| # taz.de -- Bob Dylan Konzert: Die Kunst der Totalverweigerung | |
| > Bob Dylan kommt für drei Konzerte nach Deutschland. Vielleicht ist es | |
| > seine letzte Tour. Was ist vom Song & Dance Man zu erwarten? | |
| Bild: Bob Dylan verschanzt sich bei Konzerten gern hinten auf der spärlich bel… | |
| Nächste Woche kommt Bob Dylan für drei Konzerte nach Deutschland. An sich | |
| keine große Sache, denn er bereist unser Land seit mindestens 40 Jahren | |
| sehr regelmäßig und gibt Konzerte. Und anders als bei seiner allerersten | |
| Deutschlandtour 1978 ist auch nicht mit einem Beitrag darüber in der | |
| „Tagesschau“ zur Primetime zu rechnen. Dylan ist unterwegs und die Hallen | |
| sind voll. | |
| Für ein Konzert 2023 in Berlin hatte ich einen schönen Platz in der zweiten | |
| Reihe ergattert. Wie immer bei Dylan waren keine Handys zugelassen. Er | |
| möchte nicht fotografiert werde. Eine Frau mittleren Alters hatte den Platz | |
| vor mir und outete sich als Fanatikerin, die über die ganze Welt verteilt | |
| so viele Dylan-Konzerte wie nur möglich besuchte. | |
| Sie war in Begleitung von zwei Männern. Auf der einen Seite ihr erwachsener | |
| Sohn, auch ein Liebhaber von Dylans Songkunst, und auf der anderen Seite | |
| ihr Ehemann, der nach ihren Worten „keine Ahnung von Dylan“ habe und nur | |
| dabei sei, weil er einfach gern verreist. | |
| ## Dylan-Fans sind speziell | |
| Wir studierten gemeinsam den Bühnenaufbau. Interpretierten, was sich seit | |
| dem letzten Konzert verändert hatte, und waren uns einig, welcher Gitarrist | |
| wo stehen würde. Dylans Piano war frontal zum Zuschauerraum positioniert. | |
| Und plötzlich traf uns die Erkenntnis, dass wir von unseren Plätzen aus | |
| Dylan womöglich überhaupt nicht sehen könnten. | |
| Nach dem ersten Schock meinte ich: „Okay. Vielleicht sehen wir ihn heute | |
| wirklich nicht, aber wir werden seine Anwesenheit trotzdem spüren.“ Da | |
| drehte sich ihr Mann mit unendlicher Resignation zu mir um und sagte: „Ja, | |
| genauso seid ihr Dylan-Fans!“ | |
| 2016 hat Bob Dylan als erster und bisher einziger Singer-Songwriter den | |
| Nobelpreis für Literatur verliehen bekommen. Angenommen hat er ihn, | |
| abgeholt hat er ihn nicht. Warum? Man weiß es nicht. [1][Der damals | |
| 75-Jährige hat Patti Smith nach Stockholm geschickt], und die hat dann vor | |
| dem schwedischen König eine turbulente Version von Dylans „A Hard Rain’s | |
| a-Gonna Fall“ gesungen. | |
| ## Nobelpreis und Oskar | |
| Zusammen mit dem britischen Schriftsteller George Bernard Shaw ist Dylan | |
| der einzige Mensch, dem sowohl ein Nobelpreis als auch ein Oscar verliehen | |
| wurde. Bei der Oscarverleihung im Frühjahr 2001 war er zwar auch nicht vor | |
| Ort. Immerhin ließ er sich live aus Australien zuschalten (wo er auf Tour | |
| war) und spielte seinen oscarprämierten Song „Things Have Changed“ dann | |
| live per Satellitenschalte nach Hollywood und hielt im Anschluss sogar eine | |
| kurze lakonische Dankesrede. | |
| Den Oscar holte er sich später ab und stellte ihn dann 20 Jahre lang jeden | |
| Abend neben sich mit auf die Bühne, wo ihn alle Welt gut sehen konnte. | |
| Warum der Unterschied? Man weiß es nicht. Man weiß nur eins mit Sicherheit: | |
| Dylan wird sich nicht erklären. Der Refrain von „Things Have Changed“ | |
| (2000) geht so: „People are crazy and times are strange / I’m locked in | |
| tight, I’m out of range / I used to care / But things have changed“. | |
| Seit Bob Dylans kometenhaftem Aufstieg Anfang der 1960er mit Songs wie | |
| „Blowin’ in the Wind“ oder „The Times, They Are a-Changin'“, seiner | |
| Unterstützung für die US-Bürgerrechtsbewegung und den Konzerten an der | |
| Seite von Joan Baez schießen Spekulationen und Gerüchte über ihn ins Kraut. | |
| Stets von ihm selbst oder seinem Manager befeuert. Niemals dementiert oder | |
| korrigiert. | |
| ## „Like a Rolling Stone“ | |
| [2][James Mangolds Biopic „A Complete Unknown“ (2024)] mit Timothée | |
| Chalamet als jungem Dylan beschreibt diese Ära seines Schaffens sehr gut. | |
| Von „Song to Woody“ bis „Like a Rolling Stone“. Der Film hat gleich drei | |
| alte Dylan-Alben wieder in die Charts befördert und eine neue Generation | |
| von Hörer*innen neugierig auf den Künstler und sein Werk gemacht. | |
| Viele Dylan-Experten haben kritisiert, dass in „A Complete Unknown“ nicht | |
| viel den historischen Tatsachen entspricht. Das mag richtig sein, aber die | |
| Kunst ist frei. Dylans Kunst sowieso. Die erzählte Geschichte ist stimmig | |
| und sehr unterhaltsam und besonders das Casting ist erstaunlich. Edward | |
| Norton hätte als Pete Seeger auf jeden Fall einen Oscar verdient gehabt. | |
| Bob Dylan liebt den Film ganz sicher, falls er ihn gesehen hat. Erfahren | |
| werden wir das nicht. | |
| Schon 1971 erschien die erste große Dylan-Biografie. Da war er 30 Jahre | |
| jung. Vorher waren ihm und seiner Familie Fans – auf der Suche nach | |
| „Antworten“ – buchstäblich aufs Dach seines Hauses in der Nähe von | |
| Woodstock gestiegen. Sie waren nicht davon abzubringen, dass es bei Dylan | |
| darum ging, ein universelles Rätsel zu lösen, seine Lyrics zu decodieren | |
| und ihn damit zu konfrontieren. | |
| ## Flucht in die Anonymität | |
| Daraufhin verließ er mit seiner Frau Sara und den Kindern die | |
| Künstlerenklave und flüchtete in die Anonymität, mitten nach [3][Manhattan. | |
| Bis seine Anhänger ihn dort ausfindig machten, seinen Müll durchwühlten], | |
| ihn am Telefon belagerten und seine Kinder auf ihrem Schulweg belästigten. | |
| Da war dann Schluss mit lustig, er zog an die Westküste nach Malibu in eine | |
| Gated Community zu den anderen Stars des Showgeschäfts. Rückzug in ein | |
| riesiges Haus mit Zwiebelturm und bewachter Zufahrt. | |
| In den letzten 62 Jahren gab es viele abrupte Karriere-Moves. Kommerzielle | |
| Abstürze und erstaunliche Comebacks. Meisterhafte Songs wie „Blind Willie | |
| McTell“ und „Red River Shore“, die aus unerfindlichen Gründen lange | |
| unveröffentlicht geblieben sind. Unerwartete Kollaborationen mit Leuten wie | |
| zum Beispiel dem Rapper Kurtis Blow, Gene Simmons, Sänger der Glamrockband | |
| Kiss oder aktuell mit Barbra Streisand. | |
| Dylans intensive Hinwendung zum Christentum Mitte der 1970er, bei der ihm | |
| auch viele der Die-Hard-Hippiefans nicht mehr folgen wollten, wird | |
| inzwischen wegen der kraftvollen und intensiven Musik, die in jener Zeit | |
| entstand, positiv bewertet, anders als es Anfang der 1980er passierte. Da | |
| waren sich die meisten der eifrig Studierenden sicher: „Jetzt ist er | |
| komplett verrückt geworden.“ | |
| ## Erwartungen interessieren Dylan nicht | |
| Was bleibt, ist, dass Bob Dylan sich nie für Erwartungen interessierte. Was | |
| ihn bis heute erkennbar wirklich interessiert, ist es, seine künstlerische | |
| Kraft wieder und wieder mit größtmöglicher Disziplin auszuleben. | |
| Das 2023 in Tulsa, Oklahoma, eröffnete Bob Dylan Center ist deshalb nicht | |
| zuallererst wegen der ausgestellten Memorabilia, wie zum Beispiel den | |
| putzigen Weihnachtskarten von John, Paul, George und Ringo an Dylan und | |
| Sara oder wegen der Briefe von Johnny Cash oder wegen der Lederjacke, die | |
| Dylan 1965 beim einschneidenden Auftritt beim Folk-Festival in Newport | |
| getragen hat (als er die Folkies mit der E-Gitarre provozierte), | |
| bemerkenswert, sondern weil das Center Dylans Kunst und den kreativen | |
| Prozess in den Mittelpunkt stellt. | |
| Die seitenlangen Entwürfe zu einem Song wie „Dignity“ oder die in | |
| Miniaturhandschrift vollgeschriebenen Notizbücher zum Album „Blood on the | |
| Tracks“ sind Highlights der Dauerausstellung und großartige Zeugen des | |
| kreativen Arbeitsprozesses. Auf Deutsch ist beim Verlag Droemer Knaur „Bob | |
| Dylan – Mixing Up the Medicine“ erschienen. Das Buch zeigt auf 600 Seiten | |
| die Sammlung des Bob Dylan Centers in Tulsa. | |
| Im vergangenen Sommer war Bob Dylan in den USA mit Willie Nelson auf | |
| gemeinsamer „Outlaw“-Tour. Dylan mit flotten 84 machte den Opener für | |
| Willie, der im April seinen 92. Geburtstag feierte. Anders als viele | |
| Kolleg*innen äußerten sich die beiden nicht direkt zu Trumps | |
| Präsidentschaft. Sie verließen sich auf die Kraft ihrer Lieder. Nelson ließ | |
| seinen Song „Living in the Promised Land“, eine Hymne auf die Menschen, die | |
| es über die Grenze von Mexiko nach Texas schaffen, vor seinem Konzert als | |
| Video einspielen und performte dann vor einer riesigen US-Flagge. | |
| ## „Masters of War“ | |
| Dylan spielte als Auftaktsong jeden Abend „Masters of War“. Einen Song, den | |
| er jahrelang nicht mehr im Programm gehabt hatte und der eine, für Dylans | |
| gesamtes Werk, ungewöhnlich eindeutige Botschaft an die Masters of War | |
| bereithält: „I hope that you die and that your death will come soon.“ Ob | |
| das jetzt direkt an Trump gerichtet ist? Dylan wird sich nicht erklären. | |
| Ansonsten gab es öfters einige genuschelte „Thank Yous“. Eine fantastische | |
| Backingband, die sich eng um Dylan versammelte, der wiederum sehr gut | |
| performte. Inklusive seines sehr schönen, kubistischen Klavierspiels. Aber | |
| viel zu sehen gab es nicht von ihm. | |
| Verschanzt hinter seinem Klavier im hinteren Teil der spärlich beleuchteten | |
| Bühne, war es auch für die Leute auf den teuren Plätzen ratsam, die | |
| Operngläser dabei zu haben, wenn man die Gesichtszüge studieren wollte. Bei | |
| den letzten Konzerten dieser Tour wurde die Verweigerung dann noch | |
| gesteigert: Dylan erschien jeden Abend mit einer über den Kopf gezogenen | |
| Kapuze. | |
| Ah ja, in Berlin 2023 hat er den ganzen Abend hinter dem Piano gestanden | |
| und ich konnte ihn gut sehen und es war ein sehr schönes Konzert. Für drei | |
| anstehenden Auftritte in Deutschland gibt es momentan noch Restkarten. | |
| Opernglas nicht vergessen! | |
| 19 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Erhard Grundl | |
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