| # taz.de -- Bauern und Lokführer protestieren: Die große Kränkung | |
| > Den Bauern und Lokführern geht es noch relativ gut. Ihr Protest sollte | |
| > nicht von den wirklich Marginalisierten in der Arbeitswelt ablenken. | |
| Bild: Zu leise und knicken bei Tarifverhandlungen zu schnell ein: Kita-Erzieher… | |
| Nach dieser Woche muss man den Eindruck haben, dass es zwei Berufsgruppen | |
| besonders schlecht geht: den Bauern und den [1][streikenden Lokführern]. | |
| Allerorten ist von „Wut“ zu lesen. Ginge es nach dem Grad prekärer | |
| Arbeitsbedingungen, müssten aber ganz andere „wütend“ sein, wenn sie nicht | |
| schon längst zu müde dafür sind: Regale-Einräumer in Supermärkten, | |
| scheinselbständige Paketlieferanten, rumänische Erntehelferinnen, „schwarz�… | |
| beschäftigte Putzfrauen. Aber sie haben nicht die Organisationsmacht von | |
| Bauern und Lokführern. | |
| Bauern und Lokführer sind traditionell gut organisiert, sie sind es | |
| gewohnt, ihre Interessen offensiv zu vertreten. Doch wer am lautesten ruft, | |
| dem geht es nicht unbedingt am schlechtesten; er hat nur die Mittel, sich | |
| Gehör zu verschaffen. [2][Der Arbeitskampf im Lebensmittel-Einzelhandel | |
| dümpelt] auch deswegen seit Monaten vor sich hin, weil die Branche | |
| zersplittert ist und die vielen Teilzeitkräfte meistens nicht organisiert | |
| sind. Und wenn es bei Rewe keine Milch gibt, geht der Kunde eben zu Edeka. | |
| Was Bauern und Lokführer mentalitätsmäßig und historisch gesehen verbindet, | |
| ist das Gefühl der Kränkung. Lokführer waren früher Beamte, zwar nie | |
| besonders gut bezahlt, [3][aber mit hohem Sozialprestige]. Sie sorgten im | |
| Staatsauftrag für den öffentlichen Fernverkehr, heute müssen sie mit | |
| Flixbus konkurrieren. Der immer leicht beleidigt wirkende Habitus von Claus | |
| Weselsky drückt die Kränkung dieses Berufsstands ziemlich gut aus. | |
| Bauern waren früher die Herrscher auf dem Land. Sie dominierten den | |
| Gemeinderat und die Dorfgemeinschaft; heute haben sich die Gewichte | |
| verschoben, weil es immer weniger Bauern gibt und die Bevölkerung auf dem | |
| Land heterogener als früher ist. Die Unzufriedenheit speist sich nicht nur | |
| aus Dieselpreisen und Schichtzeiten, sie hat tiefere Quellen. Die | |
| Enttäuschung darüber, dass es einem früher besser ging und man einst eine | |
| größere Rolle spielte, kann gewaltige Kräfte freisetzen. | |
| ## Mehr Weselsky wagen | |
| Die ungleiche Verteilung von hörbarer Wut erzählt auch etwas über | |
| Geschlechter-Rollenklischees. Kita-Erzieherinnen und ihre | |
| Interessenvertreterinnen zum Beispiel sind zu leise, sie knicken bei | |
| Tarifverhandlungen zu schnell ein. Wie wäre es, wenn die | |
| Verhandlungsführerinnen beim nächsten Mal im breitbeinigen Weselsky-Style | |
| verkünden würden: „Das ist ein Vernichtungsfeldzug der Arbeitgeber, den wir | |
| uns nicht bieten lassen. Das Land wird still stehen, solange sich die | |
| Arbeitgeber nicht bewegen.“ | |
| Und vorher sollten die Medien einfach mal mehr auf die Leisen, weniger auf | |
| die Lauten achten, auch wenn erstere keine medienwirksamen Traktoren auf | |
| Autobahnen und stillstehenden Züge aufbieten können. | |
| 12 Jan 2024 | |
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| [1] /Bahnstreik-in-vollen-Gaengen/!5982423 | |
| [2] /Arbeitskampf-im-Einzelhandel/!5968055 | |
| [3] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/streiks-bei-bahn-und-lufthansa/der-b… | |
| ## AUTOREN | |
| Gunnar Hinck | |
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