# taz.de -- Berliner Polizei-Beauftragter: Whistleblower besser schützen | |
> Der neue Polizeibeauftragte Alexander Oerke schlichte lieber im Stillen, | |
> erzählt er im Interview. Zu Vorfällen äußerte er sich noch nicht | |
> öffentlich. | |
Bild: Unter Beobachtung: Die Polizeiwache bewacht den Kotti, der Polizeibauftra… | |
BERLIN taz | Etwas bewegen wolle er, hatte Berlins erster [1][unabhängiger | |
Polizeibeauftragter Alexander Oerke] im August bei seinem Antrittsinterview | |
mit der taz gesagt. „Eine Akte auf dem Schreibtisch von links nach rechts | |
zu schieben, das ist nie mein Lebenstraum gewesen.“ Vielversprechend klang | |
das. | |
Fünf Monate sind inzwischen vergangen. Offiziell gehört hat man von Oerke | |
seit seinem Amtsantritt – nichts. Im Gespräch mit der taz macht er keinen | |
Hehl daraus, das er lieber im Stillen wirkt, führt es aber auch auf seinen | |
noch mangelnden Bekanntheitsgrad zurück. Er sei aber dabei, das zu ändern. | |
Dass Berlin einen unabhängigen Polizeibeauftragten hat, ist das Verdienst | |
von Linken und Grünen. Nachgekommen sind sie damit einer alten Forderung | |
der Bürgerrechtsbewegung. Die Klagen aus der Bevölkerung über die Polizei | |
sind bekannt: Wer gewalttätige Polizisten anzeigt, so die Erfahrung, muss | |
mit einer Gegenanzeige rechnen. | |
Immer wieder kommt es vor, dass Polizei- und auch Fahrscheinkontrollen | |
aufgrund äußerer Merkmale wie der Hautfarbe durchgeführt werden. Verbotenes | |
Racial Profling ist das. | |
39 Beschwerden sind seit dem 1. August bei dem Polizeibeauftragten nach | |
dessen Angaben eingegangen. 28 davon habe er bereits erledigt, sagt Oerke. | |
## Kein fehlerhaftes Verhalten | |
Zumeist hätten sich diese auf eine rechtliche Prüfung beschränkt oder es | |
habe sich keine Zuständigkeit für ihn ergeben. Als Beispiel verweist der | |
Polizeibeauftragte auf einen psychisch Kranken, der unter Verfolgungswahn | |
leidet. Oder auf einen Autofahrer, der sich beschwerte, weil er in einer | |
Spielstraße geblitzt wurde. | |
„Das war eindeutig kein fehlerhaftes Handeln der Polizeibehörden“, sagt | |
Oerke. Das wisse er aus seiner früheren Tätigkeit als Richter am | |
Oberverwaltungsgericht aus eigener Rechtskenntnis. | |
Aber jede Person, die sich bei ihm beschwere, werde von ihm angehört. „Ich | |
versuche, den Betroffenen auch mit Ratschlägen ein Stück Lebenshilfe zu | |
geben.“ | |
Bei den verbleibenden 11 Beschwerden, die noch nicht abgeschlossen sind, | |
warte er noch auf Auskünfte, etwa von der Polizeibehörde, oder aber auf | |
Akteneinsicht. | |
Als Beispiel nennt Oerke den Fall von zwei Brüdern, die sich beschweren, | |
bei ihrer Festnahme von Polizisten rassistisch beleidigt worden zu sein. | |
Anlass der Festnahme sei möglicherweise gewesen, dass einer der Brüder | |
einen Schlagring dabei hatte. Der Fall sei ihm von der Opferberatungsstelle | |
Reach Out vermittelt worden. | |
Des Weiteren noch in Bearbeitung: ein Fall, wo eine psychisch auffällige | |
Person von der Polizei auf der Straße aufgegriffen wurde und trotz einer | |
schmerzhaften Handverletzung Handfesseln angelegt bekommen haben soll. Die | |
Polizei habe in ihrer Stellungnahme angegeben, keine Handfesseln benutzt zu | |
haben, sagt Oerke. | |
Auch eine Beschwerde über eine BVG-Fahrscheinkontrolle mit | |
Polizeiunterstützung ist noch offen: Einem Schwarzen, so heißt es, seien | |
Handschellen angelegt worden, nachdem dieser seine Personalien nicht habe | |
angeben wollen. | |
## Schlichtung ist das Ziel | |
Zudem seien aus der Polizei selbst fünf Interna betreffende Eingaben bei | |
ihm eingegangen, sagt Oerke. Geklagt worden sei zum Beispiel über | |
Ausgrenzung und unberücksichtigte Stellen- und Beförderungswünsche. Einen | |
Fall habe er bereits zum Guten lösen können. „Das Ziel der Schlichtung ist, | |
dass die Betroffenen wieder gern zur Arbeit gehen.“ | |
Große Teile seiner Arbeitszeit habe er damit verbracht, sein Büro | |
aufzubauen sowie sich bei Polizeidienststellen, Personalvertretungen und | |
Gewerkschaften bekannt zu machen, erzählt Oerke. | |
Auch an einem Verbundeinsatz von Zoll, Gewerbeaufsicht und Polizei in | |
Neukölln gegen sogenannte Clankriminalität habe er teilgenommen, sei bei | |
der Brennpunkteinheit im Görlitzer Park und am Kottbusser Tor mitgelaufen. | |
Und auch bei Nichtregierungsorganisationen wie Reach Out, der Mobilen | |
Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus MBR, Amnesty, RIAS und anderen habe | |
er sich vorgestellt. | |
Die Einrichtung des Polizeibeauftragten war bei Linken und Grünen mit der | |
Hoffnung verbunden, dass sich die Fehlerkultur in der Polizei verbessert. | |
## Nichts an die große Glocke hängen | |
„Die Stelle des Polizeibeauftragten ist eine politische“, sagt Oerke dazu, | |
„aber die Arbeit ist unpolitisch.“ Wenn er einen Vorwurf als begründet | |
ansehe, könne er allenfalls eine Beanstandung aussprechen. „Das ist das | |
schärfste Schwert, das ich habe.“ Gebrauch gemacht habe er davon bislang | |
noch nicht. | |
Die Grenze seiner Tätigkeit sei da, wo ein strafrechtliches Verfahren | |
anhängig sei. Von diesem Punkt an erhalte er keine Akteneinsicht mehr. Er | |
könne dann nur noch darauf achten, dass das Verfahren nicht unangemessen | |
lange dauere. | |
Am besten, meint Oerke, könne er helfen, wenn die Dinge nicht an die große | |
Glocke gehängt würden, „wenn kein Medienrummel erfolgt, sondern eine | |
wirkliche Schlichtung“. | |
Mit dem [2][Polizeieinsatz in der Wohnung einer syrischen Familie], der im | |
September Schlagzeilen gemacht hatte, war der Polizeibeauftragte nicht | |
befasst. „Das ist mein Land und du bist hier Gast“, hatte einer der | |
Polizisten die Wohnungsinhaberin angeschrien. Oerke sagt, er kenne die | |
Presseberichte und auch Teile des Videos, das in den sozialen Netzwerken | |
kursierte. Die Betroffenen hätten sich aber nicht an ihn gewendet, sondern | |
einen Anwalt eingeschaltet. | |
„So gesehen bestand für mich keine Möglichkeit, zu schlichten.“ Er halte | |
die Äußerung des Polizisten für nicht akzeptabel. „Das hat der | |
Innenstaatssekretär aber auch klar gesagt, sodass keine weitere | |
Beanstandung durch mich erfolgen muss“. [3][Innenstaatssekretär Torsten | |
Ackmann (SPD) hatte das Verhalten des Polizisten im Innenausschuss] als | |
„absolut inakzeptabel“ verurteilt. | |
Auch mit dem Fall einer [4][rechten Chatgruppe der Polizei namens | |
„Eierköppe“] ist Oerke nicht befasst. Am 16. Dezember war bekannt geworden, | |
dass die Polizei die Ermittlungen ausgeweitet hatte und nunmehr 62 | |
Polizeiangehörige betroffen sind. | |
Die Inhalte der Chatgruppe seien nicht strafrechtlich, aber disziplinar- | |
und dienstrechtlich relevant, hieß es in der Pressemitteilung der Polizei. | |
Die Rollen der beteiligten Dienstkräfte reichten von aktivem Tun bis zum | |
Dulden entsprechender Inhalte. | |
## Kein institutioneller Rassismus | |
In Einzelfällen seien bereits Umsetzungen erfolgt. Diese Fälle sind ihm aus | |
der Presse bekannt, sagt Oerke. Da sie jedoch bereits straf- und | |
disziplinarrechtlich untersucht würden, könne er sie nicht mehr inhaltlich | |
prüfen. | |
Meinungen von [5][Betroffenenorganisationen wie Reach Out,] die von einem | |
institutionellen Rassismus bei der Polizei ausgehen, teile er im Übrigen | |
nicht, betont Oerke. Angesichts von Millionen Polizeimaßnahmen pro Jahr | |
„sind die belastbaren Vorwürfe verschwindend gering“. | |
Natürlich gebe es Fehlverhalten und Rassismus, aber genauso wie in der | |
Gesellschaft auch. Sein Eindruck sei, dass man versuche, Missstände | |
aufzuklären und abzustellen, „anders als noch vielleicht vor 20 Jahren“. | |
Die Schwierigkeit liege eher auf der Erkenntnisebene, weil sich Kolleginnen | |
und Kollegen oftmals nicht trauten, die eigenen Leute anzuzeigen. Es gelte, | |
darauf hinzuwirken, dass die Führungskräfte mehr Vorbild sind, „dass | |
jemand, der sich beschwert, keine Nachteile hat“. Aufgabe der Polizei sei, | |
die Whistleblower zu schützen. | |
Bei seinem Gespräch mit der Personalvertretung habe er auch von Sexismus in | |
der Polizeibehörde erfahren, berichtet Oerke. Aber es seien noch keine | |
Fälle an ihn herangetragen worden. Es brauche Zeit, um an dieses Dunkelfeld | |
heranzukommen. | |
Wie es generell mehr Zeit brauche. Er erwarte ein ansteigendes | |
Beschwerdeaufkommen mit zunehmendem Bekanntheitsgrad. Und sagt: „Das | |
Vertrauen in die Ombudsstelle muss wachsen.“ | |
4 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Unabhaengiger-Polizeibeauftragter-ueber-Berlin/!5870297 | |
[2] /Rassismus-bei-der-Berliner-Polizei/!5879415 | |
[3] /Rassismus-und-Polizei-Berlin/!5879519 | |
[4] /Rechte-Chatgruppen-in-der-Polizei-Berlin/!5900426 | |
[5] /Kampf-gegen-Racial-Profiling/!5885625 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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