in denen wir nach Monarchie lechzen.“ Der Bratwurstkönig erhält sein Zepter | |
| aus den Händen der Bierkönigin. Und so endet dann das Rennen der Würste. Er | |
| muss noch abbauen jetzt. Und morgen ist wieder Montag. | |
| 14 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Thamm | |
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