# taz.de -- Bilanzexpertin über Wirecard-Skandal: „Es gab sehr viele Warnzei… | |
> Beim Wirecard-Betrug haben viele Stellen versagt. Der Schaden daraus ist | |
> Politikern nicht bewusst, glaubt Carola Rinker, Expertin für | |
> Bilanzfälschung. | |
Bild: Vertrauen verloren: Der Finanzplatz Deutschland ist beschädigt | |
taz: Frau Rinker, sollte der [1][Wirecard-Skandal in einem | |
Bundestagsuntersuchungsausschuss] aufgearbeitet werden? | |
Carola Rinker: Ja. Es muss auf den Tisch kommen, was schiefgelaufen ist. | |
Nur so ist eine sinnvolle Reform der Finanzaufsicht möglich. Wenn man jetzt | |
Änderungen vornimmt, ohne detailliert zu wissen, was schiefgelaufen ist, | |
können die gleichen Fehler ja wieder geschehen. | |
Sie sind Expertin für Bilanzfälschung: Wäre der Wirecard-Skandal zu | |
verhindern gewesen? | |
Man hätte den Skandal früher aufdecken können. Bei Wirecard gab es ein | |
Versagen an verschiedenen Stellen. Verhindern kann man Bilanzbetrug nur, | |
wenn die Gefahr der Aufdeckung groß ist. Je früher ein Betrug | |
wahrscheinlich aufgedeckt wird, desto geringer ist der Anreiz, es zu | |
probieren. | |
Brauchen wir eine Bilanzpolizei? | |
Ja, aber nicht in der jetzigen Form. Der Deutschen Prüfstelle für | |
Rechnungslegung (DPR), der jetzigen Bilanzpolizei, die im Auftrag der | |
Finanzaufsicht Bafin Wirecard geprüft hat, hat die Bundesregierung zum Ende | |
nächsten Jahres gekündigt. Die DPR hat weniger als 20 Mitarbeiter, also zu | |
wenig Personal, um wie bis jetzt 550 Unternehmen zu prüfen. | |
Es muss eine Kontrolle geben, die mehr Handlungsspielraum hat. Bei der DPR | |
konnten die Unternehmen freiwillig antworten, der Aufsichtsrat musste nicht | |
einbezogen werden. So wie es bislang gelaufen ist, geht es nicht. | |
Zuerst hätten die Wirtschaftsprüfer von EY merken müssen, dass etwas nicht | |
stimmt. Gab es Warnzeichen? | |
Es gab sehr viele Warnzeichen, zum Beispiel Beiträge in der Financial Times | |
mit Anhaltspunkten. Bei den Bilanzen der letzten zehn Jahre fällt auf, dass | |
Wirecard zunehmend Liquidität hatte, andererseits sind die Gewinne | |
gestiegen und trotzdem wurden Kredite aufgenommen. Da stellte sich die | |
Frage: Wofür hat Wirecard das Geld gebraucht? | |
Bei Guthaben auf Treuhandkonten, unter anderem den verschwundenen 1,9 | |
Milliarden Euro, hätten die Wirtschaftsprüfer mehr Nachweise einholen | |
müssen. Die Wirtschaftsprüfer sagen, sie sind keine forensischen Experten. | |
Aber für den Jahresabschluss 2018 hat EY angegeben, dass forensische | |
Gutachten eingeholt wurden. Das heißt, da waren Experten dabei. | |
Was muss sich bei den Wirtschaftsprüfern ändern? | |
Ihre Haftungsprivilegien müssen abgeschafft werden, sie müssen stärker | |
haften. In Großbritannien wurde gerade eingeführt, dass Wirtschaftsprüfer | |
nicht gleichzeitig ein Unternehmen beraten und prüfen dürfen. In Frankreich | |
prüfen zwei Wirtschaftsprüfer zusammen ein Unternehmen. Auf jeden Fall | |
sollte die Rotationspflicht verkürzt werden auf einen Wechsel der | |
Wirtschaftsprüfer alle fünf Jahre. | |
[2][Finanzminister Scholz hat einen Aktionsplan für eine stärkere | |
Finanzaufsicht und eine schärfere Kontrolle der Wirtschaftsprüfer | |
angekündigt]. Dazu gehört ein Sonderprüfungsrecht der Finanzaufsicht Bafin. | |
Das ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Wir brauchen | |
definitiv für die Bafin mehr Möglichkeiten, rechtzeitig einzugreifen. Aber | |
es muss erst einmal eine Untersuchung geben, was in der Vergangenheit alles | |
falsch gelaufen ist. | |
Ist der Aktionsplan weitreichend genug? | |
Nein. Ich kann mir vorstellen, dass in der Politik noch nicht überall | |
durchgedrungen ist, was der Skandal bedeutet. Es gibt ein großes Interesse | |
internationaler Medien, die sich fragen, warum da keine Behörde | |
eingegriffen hat und wie ein Unternehmen wie Wirecard überhaupt in den DAX | |
kommen konnte. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass das Vertrauen in den | |
deutschen Kapitalmarkt wiedergewonnen wird. | |
Die [3][Finanzaufsicht in Deutschland ist Anfang des Jahrtausends von der | |
rot-grünen Regierung umfassend reformiert] worden. Wurde damals zu viel | |
dereguliert? | |
Ja, das ist das eine. Das andere ist die Struktur. Der Anlass für die | |
Gründung der DPR waren Bilanzskandale, unter anderem der um Flowtex, einen | |
Hersteller von Horizontalbohrmaschinen. Jetzt hat sich gezeigt, dass mit | |
der Gründung der DPR das Problem nicht gelöst wurde. | |
Viele Führungskräfte bei der Bafin kommen aus der Finanzwelt. Ist die Nähe | |
zur Branche ein Problem? | |
Da stellt sich die Frage, wie unvoreingenommen jemand agiert und ob noch | |
Kontakte bestehen, sodass gewisse Interessen verfolgt werden. Man könnte | |
sagen, man braucht jemanden, der einen gewissen Einblick in die Branche und | |
Erfahrung hat, um die Komplexität verstehen zu können. Die Frage ist, wie | |
man es schafft, jemanden mit Erfahrung zu finden, der keine eigenen | |
Interessen verfolgt. Ich glaube, das ist ein Problem, über das man auch in | |
einem Untersuchungsausschuss sprechen sollte. | |
29 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/wirecard-grosse-mehrheit-fordert… | |
[2] https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/finanzaufsicht-bafin-scholz-wirecard… | |
[3] https://www.dw.com/de/banken-unter-aufsicht/a-622824 | |
## AUTOREN | |
Anja Krüger | |
## TAGS | |
Wirecard | |
Wirtschaftskriminalität | |
Deutsche Börse | |
Olaf Scholz | |
Wirecard | |
Wirtschaftskriminalität | |
Wirecard | |
Wirecard | |
Wirecard | |
Wirecard | |
Wirecard | |
Kriminalität | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Folgen aus „Wirecard“-Skandal: Wie Scholz Betrug verhindern will | |
Um ein zweites „Wirecard“-Desaster zu vermeiden, hat Finanzminister Olaf | |
Scholz Vorschläge unterbreitet. Denen muss die Union aber noch zustimmen. | |
Grüne Finanzpolitikerin über Wirecard: „Scholz' Aussagen waren dünn“ | |
Die grüne Finanzpolitikerin Lisa Paus ist unzufrieden mit den | |
Wirecard-Aussagen vom Bundesfinanzminister – und droht mit einem | |
Untersuchungsausschuss. | |
Wirecard-Skandal: Kommt der Untersuchungsausschuss? | |
Der Finanz- und der Wirtschaftsminister stellten sich den Fragen des | |
Finanzausschusses. Mit den Antworten zeigen sich viele Fachpolitiker | |
unzufrieden. | |
Was Wirecard uns lehren sollte: Her mit den Steuerfahndern | |
Der Skandal um Wirecard ist groß, das Versagen der Aufsicht nicht zu | |
übersehen. Weit größere Folgen aber haben Steuerflucht und -hinterziehung. | |
Konsequenzen aus dem Wirecard-Skandal: Finanzminister Scholz muss liefern | |
Am Mittwoch muss Olaf Scholz vor dem Finanzausschuss zu Wirecard aussagen. | |
Er muss erklären, wie die Finanzwirtschaft wirksam zu kontrollieren ist. | |
Finanzforscherin über Wirecard-Skandal: „Alarmglocken hätten läuten müsse… | |
Bei Wirecard waren kriminelle Schaumschläger am Werk. Die Verantwortung | |
liegt bei den Wirtschaftsprüfern, sagt Bankenexpertin Dorothea Schäfer. | |
FAQ zum Wirecard-Skandal: EY, was soll das? | |
Die Prüfer von EY wollen für den Wirecard-Betrug nicht zuständig gewesen | |
sein. Zocker haben es hier leicht. Die wichtigsten Fragen und Antworten. | |
Insolvenz von Wirecard: Die Regierung trifft keine Schuld | |
Im Wirecard-Skandal verhalten sich Linke und Grüne, als gelte es, ein | |
Tribunal abzuhalten. Sie zeigen auf die Regierung statt auf | |
Wirtschaftsprüfer. |