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# taz.de -- Bestattungen mit Migrationshintergrund: Das Ende von Blut und Boden
> Nach zwei Beerdigungen in kurzer Zeit fragt unser Kolumnist, wie deutsch
> die Erde eigentlich ist, in der seine Verwandten zur letzten Ruhe liegen.
Bild: Wenn der Himmel über Berlin überhaupt jemandem gehört – dann den Kr�…
Wie es der Zufall oder das Schicksal wollte – oder lass es den lieben Gott
gewesen sein – haben sich im März gleich zwei Freunde der Familie auf ihre
letzte Reise begeben. So musste ich kurz hintereinander auf zwei
Beerdigungen. Zwei Male, bei denen vor den Augen der Trauernden ein
geliebter Mensch [1][mit Migrationsgeschichte] in deutsche Erde
hinabgelassen und anschließend damit bedeckt wurde.
Deutsche Erde. Berliner Erde. Was ein Blödsinn. Es gibt sie nicht. Genauso
wenig, wie es bolivianische oder afghanische Erde gibt. Beim Himmel sieht
es nicht anders aus – nationale Lufthoheit ist eine menschliche Erfindung.
In Berlin haben Nebelkrähen die Lufthoheit. Himmel und Erde kennen keine
Zugehörigkeit. Der Rest passiert in unseren Köpfen, Atlanten und, mehr
schlecht als recht, bei Google Maps.
Jedenfalls erwiesen etwa hundert Familienangehörige, Verwandte und
Freund:innen den Verstorbenen die letzte Ehre. Ich kannte beide Herren
seit meiner Kindheit. Auch sie kamen, als wir vor etwas über dreißig Jahren
meinen Vater viel zu früh beerdigten.
## Trauern im Safe Space
Für mich Heranwachsenden vollzog sich dieser schmerzvolle Abschied damals
in einem geschützten Rahmen, in einer Art Safe Space, getragen von vielen,
die mit uns liebevolle Erinnerungen an meinen Vater teilten. Umgeben von
afghanischer Diaspora und deutscher Gegenwart ließen wir den Sarg meines
Vaters eigenhändig ins Erdreich hinab und schütteten sein Grab mithilfe
einiger Spaten gemeinsam zu: so wie es nach islamischem Ritus erforderlich
und von vielen ehemals Geflüchteten gewünscht ist, losgelöst vom
tatsächlichen Grad ihrer Frömmigkeit.
Spatenstich um Spatenstich gelangte die Erde wieder zurück in den Boden.
Helle Erde, dunkle Erde, trockene und feuchte Erde, mit Steinchen
durchsetzte Erde, Erde mit kleinen und größeren Stücken Holz, mit Resten
von Wurzeln, na ja, Erde halt.
Heute, dreißig Jahre nach dem Tod meines Vaters und viele Abschiede später,
entfalten die beiden jüngsten Bestattungen im Nachhinein eine besondere
Wirkung. Sicher dem Umstand geschuldet, dass sie kurz hintereinander
stattfanden. Zweimal in derselben Woche ein muslimisches Begräbnis,
Beileidsbekundungen auf Dari und Deutsch, immer wieder mal beide Sprachen
in einem Satz.
## Deutschland wieder fremder
Derweil stoßen diese frischen Erinnerungen auf andere Bilder, es sind die
jüngsten Naziaufmärsche in Berlin. Sie vermischen sich mit weiteren Bildern
aus diesem Jahr. Mit den funkelnden Augen der geltungsgierigen
Rechtsextremen im Bundestag. Wie sie der Union im Januar ein Schnippchen
schlugen. Jene, die „Remigration“ zum politischen Konzept erhoben und im
Wahlkampf die „demokratische Mitte“ zur freiwilligen Steigbügelhalterschaft
verdammten.
Müssen wir unsere Toten bald zurücklassen? Im fremd gebliebenen
Deutschboden, auf dem wir [2][zunehmend unerwünscht sind]? Diese Frage wäre
mir nach dem Begräbnis meines Vaters, immerhin mitten in den
Baseballschlägerjahren, nie in den Sinn gekommen. Heute klingt sie, wenn
überhaupt, nur im ersten Moment absurd. Aber so leicht werden sie uns nicht
los. Und selbst wenn doch irgendwann, ist ihr Boden längst nicht mehr das,
was er natürlich niemals war, in ihren kranken Augen jedoch zu sein hat:
deutsch.
Denn die Körper unserer Liebsten, irgendwann unsere eigenen, zerfallen im
vermeintlich deutschen Erdreich. Sie nähren Pflanzen und Gräser, Blumen und
Bäume, werden auf Bauernhöfen Teil der Nahrungskette, indirekt natürlich.
Als Pollen landen sie in den allergischen Lungen selbsternannter Arier und
machen ihnen das Leben schwer. Deutschboden ist tot, es lebe die Erde. Wie
befreiend. Ruhet in Frieden.
2 Apr 2025
## LINKS
[1] /Interkulturelle-Hospize-in-Deutschland/!5855109
[2] /Tuerken-in-Deutschland/!6001373
## AUTOREN
Bobby Rafiq
## TAGS
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Migration
Trauer
Bestattung
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