# taz.de -- Biologin über Gärtnern: „Ein Vorgarten ist kein Wohnzimmer“ | |
> Gutes Gärtnern ist eigentlich ganz einfach: Alle Wesen im Kompost leben | |
> lassen. Sagt jedenfalls die Biologin Gerlind Lehmann. | |
Bild: Verblühte Blumen, Überwinterungsort für Insekten | |
taz: Der Frühling hat früh begonnen, [1][die Gartensaison] auch. Was mache | |
ich, wenn ich in meinem Komposthaufen Käferlarven finde? | |
Gerlind Lehmann: Zunächst einmal ist es gut, wenn im Garten ein | |
Komposthaufen steht. Das spricht dafür, dass Sie keinen Schottergarten | |
angelegt haben. Wenn Sie nun zum Beispiel Larven vom Nashornkäfer finden – | |
die bis zu zehn Zentimeter lang werden können – dann legen Sie die | |
vorsichtig zurück und decken sie mit Laub ab. Nashornkäferlarven brauchen | |
drei bis fünf Jahre, bis sie sich fertig entwickelt haben, es wäre schade, | |
wenn Sie diese Entwicklung stören. Nashornkäfer sind geschützt und übrigens | |
interessant: Als es noch Naturwälder gab, lebten die Larven in morschen | |
Bäumen, denn sie ernähren sich von Holzfasern. Als es weniger morsche Bäume | |
gab, siedelten sie in Sägewerke um – und in die Komposthaufen der | |
Siedlungen. Inzwischen kommen sie in Gärten häufiger vor als im Wald. | |
Also sind sie Kulturfolger? | |
Nein, Kulturfolger sind Tiere, die ihre Verhaltensweisen umstellen und an | |
Menschen anpassen, etwa Turmfalken, die auf Kirchtürmen brüten statt in | |
Felsen. Oder Füchse, die nicht mehr jagen, sondern sich aus Mülltonnen | |
bedienen. Nashornkäfer brauchen natürliche Bedingungen. | |
Okay, der Nashornkäfer bleibt. Gibt es Schädlinge, die ich besser | |
vernichte? | |
Nein, bitte nichts vernichten. Alles, was in einem Komposthaufen lebt, | |
zersetzt auf die eine oder andere Weise die Nährstoffe darin. Sie brauchen | |
Regenwürmer, Bakterien, Milben, Käferlarven, Springschwänze. Wenn Sie | |
lebende Erde wollen, müssen Sie die Lebewesen darin lassen. Auch im Rest | |
des [2][Gartens]: bloß kein Gift, Raupen im Zweifel absammeln und auf den | |
Kompost werfen für die Vögel. Wenn Sie die Natur als Nahrungsnetz | |
betrachten, in dem jede Art etwas bewirkt, dann dürfen Sie nicht einfach | |
etwas herausnehmen. Und bloß nicht zu viel aufräumen, ein Vorgarten ist | |
kein Wohnzimmer. Vögel und Insekten brauchen Strukturen, Laub an den | |
Beeträndern. Und in einer Ecke bleiben Brennnesseln stehen, als Futter für | |
Schmetterlingsraupen. | |
Viele Insekten überwintern in verblühten Stauden. Wie lang müssen die | |
stehen bleiben? | |
Entweder bis es wieder richtig warm wird oder bis die Pflanzen frisch | |
austreiben. Dann kann man davon ausgehen, dass die Insekten aus den alten | |
Stängeln raus sind. | |
Welche Pflanzen brauchen sie dann? | |
Kommt darauf an. [3][Heuschrecken] etwa überwintern in Eiern und schlüpfen | |
erst im März oder April, wenn es schon grün ist. Sie lieben alle Blüten, | |
die gelb sind wie Löwenzahn, Hahnenfuß oder Gänseblümchen, diese enthalten | |
viel Eiweiß. Hummeln hingegen sind früher aktiv, weil sie sich selbst mit | |
ihrem Flügelschlag aufheizen können. Die brauchen Frühjahrsblüher, | |
Krokusse, Narzissen, Tulpen. Pflanzen Sie ungefüllte Sorten, die enthalten | |
im Gegensatz zu den gefüllten Pollen. | |
20 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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